Drei Einsatzkräfte des THW berichten von ihren Erfahrungen im Katastrophengebiet

10.000 Einsatzkräfte, 10.000 Erfahrungen

10.000 Einsatzkräfte, 10.000 Erfahrungen

Martin, Nicole und Kevin - Einsatzkräfte vom THW. Fotos: THW

Region. Seit mehr als vier Wochen sind jeden Tag rund 2.000 THW-Helferinnen und -Helfer in den Gebieten der Flutkatastrophe im Einsatz. Insgesamt waren bereits mehr als 10.000 Ehrenamtliche des THW aus ganz Deutschland vor Ort, um in der Not zu helfen. Drei Einsatzkräfte des THW berichten von ihren Erfahrungen in der Katastrophe. 

Kevin, Fachgruppe Wassergefahren, Schuld

Seit mehr als 10 Jahren ist Kevin ehrenamtlicher Helfer im THW in Sachsen-Anhalt und arbeitet in der Fachgruppe Wassergefahren. In dieser Funktion kam er auch am 4. Tag nach dem Starkregen nach Schuld im Ahrtal und räumte gemeinsam mit anderen Helfenden einen vollkommen zerstörten Campingplatz. „Erst als wir in Schuld ankamen, wurde mir das Ausmaß der Zerstörung wirklich bewusst. Mein erster Gedanke war: „So stelle ich mir den Krieg vor“. Überall Trümmer, überall Wasser,“ schildert der 26-Jährige die Situation.

Kevin ist 26 und arbeitet regulär bei einem Logistikunternehmen. Wenn er jedoch die blaue THW-Jacke überstreift, kommt er überall dort zum Einsatz, wo seine Hilfe als Wassergefahrenexperte benötigt wird. Vom 20.-24. Juli 2021 war er als einer von tausenden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern im Flutkatastrophengebiet im Einsatz. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen.

„Ich bin seit mehr als zehn Jahren im THW. Hier begann meine Laufbahn, als mich Freunde damals zur THW-Jugend mitgenommen haben. Die Gemeinschaft und das gemeinsame Helfen haben mir gleich gefallen. Nach der Grundausbildung habe ich Fachausbildungen im Umgang mit Wassergefahren, mobilen Pumpen und als Bootsführer absolviert. Wasser ist unkontrollierbar, diese Herausforderung reizt mich. Im Wasser musst du wissen, was du tust. Als mich die Bilder aus den Hochwassergebieten erreicht haben, war ich geschockt. Die verwüsteten Orte, die verzweifelten Menschen. Ich bin im Mai zum ersten Mal Vater geworden, aber es war nie eine Frage, ob ich helfen komme oder nicht. Dort unten gab es schließlich auch Väter, die um ihre Kinder bangen. Also habe ich mich von meiner Tochter und meiner Partnerin verabschiedet und bin mit meinen Kameradinnen und Kameraden aus Sachsen-Anhalt ausgerückt. Glücklicherweise ist meine Partnerin, die sich in einer Rettungshundestaffel engagiert, sehr verständnisvoll. Erst als wir in Schuld ankamen, wurde mir das Ausmaß der Zerstörung wirklich bewusst. Mein erster Gedanke war: „So stelle ich mir den Krieg vor“. Überall Trümmer, überall Wasser. Die Menschen vor Ort standen unter Adrenalin. Ich weiß gar nicht, ob sie schon richtig begriffen hatten, was passiert war. Die haben einfach nur funktioniert und versucht zu retten, was noch zu retten war. Einige hatten Angehörige verloren. Bald waren auch wir in diesem Modus. Immer fokussiert auf die Arbeit, auf das Helfen. Was soll man auch anderes machen. Geholfen hat mir, dass ich etwas tun konnte und der Zusammenhalt unter den Helfenden. Alle haben gemeinsam mit angepackt. Zusammen haben wir einen Campingplatz von Schutt und umgestürzten Bäumen befreit. Was mich sehr bewegt hat, war die Dankbarkeit der Menschen. In dieser schlimmen Lage nicht allein zu sein, Hilfe zu bekommen – ich glaube das war ganz wichtig. Das ist was zählt, dass man anderen hilft. Dafür würde ich immer wieder alles stehen und liegen lassen.“

