Der Sinziger Kampfsportweltmeister Mohamed Abdallah hatte im letzten Jahr einige Herausforderung zu meistern
Abdallah: „Es ist Zeit, wieder durchzustarten!“
Sinzig. Die Karriere des Sinzigers Mohamed Abdallah war auf dem Höhepunkt. Im Oktober 2019 trat der Weltmeister im K1 gegen Michael Smolik in den Ring, einem seiner ärgsten Konkurrenten. Das Kickbox-Event wurde live im TV übertragen, der Privatsender Sat 1 strahlte den Kampf zur besten Sendezeit aus. Das Resultat war ernüchternd. Abdallah verlor den Kampf. Und ja, es gab ein bisschen Häme der Fans, insbesondere in den sozialen Medien. Denn vor dem Wettkampf ging es im Netz heiß her, gegenseitige Provokationen der beiden Kämpfer waren an der Tagesordnung. Gerade der Sinziger stichelte kräftig. Dass Abdallah nun taumelnd im Ring stand, war für die Kritiker wie Wasser auf die Mühlen. Aber so läuft das nun mal im Showbusiness, der verbale Clinch gehört zum Kampfsport genauso wie Boxhandschuhe und Nummerngirls. Trotz der Niederlage war Abdallah guter Dinge. Er trainierte in Gyms in Amsterdam und Zevenbergen und studierte Bauingenieurswesen im dualen Studium. Er packte kräftig bei der Firma NoWi-Bau in Brohl-Lützing an, die den Sportler auch sponsert. Kurz gesagt: Es lief alles wie am Schnürchen.
Dann kam das Coronavirus im März 2020 endgültig in Deutschland an, und die Welt veränderte sich. Auch für Mohamed Abdallah, der meist von seinen Freunden und Fans schlicht „Mo“ genannt wird. Die Krise bedeutete zunächst das sportliche Aus, denn Kämpfe konnten nicht mehr stattfinden. Die Verträge mit dem TV-Sender ruhten und Abdallah brachen die Einnahmen weg. Ein Schicksal, dass viele Selbständige betraf und immer noch betrifft.
Ein Geschäft mit Folgen
Ein befreundeter Unternehmer machte Abdallah jedoch ein Angebot, dass etwas Geld versprach. Nach dem Ausbruch der Pandemie, überlegten sich die zwei Sinziger, gemeinsam mit einem weiteren Partner in Stoffmasken zu investieren. Das war im Frühjahr 2020. Die Textilien sollten dann an eine große deutsche Supermarktkette vertrieben werden. Und das funktionierte auch. Die Masken wurden in Südostasien hergestellt, und bei dem Geschäft gab es zunächst keine Schwierigkeiten. „Die Probleme entstanden erst, als eine Charge der Masken durch den Hersteller in Vietnam als FFP2-Masken deklariert wurde“, blickt Abdallah zurück. Dieser Typus Maske hat eine deutlich erhöhte Schutzwirkung als bloße „Modemasken“ aus Stoff, die zu Beginn der Pandemie hohen Absatz hatten und bisweilen von Privatleuten selbst geschneidert wurden. Nun waren eben jene Accessoires in den Handel gelangt – mit dem Etikett „FFP2“. In etwa 10 Prozent der Gesamtproduktion war davon betroffen, rund 100.000 Stück waren fehlerhaft deklariert.
Für die Staatsanwaltschaft in Koblenz war das kein Kavaliersdelikt. Es galt, herauszufinden, wer für die Falschetikettierung verantwortlich war: Die Zwischenhändler - und somit auch Abdallah - oder die Produzenten in Vietnam? Denn für die Bevölkerung entstand ein erhebliches Gesundheitsrisiko, sobald Masken getragen werden, die als FFP2 gelten, aber keine sind. Die Anklage: Gewerbsmäßiger Bandenbetrug. Die Schwere des Vorwurfes wurde durch das resolute Eingreifen der Behörden deutlich. Das SEK räumte die Büros von Abdallahs Partner aus. Kartonweise wurden Unterlagen beschlagnahmt. Und auch bei Abdallah klopfte das Sondereinsatzkommando an die Haustüre. Doch der war nicht zu Hause und befand sich mit seiner Frau im Urlaub in den Niederlanden. Die Beamten trafen in der Wohnung nur Abdallahs Mutter an. Für die Familie war der Einsatz ein echter Schock. Für Abdallah stand fest, dass er sich der Polizei stellen musste, um größeres Übel abzuwenden. „Ich bin nach Deutschland zurückgereist und wurde beim Polizeipräsidium Koblenz vorstellig“, sagt Abdallah. Der Haftbefehl war bereits ausgestellt und ohne Wartezeit ging es in die Zelle. U-Haft auf der Karthause. Und die Haft dauert. „Ich saß sieben Monate in Untersuchungshaft“, blickt er zurück. Für den Sinziger Sportler brach eine harte Zeit an. „An die frische Luft durfte ich nur für eine Stunde am Tag“, sagt er.
