„Kultur im Gewölbe“ im Sinziger Zehnthof
„Aus der Stille der Nacht“
Das Pilar-Trio entführte sein Publikum auf den Schwingen der Musik
Sinzig. Ein wunderbares Programm hatten die Musikerinnen mitgebracht. Mit ausgewählten Kompositionen umkreisten sie das romantische Motiv der Nacht, in dem Ferne, Sehnsucht, Traum und somit gleich drei wichtige romantische Themen aufgehen. Geborgenheit und Ängste, Schlafen und Wachen, Sinnieren und Traumwandeln. Die Nacht hebt die Grenzen auf. Sie in Klängen auszuloten, dieser Aufgabe zeigte sich das Trio vollends gewachsen.
Molly Marcuson Schiffer griff in die Saiten ihrer Harfe. Da stand „Ein Abend auf dem Land“ von Béla Bartók akustisch im Raum, so präzise und komplex, so beschaulich wie unsentimental, dass der ungarische Komponist seine Freude daran gehabt hätte. Im Zehnthof-Gewölbe aber lauschte das Publikum der musikalischen Traumreise „Aus der Stille der Nacht“ des Pilar-Trios, das in der ungewöhnlichen Besetzung Gesang, Harfe und Violoncello konzertierte. Die Aufmerksamkeit stieg bei „Sicilienne“ der Österreicherin Maria Theresia von Paradis, als sich zur Harfe ein ungemein warmer Klang des Cellos gesellte, elegant und doch zupackend, mit dem Ulrike Zavelberg an ihrem Instrument überraschte. Durch die Reihen nach vorne schreitend, hob schließlich Josephine Pilars de Pilar zu singen an, geschmeidig und klar, wie der helle Tag.
Ängste, Sehnsucht und Gebet
Doch war der Abend der Nacht gewidmet, wozu die sephardische Weise „Durme - Schlaflied an die Schöne“ aufs Stimmungsvollste beitrug, indem die Harfe die Melodielinie akzentuierte, das Cello Sehnsucht hörbar machte und die Stimme ans Herz rührte. Stille und Schlaf gehören zur Nacht, doch auch die Sorge. Richard Strauss beklagt düster, dass sie Licht und Farben raubt: „O die Nacht, mir bangt, sie stehle Dich mir auch.“ Dagegen münden die romantischen Klangtiefen von Brahms in „Gestillte Sehnsucht“. Manch einer beginnt zu beten, bringt seine Schmerzen vor und erringt Trost, wie im instrumental vorgebrachten „Prayer“ des aus einer religiösen jüdischen Familie stammenden Schweizers Ernest Bloch. Auch Träume vom Liebsten schienen auf und entzogen sich grausam wieder, was Gabriel Faurés in seinem von Bedauern schwangerem „Après un rêve“ beleuchtete. Nicht minder kummervoll bringt die „Elegie“ des französischen Opernkomponisten Jules Massenet den Verlust zum Ausdruck.
Sterne blinken
Die in Graz und Wien ausgebildete Sopranistin Josephine Pilars de Pilar reizte ein Programm über die Nacht, „weil durch die Nacht die Grenze von Bewusstem und Unbewusstem führt, weil die Mystik der Nacht innere und äußere Bilder verschmilzt“. Ihr Trio interpretierte daher nicht nur nächtliche Wirrnisse, Ängste, etwa vor dem Tod, wie in einem deutschen Volkslied und Liebesfantasien, darunter Astor Piazzollas „Oblivion“. Es führte auf den Schwingen der Musik mit Claude Debussy direkt zu den Sternen. Seine sphärische „Nuit d’étoiles“ gewährte lautmalerisch ein unbeschwertes Segeln und Taumeln durch das Dunkel, in dem es ohne Unterlass blinkt. Mit kurzen poetischen Impulsen tippte die Sängerin vor jedem neuen Werk dessen Thema und Stimmung an. „Seht Ihr die sinkende Sonne? Wie wohlig ist mir, wie weh zugleich“, leitete sie über zu „Bachianas Brasileiras No 5“ von Heitor Villa Lobos. Sehnsuchtsvoll und leidenschaftlich interpretierte sie die „No 5“, die deutlich Züge der Musik Johann Sebastian Bachs durchziehen, den der Komponist verehrte.
Harfe ganz groß
Herrlich schlaflos, von der Nacht flirrend bewegt, hat der in die USA eingewanderte Franzose Carlos Salzedo sein „Chanson dans la nuit“ komponiert. Das perlende wie kraftvolle Stück für Soloharfe bot Molly Marcuson Schiffer eine besondere Gelegenheit, ihr großes Können zu zeigen. Das Gleiche galt für sie gemeinsam mit Ulrike Zavelberg bei der gewollt volkstümlich angelehnten Komposition Maurice Ravels zu einem kubanischen Tanz. Stilübergreifend von der Romantik bis zum Impressionismus und darüber hinaus, Länder und Mentalitäten überschreitend, spannten die herrlich harmonierenden Musikerinnen den dramatischen Bogen. Bis zum Schluss blieb das Publikum gefesselt. Eben hörte es noch das aufwühlende, Unheil dräuende ungarische Volkslied „Silvas folu“. Dann rettete das Trio seine Zuhörer ins ungemein verheißungsvolle, Frieden spendende „Morgen!“ von Richard Strauss. Und die Gäste, die sich ohne Zugabe nicht vom Gewölbe trennen mochten, erwachten aus einer musikalischen Nacht, die sie von der Dämmerung bis zum Morgengrauen erlebt hatten. HG