Nicole, Einsatz-Nachsorge-Team (ENT), Bereitstellungsraum Nürburgring

Um die THW-Kräfte nach den Einsätzen mit teils traumatischen Erlebnissen auch psychologisch aufzufangen, sind seit Einsatzstart Einsatz-Nachsorge-Teams (ENT) vom THW im Bereitstellungsraum am Nürburgring. In einem der Teams kümmerte sich Nicole, Helferin aus Sachsen, während und nach den Einsätzen um die Helferinnen und Helfer. „Zu uns kamen Frauen und Männer, die sich selber nicht mehr wiedererkannten, so sehr hatten sie die Geschehnisse mitgenommen. Wir nehmen uns dann viel Zeit, hören zu, sind da für den Menschen. Da zu sein ist manchmal alles, was es braucht“, beschreibt die gelernte Kinderkrankenschwester ihre Tätigkeit im ENT.

Das Einsatznachsorge-Team (ENT) des THW hilft Einsatzkräften belastende Erlebnisse zu meistern. Im ENT engagiert sich auch Nicole. Die Kinderkrankenschwester und dreifache Mutter steht in ihrem Ehrenamt Menschen bei, die Belastendes erlebt haben. Im Landkreis Ahrweiler unterstützte sie die Einsatzkräfte.

„Ich bin seit vielen Jahren als Jugendbetreuerin in meinem Ortsverband tätig. Mein Ehrenamt beim THW ist ein wichtiger Teil meines Lebens, in das ich viel Zeit investiere. Mit Beruf und drei kleinen Kindern ist das manchmal eine Herausforderung. Mein Mann unterstützt mich aber mit ganzer Kraft – er engagiert sich ebenfalls im THW. Als mir die ENT-Ausbildung angeboten wurde, ließ ich mich nicht lange bitten. Ich bin gerne für andere da. Dank der Ausbildung verfüge ich über das nötige Handwerkzeug, um meinen Kameradinnen und Kameraden zu helfen, schwierige Erlebnisse zu verarbeiten. Zum Glück gibt es wenig Scheu, das Angebot zu nutzen. Als ich die Bilder aus Ahrweiler sah, war mir sofort klar, dass auch meine Hilfe gebraucht wird. Ich merkte bald, dass die Bilder aus dem Fernsehen der Realität nicht ansatzweise gerecht werden. So viel Zerstörung, so viele Menschen, die alles verloren haben. Das hat mich tief getroffen. Eine absolute Ausnahmesituation. Stationiert wurde unser ENT im Bereitstellungsraum am Nürburgring. Dort waren wir rund um die Uhr ansprechbar. Unsere Anwesenheit musste sich erst etwas rumsprechen, aber dann war unsere Unterstützung sehr gefragt. Zu uns kamen Frauen und Männer, die sich selber nicht mehr wiedererkannten, so sehr hatten sie die Geschehnisse mitgenommen. Wir nehmen uns dann viel Zeit, hören zu, sind da für den Menschen. Da zu sein ist manchmal alles, was es braucht. Wir sind auch rausgefahren. Einmal hat beispielsweise ein Leichenspürhund angeschlagen, da haben wir die Einsatzkräfte begleitet. Es ist wichtig den Helfenden in Erinnerung zu rufen, dass ein Leichenfund kein Versagen ist. Es bringt die Verstorbenen zwar nicht zurück, aber wenigstens erhalten die Angehörigen Gewissheit. Wenn die Helfenden sich bewusst machen, warum ihre Arbeit so wichtig ist, gewinnen sie wieder Zuversicht und neuen Mut. Besonders die THW-Kameradinnen und -Kameraden aus Ahrweiler sind mir im Gedächtnis geblieben. Viele waren selber betroffen — nicht nur weil die Flut den Ortsverband überschwemmte. Die haben sich in die Arbeit gestürzt und Übermenschliches geleistet. Da mussten wir auf die Bremse treten. Wenn man sie gelassen hätte, hätten die sich kaputtgearbeitet. Ich empfinde großen Respekt dafür, wie sie es geschafft haben, mit dieser Situation umzugehen.  Was mir von diesem Einsatz in Erinnerung bleiben wird, ist die Hilfsbereitschaft. In der Krise sind viele Menschen über sich hinausgewachsen, und haben sich selbstlos für andere eingesetzt. Es ist schön zu sehen, dass wir für einander da sind, wenn es darauf ankommt.“