Sieben Monate U-Haft
Die lange U-Haft wurde mit Fluchtgefahr begründet. Ein Umstand, den Abdallah bis heute nicht vollständig versteht. Der Sinziger begründet die Dauer mit den komplizierten Ermittlungen. „Wir wurden ja von den Produzenten in Asien genauso geprellt, wie die Supermarktkette und letztendlich auch die Kunden“, sagt er. Das hat auch der Richter so befunden. Nach dem dritten von insgesamt fünf Verhandlungstagen konnte Abdallah nach Hause. Der Vorwurf des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs wurde fallengelassen. Abdallah wurde freigesprochen. Ein zunächst enorm glücklicher Moment. Eine Verurteilung gab es trotzdem. Abdallah hatte Subventionsbetrug begangen, und daran gab es nichts zu rütteln. Denn der Kampfsportler beantragte aufgrund seiner ausgefallenen Kämpfe eine Corona-Soforthilfe. Knapp 9000 Euro überwies ihm das Land Rheinland-Pfalz. Doch der rechtliche Anspruch fehlte. Zwar fielen alle seine Einnahmen als selbstständiger Sportler aus, aber trotzdem arbeitete er noch bei der Baufirma und bezog dort ein Gehalt. In der Folge musste er die Soforthilfen zurückzahlen. Eine weitere Strafe bekam er nicht. Seine lange Zeit in der U-Haft wurde ihm angerechnet. „Am Schluss war ich mit dem Richter quitt. Aber meinen Fehler bereue ich sehr“, sagt er heute.
Ein neuer Anfang
Für Mohamed Abdallah war die zunächst Angelegenheit beendet. Eigentlich. Denn als er wieder zu Hause saß und das Erlebte Revue passieren ließ, wurde ihm erst die wahre Bedeutung des Geschehenen bewusst. Sieben Monate in Haft, das Studium unterbrochen. Und die Sportkarriere? Erstmal vorbei. Denn im letzten Jahr hatte Abdallah andere Herausforderungen zu stemmen als Hanteln zu schwingen. Die Folge war eine Depression. Der 26-Jährige war wie gelähmt. „Ich konnte morgens das Bett nicht mehr verlassen“, blickt der Sinziger zurück. Weitere Symptome waren massive Schlafstörungen und auch die Verpflichtungen des Alltags wurden vernachlässigt. Trauriger Höhepunkt war der kurzzeitige Verlust des Sprachvermögens. „Ich bin eines Tages aufgewacht und konnte nicht mehr sprechen,“ so „Mo“. Statt Worten und Sätzen kam nur noch Gestotter. „Ich wusste: Ich brauche dringend Hilfe“. Der Kampfsportler besuchte eine Psychotherapie und nahm Tabletten. „Das ist Antidepressiva, zwei Sorten“, sagt er und zeigt die Medikamentenpackungen. Und das sagt Abdallah mit einem Lächeln. Die Therapie hat nach einigen Wochen angeschlagen. „Erstmals nach so langer Zeit hatte ich das Gefühl wieder da zu sein“, sagt er. Auch sportlich geht es wieder weiter. Er hat ein neues Gym gefunden, in Frankfurt am Main. Das Training ist also wieder gestartet, und im Frühjahr 2022 soll es dann mit ersten Kämpfen weitergehen. „Ich freue mich wahnsinnig darauf, wieder in den Ring zu steigen“, strahlt er. Seine Familie, Fans und Freunde möchte er nie wieder enttäuschen. Die Zeit in Haft und die anschließende Krankheit haben ihn geprägt und sensibilisiert. „Es wird Zeit, vieles anders zu machen“, sagt er und fügt hinzu: „Jetzt möchte ich sportlich wieder durchstarten.“ Und was war noch gleich mit dem Kampf gegen Michael Smolik? „Wir planen gerade den Rückkampf“, sagt „Mo“. „Und ich freue mich tierisch drauf!“.-ROB-
Abdallah im September 2016: Schon damals konnten der Sportler viele Titel erringen.
