Bistum Trier: SoFiA holt Freiwillige aus dem Ausland zurück - darunter eine Koblenzerin

„Der Freiwilligendienst ist vorbei,ihr müsst sofort nach Hause“

„Der Freiwilligendienst ist vorbei,
ihr müsst sofort nach Hause“

Erst im Flieger zurück konnten sich die Indien-Freiwilligen dann endlich entspannen. Foto: pixabay/ThePixelman

Trier/Chennai. Als Stephan Mertes am 9. März in Indien eintrifft, ahnt er noch nicht, dass dies keine normale Dienstreise werden soll. Der Endzwanziger ist Mitarbeiter des Vereins Soziale Friedensdienste im Ausland, kurz SoFiA, der vom Bistum Trier getragen wird und seit 1992 jungen Leuten Freiwilligendienste in der ganzen Welt vermittelt. Auch 2019 sind 27 junge Männer und Frauen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland zu ihrem Auslandsdienst nach Afrika, Südamerika, Europa oder Indien aufgebrochen. In den Partnerprojekten engagieren sie sich etwa für alte oder behinderte Menschen, benachteiligte Kinder und Jugendliche oder im Bildungsbereich. Zu den Standards des Vereins gehört auch, dass sich die Bildungsreferenten regelmäßig vor Ort von der Arbeit der Partner und Einsatzstellen überzeugen. In diesem Jahr steht für Mertes ein Besuch in Indien an, genauer im südöstlichen Bundesstaat Tamil Nadu.

Zunächst läuft alles wie geplant

Mertes beginnt seine Reise im Norden des 70 Millionen Einwohner zählenden Bundesstaates und nutzt dabei die guten Fernbus-Verbindungen. „In Indien ist das Reisen mit Bus und Bahn wirklich bequem und dazu auch noch sehr günstig; die meisten Menschen nutzen hier öffentliche Verkehrsmittel“, erzählt er. Mertes besucht eine junge Frau in ihrem Projekt und bleibt zwei Tage dort. Zu diesem Zeitpunkt sind die deutschen Grenzen noch offen, es gibt bis auf wenige Ausnahmen keine Reisewarnungen des Auswärtigen Amts. Jedoch häufen sich auch hierzulande die Meldungen über mit Covid-19 infizierte Personen – 1.300 Fälle sollen es nach offiziellen Angaben sein. In Italien hingegen wird an diesem Tag, bedingt durch die exponentiell steigenden Fallzahlen, bereits eine Ausgangssperre verhängt. Noch ahnt in Deutschland niemand, dass nur acht Tage später eine weltweite Reisewarnung gelten wird.

„Ein mulmiges Gefühl“

Bei einem Abstecher in die drittgrößte indische Stadt Bangalore hat Mertes dann zum ersten Mal ein mulmiges Gefühl: Als er in ein Taxi steigt und erzählt, dass er Europäer ist, hält sich der Fahrer ein Taschentuch vor den Mund und desinfiziert sich die Arme. Der Mann habe schlichtweg Angst gehabt, sagt der Bildungsreferent. Die nächste Einsatzstelle auf Mertes Liste ist die von einer Schönstattschwester aus Vallendar gegründete Nähstube in Viralimalai. Dort arbeitet die 19-jährige Daphne Antoniadis aus Koblenz. Zwölf Frauen gibt die Nähstube Arbeit; hier werden Taschen, Kulturbeutel, Tischdecken und andere Textilien gefertigt. Daphne hilft beispielsweise beim Einkauf der Stoffe oder nachmittags bei der Betreuung und Nachhilfe der Kinder der Arbeiterinnen. „Wir haben das alles nicht so wahrgenommen, Corona war noch weit weg, als Stephan mich besuchen kam“, berichtet Daphne später im Telefoninterview. Einzig von ihren Verwandten aus Deutschland habe sie etwas über die sich ausbreitende Pandemie mitbekommen. Indessen sieht die Lage in Deutschland am 16. März schon ganz anders aus: Seit einigen Tagen überschlagen sich die Ereignisse rund um die Ausbreitung des Corona-Virus. Weitere europäische Länder haben Ausgangssperren verhängt, deutsche Staatsbürger sind aufgerufen, zurück in ihre Heimat zu reisen, viele Arbeitgeber schicken ihre Mitarbeiter ins Homeoffice, Selbstständige fürchten um ihre Lebensgrundlage.

Der Freiwilligendienst ist

vorbei – es geht nach Hause

Mertes Kollegen von SoFiA haben inzwischen die Order des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erhalten, alle Freiwilligen nach Hause zurückzuholen. Fieberhaft arbeitet das Team teilweise bis in die Nacht daran, Flüge zu organisieren, Partnerstellen und deutsche Botschaften zu kontaktieren.