Martin, Einheitenführer Fachzuglogistik, Bad Neuenahr

„Aus Erfahrung weiß ich, was ein Hochwasser anrichten kann, dies ist bereits mein vierter Hochwassereinsatz. Auf das, was uns erwartete, war ich trotzdem nicht vorbereitet. Pure Zerstörung, die Infrastruktur war weg, einfach weg. Worte können das gar nicht beschreiben“, so fasst Martin, THW-Helfer aus Sachsen, seine ersten Eindrücke aus Bad Neuenahr zusammen. Er koordinierte die Verpflegung der Einsatzkräfte und war fasziniert von dem Zusammenhalt und der Hilfsbereitschaft vor Ort.

Martin ist 31 und arbeitet als Mitarbeiter Hotel- und Verpflegungsbetriebe am Ausbildungszentrum des Zolls. Sein Beruf ist gleichzeitig seine Leidenschaft. Im Fachzug Logistik des THW sorgt er ehrenamtlich dafür, dass die Retterinnen und Retter bei ihrem kräftezehrenden Job neue Energie tanken können. Beim Einsatz in Bad Neuenahr koordinierte er die Verpflegung der Einsatzkräfte.

„Ich bin schon seit über 17 Jahren beim THW und habe von der Ölschadensbekämpfung bis hin zum Ausbilder die unterschiedlichsten Stationen durchlaufen. Aus beruflichen Gründen habe ich mich umorientiert. Im Fachzug Logistik habe ich als Einheitsführer nun meine Berufung gefunden. Mein Job ist es, die Einsatzkräfte an vorderster Front zu unterstützen. Das ist eine große Verantwortung, denn im Einsatz bedeutet Essen viel mehr als nur einen vollen Bauch zu haben. Es ist eine Auszeit für den Kopf, nach der die Einsatzkräfte wieder gestärkt und motiviert in den Einsatz starten. Das anderen geben zu können, ist ein tolles Gefühl.

Um die Helfenden beim Einsatz im Flutkatastrophengebiet zu unterstützen, wurde ich als Zugführer mit meinem Zugtrupp nach Bad Neuenahr beordert. Aus Erfahrung weiß ich, was ein Hochwasser anrichten kann. Das ist bereits mein viertes. Auf das, was uns erwartete, war ich trotzdem nicht vorbereitet. Pure Zerstörung. Die Infrastruktur war weg. Einfach weg. Worte können das gar nicht beschreiben. Gleichzeitig gab es eine enorme Hilfsbereitschaft. Als wir durch die Straßen fuhren, haben wir überall Stände gesehen, wo Betroffene sich Haushaltswaren, Bekleidung und andere Dinge des täglichen Lebens abholen konnten. Kostenlos, da hat keiner nachgefragt. Wenn es darauf ankommt, halten wir eben alle zusammen und machen das Beste aus einer schlimmen Situation. Das hat mir neuen Mut gegeben. Wir wurden durch einen Zugtrupp aus dem THW-Landesverband Sachsen, Thüringen abgelöst. Das klappte reibungslos. Wir kannten uns zwar vorher nicht, aber im THW versteht man sich einfach. Selbes Training, selbes Material, selbe Mentalität. Da weiß man die Vorarbeit in guten Händen. Der Zukunft sehe ich mit gemischten Gefühlen entgegen. Hochwasser, Waldbrände – die Abstände von Katastrophen wie dieser scheinen immer kürzer zu werden. Aber ich werde weitermachen. Ich habe ein tolles Team und ich merke, meine Arbeit wird gebraucht.“

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Pressemitteilung THW/Quelle: THW