Der Erstklässler Luca hat Asperger-Autismus

Eine Herausforderungfür die ganze Familie

Eine Herausforderung
für die ganze Familie

Luca geht in die erste Klasse. Das ist für ihn eine besondere Herausforderung, weil dort so viele Menschen in einem Raum sind. Draußen fühlt er sich oft wohler. Fotos: privat

Eine Herausforderung
für die ganze Familie

Region. Der sechsjährige Luca ist draußen, er spielt mit seiner Freundin. Seine Mutter kümmert sich gerade um die jüngere Schwester. Selten hat sie Zeit, sich auf die Kleine zu konzentrieren. Das liegt nicht nur daran, dass die zweifache Mutter häufig müde ist, weil ihre Arbeit in der Altenpflege sehr anstrengend ist. Ihr Ältester braucht mehr Aufmerksamkeit, als andere Kinder seines Alters. Er muss ständig beschützt und betreut werden.

Vor einem Jahr wurde bei Luca Asperger-Autismus diagnostiziert. Was unterscheidet Luca von Kindern, die „neurotypisch“ sind? Luca fällt es schwer, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Nähe und äußere Reize überfordern ihn schnell. Routine ist für ihn wichtig, Veränderungen im gewohnten Ablauf bringen ihn leicht aus dem Konzept. Wenn ihm alles zu viel wird, schlägt er um sich, wirft mit Gegenständen und Beleidigungen.

Seine Familie kann mit Lucas Besonderheiten umgehen. Sie haben gelernt, welche Geräusche ihn stören, wann er Abstand braucht und wann Nähe. Sie haben gelernt, es nicht persönlich zu nehmen, wenn er flucht, sondern wissen: Luca ist in diesem Moment verzweifelt, seine Umwelt hat ihn überfordert. Er möchte davonlaufen. Die zierliche Mutter nimmt ihn in den Arm, umschlingt den drahtigen Körper des um sich schlagenden Jungen. Die kleine Schwester wartet geduldig, bis ihr Bruder sich beruhigt hat. Der Vater kehrt die Scherben auf von der Tasse, die zu Bruch gegangen ist.

Lange wusste die Familie nicht, warum Luca sich so verhält. Sie wussten nicht, warum er erst später gelernt hat zu sprechen, warum er seine Bedürfnisse nicht äußert wie andere Kinder. Schon als Baby weinte er nicht, wenn er hungrig war. Mittlerweile spricht Luca wie andere Kinder seines Alters, manchmal klingt er wie ein Erwachsener. Doch was er sagt, ist immer noch anders. Er spricht nicht über seine Bedürfnisse und Gefühle, geht nicht auf die Emotionen seines Gegenübers ein. Manchmal ist es, als lebe Luca in einer anderen Welt als die Menschen um ihn herum.

Luca fällt es nicht leicht,

mit Alltäglichem umzugehen

Seit die Diagnose „Asperger-Autismus“ gestellt wurde, hat die Familie Zugang zu guten Angeboten, die Luca sehr helfen. Er besucht regelmäßig eine Ergotherapeutin, die mit ihm arbeitet. Bei ihr hat er einen Hund kennengelernt, mit dem Luca Situationen erleben darf, die ihm vorher nicht zugänglich waren. Körperliche Nähe, ohne sich bedroht zu fühlen. Verstanden werden, ohne ein Gespräch führen zu müssen. Verstehen, ohne Mehrdeutigkeiten interpretieren zu müssen. Für Luca sind die Stunden mit dem Therapiehund wertvolle Momente der Entspannung.

Die Therapie bildet einen wichtigen Gegenpol zur aktuell wohl größten Herausforderung in Lucas Leben: Der Schule. Seit einem halben Jahr geht Luca in die erste Klasse. Er lernt gerne. Doch jeder Tag ist für ihn um ein Vielfaches anstrengender als für andere Kinder. Die vielen Menschen, Geräusche und Eindrücke überfordern ihn. Wenn es zu viel ist und er nicht mehr kann, sind seine Mitschüler erschrocken über die Heftigkeit seiner Reaktion. Auch deren Eltern verstehen Luca noch nicht, sodass es für ihn noch schwieriger ist, Freunde und Verbündete in dieser für ihn lauten, unsicheren Welt zu finden.