Der folgenschwere Anruf von SoFiA-Geschäftsführer Peter Nilles erreicht Mertes und Antoniadis abends, als die beiden nach Feierabend gerade auf der Straße vor der Nähstube sitzen: Es geht nach Hause – der Freiwilligendienst wird abgebrochen. Die drei verbliebenen Freiwilligen soll Mertes „einsammeln“ und mit ihnen nach Chennai fahren. In der sechs Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt des Bundesstaates soll der Rückflug für die Deutschen organisiert werden. Also geht es für Mertes weiter zu Niklas Graf aus Saarwellingen, der in den letzten Monaten in einem Kinderdorf mit angegliederter Schule gearbeitet hat. „Ende April beginnt normalerweise die Ferienzeit für indische Schulkinder. Am Montagmorgen war noch alles normal – ich habe im Schulunterricht für die Fünft- bis Achtklässler geholfen“, berichtet Niklas. Abends dann der Anruf, dass sein Auslandseinsatz vorzeitig beendet werden muss. „Das war schon ein Schock für mich, ich habe keinen Hunger mehr gehabt, hab‘ mich auf mein Zimmer verzogen und ein wenig mit meinen Eltern telefoniert“, so der Zwanzigjährige. Als er am nächsten Morgen wie gewohnt in die Schule kommt, ist diese bereits geschlossen, die Schüler nach Hause in Sonderferien entlassen. „Ich konnte es gar nicht fassen. Nach acht Monaten ist man so richtig angekommen, man hat sich eingelebt, Freundschaften geschlossen und wird dann so herausgerissen und alles ist mit einem Schlag vorbei“, sagt Niklas. Mit Atemschutzmaske und Handschuhen über leere Autobahnen

Die Ordensbrüder der Schule erklären sich bereit, Niklas und Mertes zurück zu Daphne zu fahren. Ein schwieriges Unterfangen, denn mehr und mehr indische Bundesstaaten verordnen Ausgangsbeschränkungen für ihre Bevölkerung. Auch Mertes und Niklas sind wegen der vermehrten Polizeikontrollen fast zwei Tage zu Daphne unterwegs. Am 24. März verhängt Indien dann die „größte Ausgangssperre der Welt“: Das Land stellt 1,3 Milliarden Menschen bis Ende April unter Hausarrest, Busse und Bahn fahren nicht mehr, das komplette öffentliche Leben wird stillgelegt und Verstöße werden von der Polizei teils drastisch geahndet. Mertes steht nun vor einem Problem: Eigentlich wollte die Gruppe auch noch Lisa Arenz (19) abholen, die ihre Projektstelle an der St. Mary School in Annur hat. Doch die Schwestern können einen Besuch der drei Deutschen wegen der lokalen behördlichen Auflagen nicht mehr erlauben. „Zuerst haben die Schwestern mir angeboten, doch bei ihnen zu bleiben, bis der Shutdown vorüber ist“, erzählt Lisa. „Sie meinten, ich sei doch hier viel sicherer als in Deutschland, wo es inzwischen schon sehr viele Corona-Fälle gab.“ Lisa sitzt zunächst einmal fest, die örtliche Polizei befolgt strikt die Anweisungen. Mertes und die beiden anderen Freiwilligen steigen derweil in ein Taxi, das sie nach Chennai bringen soll. Mit Atemschutzmasken und Handschuhen – so wollen es die Auflagen – sind sie nachts auf leer gefegten Autobahnen unterwegs. Am Morgen des 26. März dann nach intensiven Bemühungen der Botschaft und der deutschen SoFiA Kollegen auch für Lisa die erlösende Nachricht: Sie darf mit einem Sonderpapier ebenfalls per Taxi die Reise ins 500 Kilometer entfernte Chennai antreten. Mertes und die drei Freiwilligen kommen dort in einem von der deutschen Botschaft organisierten Hotel unter, wo sie ausharren sollen, bis ein Sonderflug organisiert ist.

„Dankbar und

glücklich über die Heimkehr“

Beim Telefoninterview im Hotel ist die Gruppe erleichtert, es bis hierher geschafft zu haben. „Klar, zwischendurch lagen die Nerven auch mal blank“, gesteht Mertes. Aber im direkten Vergleich zu anderen hätten sie Glück gehabt, denn die Lage für Europäer in Indien sei zusehends schwieriger geworden. Ein deutscher Reisender habe berichtet, dass ihm zunächst seine Wohnung gekündigt wurde und er dann eines Hotels verwiesen wurde.

In Deutschland haben Geschäftsführer Nilles und Referentin Judith Weyand es nach einer turbulenten Woche geschafft: Auch die acht verbliebenen Freiwilligen aus Bolivien sind am 28. März alle wieder wohl behalten in Deutschland angekommen – es fehlen nur noch Mertes, Niklas, Daphne und Lisa. Dann endlich die ersehnte Nachricht: Auch die Indien-Freiwilligen können ausreisen, der Flieger wird sie am 31. März nach Hause bringen. Weyand ist froh darüber, dass nun alle 27 Freiwilligen wohlbehalten in der Heimat sind, weiß jedoch auch um die Folgen, die der vorzeitige Abbruch mit sich bringt. „Viele Freiwillige sind natürlich traurig und hängen jetzt ein wenig in der Luft. Aus unserem pädagogischen Team, in dem sich ehemalige Freiwillige engagieren, stehen Gesprächspartner zur Verfügung. Es gibt viel Redebedarf bei den Rückkehrern. Auch wissen wir nicht, was das für den nächsten Jahrgang bedeutet, es muss sich zeigen, wie sich die Krise weltweit entwickeln wird.“

Für Mertes, der erst ein Jahr als Referent bei SoFiA arbeitet, geht an diesem Abend bei der Ankunft in Frankfurt eine Dienstreise zu Ende, die überraschender und dramatischer nicht hätte verlaufen können. „Wir sind einfach nur dankbar, wieder Zuhause zu sein“, sagt er.