Marc Chagall - der malende Seelenpoet

Niederzissen. „Unsere ganze innere Welt ist Realität - und das vielleicht mehr als unsere sichtbare Welt“. Mit diesen Worten Marc Chagalls eröffnete Stefan Becker aus Bad Breisig seinen Vortrag mit Bildbetrachtung zum Leben und Werk des Künstlers, der als einer der bekanntesten Maler, Grafiker und Glasmaler des 20. Jahrhunderts gilt. Chagall ging davon aus, dass Kunst ein Seelenzustand ist. Ein Blick auf seine Lebensdaten zeigt, dass sein Lebensweg von politischen Umbrüchen geprägt war. Als Moische Segal wurde Marc Chagall 1887 in der weißrussischen Kleinstadt Witebsk als ältestes von neun Kindern in einer jüdisch-chassidischen Familie geboren. Er wollte Schriftsteller werden, wurde aber ein unermütlicher Maler und das Poetische zieht sich durch sein ganzes Werk. Er sprach jiddisch, russisch, französisch, war ein Eigenbrödler, schalkhaft mit jüdischem Humor und unorthodox religiös.
Sein Weg führte ihn über St. Petersburg bis zum Beginn des 1. Weltkrieges nach Paris und wieder zurück nach Witebsk, Petrograd und Moskau. 1922/23 kehrte er über Berlin zurück nach Paris und Vichy bis er 1941 nach New York wechselte, wo er sich aber nicht wohl fühlte und 1948 wieder nach Paris zurückkehrte. 1985 verstarb Chagall in St. Paul-de-Vence.
Zeit seines Lebens hatte die russische Ikonenkunst starken Einfluß auf sein Werk. Als Beispiel dafür zeigte Stefan Becker das Bild „Kreuzigung in Gelb“, das Jesus am Kreuz mit Gebetsriemen als Jude darstellt. Aber auch weitere große Meisterwerke der Malerei, wie Rembrandts Werk, beeinflussten Chagall, bis hin zum Fauvismus von Matisse und dem Kubismus Picassos, was sich im Bild „Der Dichter“ zeigt. Der Einfluss des Jiddischen ist besonders bemerkenswert und zeigt sich eindrucksvoll in Gemälden „mit de zibn finger“ und „er geyt iber di hayzer“, wo der Luftmensch als Händler, Hausierer über die Häuser fliegt.
„Wäre ich nicht Jude, wäre ich kein Künstler“, dieser Satz Chagalls passt besonders zum europäischen Tag der jüdischen Kultur, der seit 26 Jahren stets am ersten Sonntag im September gefeiert wird. So auch in der ehem. Synagoge Niederzissen.
Im 2. Teil des Vortrages stelle Stefan Becker weitere Bilder auf der extra installierten Großleinwand vor und betrachte sie gemeinsam mit den beeindruckten Besuchern, die sich intensiv mit Beiträgen beteiligten.
Beim Bild der Stadt „Witebsk“ mit dem Fiedler auf dem Dach, dachten viele an das Musical Anatevka. Es könnte die Vorlage dafür gewesen sein.
Weitere Betrachtung der Bilder „Golgatha“, das „Friedhofstor“ von 1917, die „Weiße Kreuzigung“ von 1938 mit den nur 6 Kerzen des Menoraleuchters, dem „Engelssturz“ und der „Erschaffung des Menschen“ von 1956, das auch als Glasfenster in St. Stephan, Mainz, zu sehen ist, rundeten den Nachmittag als sehr erkenntnisreich ab, wie Richard Keuler bei seinen Dankesworten an Stefan Becker betonte.