Manchmal läuft Luca dann weg. Er rennt einfach los, auf die Straße. Seine Schule und sein Zuhause liegen in einem ruhigen Dorf, aber auch hier gibt es viele gefährliche Situationen. Weil Luca nicht auf seine Umwelt achtet, wenn er vor der Reizüberflutung davonläuft, muss immer jemand auf ihn aufpassen. Den kurzen Schulweg legt er gemeinsam mit einer Klassenkameradin zurück. Dennoch machen seine Eltern sich stets Sorgen, dass Luca wieder wegläuft und vor ein Auto gerät.

Ein vierbeiniger Begleiter

Helfen könnte dem Jungen in vielen dieser Situationen ein Assistenzhund. Ein Hund, der stark genug ist, ihn am Davonlaufen zu hindern. Ein Hund, der bei ihm schläft und ihm Geborgenheit vermittelt. Ein Hund, mit dem andere Menschen sprechen können, sodass sie zu Luca Kontakt aufnehmen können, ohne ihn zu bedrängen. Auch für Lucas Mutter Sahra wäre ein Begleithund eine große Entlastung. Sie müsste ihren Sohn nicht mehr ständig beschützen, weil der Hund sie dabei unterstützen könnte. Sie hätte mehr Zeit für ihre kleine Tochter, vielleicht auch mal wieder für sich selbst. „Es ist so ungerecht, dass die Kleine immer in zweiter Reihe steht, wenn ihr Bruder unsere Hilfe braucht“, bedauert Sahra. „Wir schlafen oft schlecht, weil Luca trotz starker Medikamente, ohne die er gar nicht einschlafen kann nach aufregenden Tagen, trotzdem in unser Bett kommt und alle aufweckt. Am nächsten Tag ist es dann noch schwieriger, die Unterstützung zu sein, die meine Kinder brauchen.“ Seit sieben Jahren gibt die junge Frau rund um die Uhr alles, um ihrer Familie gerecht zu werden. Und immer hat sie das Gefühl, dass es nicht reicht. Ein professionell ausgebildeter Hund könnte Sahra helfen, indem er Luca nah ist, ihn beschützt und begleitet.

Ein ausgebildeter Assistenzhund kostet allerdings bis zu 26.000 Euro. Ein Betrag, den die Familie nicht aufbringen kann, obwohl beide Eltern berufstätig sind. Für Familien wie Luca und seine Eltern engagiert sich der Verein Patronus-Assistenzhunde e.V., indem er Spenden sammelt und von diesem Geld ausgewählte Hunde zu Assistenzhunden ausbildet.

Gemeinsam helfen

Um Lucas Traum vom eigenen Assistenzhund Wirklichkeit werden zu lassen, nimmt der norddeutsche Verein Spenden entgegen auf dem Konto: Patronus-Assistenzhunde e.V., IBAN DE64 1001 0010 0908 5271 05, BIC PBNKDEFF, Verwendungszweck „Sahra“.

BLICK aktuell berichtet in der Reihe „Autismus ist kein Kinderspiel – Herausforderungen im Alltag“ von den außergewöhnlichen Situationen, die ein junger Mensch mit Autismus bewältigen muss.

In dieser Reihe werden Erzählungen von Kindern und Erwachsenen mit Autismus veröffentlicht, ebenso wie Erfahrungsberichte von Eltern autistischer Kinder. Auch die Ausbildung von Autismus-Begleithunden wird vorgestellt. Wenn Sie Ihre Erfahrungen mit den Lesern von BLICK aktuell teilen oder Lucas Familie unterstützen wollen, wenden Sie sich gerne an redaktion-myk@kruppverlag.de.

-MX-