Allgemeine Berichte | 04.12.2023

Diana Ivanova hat Gespräche mit Flut-Betroffenen als Buch herausgegeben

Vom „Trauma-Tal“ zum „Ahrtal des Mitgefühls“

Bewegende Buchvorstellung im Arp Labor des Arp Museums Foto: Hildegard Ginzler.  Foto: HG

Ahrtal.Miteinander reden und einander zuhören. Für Menschen, die Schlimmes erlebt haben, kann das den Schmerz lindern, helfen die Beklemmung zu lösen und das zarte Pflänzchen Hoffnung nähren.

In dem neuen Buch „Das Ahrtal des Mitgefühls. 89 Fragmente aus dem Leben nach der Flut“ hat Herausgeberin Diana Ivanova 23 Gespräche mit Betroffenen und ihr eigenes Erleben festgehalten. Es war ihr ein Bedürfnis sich mit anderen zu verbinden, die wie sie selbst die Flutkatastrophe von 2021 am eigenen Leib erlebt haben. Ein bisschen Halt finden nach einer Katastrophe, die einem den Boden unter den Füßen wegzog.

Fast zwei Jahre lang ging die in Bad Bodendorf lebende gebürtige Bulgarin auf Menschen im Ahrtal zu, um zu hören, was ihnen durch die Flut widerfahren ist und wie es in ihrem Inneren aussieht. So kann sie sich in Beziehung setzen zu den Erfahrungen der anderen. Die Gespräche mündeten zuerst in den sehr persönlichen Podcast „89 Schritte“ über das Ahrtal. „Schritte“, weil es vieler einzelner Schritte bedarf, um aus einer Ohnmacht, einem Chaos heraus, auf eine neue Normalität zuzugehen. Es folgte das Buch mit Texten aus 23 Gesprächen. Dazu steuert Ivanova ihre Fotos in wohltuendem Schwarz-Weiß bei, Notizen, Gedichte und Collagen. Sie geben dem Gesamtwerk Struktur und setzen zusätzliche Akzente.

Im Vorwort schreibt die Journalistin, die auch als Trauma-Yoga-Therapeutin tätig ist, „Nach der Flut wurden wir dann nochmal von Bildern überflutet, das Ahrtal wurde zur Metapher für totale Zerstörung“. Sie aber wollte „etwas ausprobieren, wo nicht Bilder eine Rolle spielen, sondern nur das Innere und das Zwischenmenschliche.“

„Die Flut hat mit jedem was gemacht“

Dies entsprach dem Bedürfnis vieler Menschen. Die Gesprächspartner vertrauten Ivanova an, wie die Flut ihr Leben umpflügte. „Die Flut hat mit jedem was gemacht“, stellt Künstlerin Angelika Furth fest. Dass sie aus Profis hilflose Helfer machen kann, erfuhr Trauer- und Hochzeitsredner Stephan Neuhaus-Kiefel. Künstlerin Margarete Gebauer glaubte zunächst, „Kunst, das kannst du alles lassen, was bringt das“. Doch fand sie zur Kreativität zurück. Durch den Verlust und die Irritation hindurch hat sich der Blick auf Materielles nicht nur bei Informatiker Karsten Janotta und Hubertus Kunz, zweifacher Bürgermeister von Mayschoß und Beweger nach der Flut, völlig verändert.

In einigen Beiträgen ist auch von schönen Erlebnissen, von einem Gefühl der Befreiung, von Gedanken, welche ihre Urheber selbst überraschte, die Rede. Viele Betroffene werden Musiker und Graphiker Stefan Maria Glöckner zustimmen, wenn er, auf Solidarität, Neuausrichtungen und intensive Mensch-zu-Mensch-Kontakte nach der Flut blickend, sagt: „Wir haben was dazugelernt“. Und Missy Motown (Nicole Schober) aus Krälingen, mit Freunden Gründerin des Helfer-Stabes, findet, „je schlimmer die Katastrophe, desto wichtiger ist dieses Gemeinsame, das Wir.“ Das Mitgefühl zieht sich durch in der Neuerscheinung, rückverwandelt das Trauma-Tal zum wieder lebenswerten Ahrtal.

„Mitgefühl auf Augenhöhe“ nennt Stefan Bergner das. Der evangelische Pastor war als Hochwasserseelsorger in Sinzig nah dran an den Menschen, an ihren Ängsten, der Verunsicherung, den vielen ungelösten Fragen. Das Fragmente-Buch kann das wuchtige Naturereignis nicht erfassen. Ebenso wenig können die teils ähnlichen, teils sehr unterschiedlichen Empfindungen und Gedanken darin in Gänze die tiefgreifende Wirkung umwerfender Hilfsbereitschaft abbilden. Aber was erzählt wird, eröffnet berührende Einblicke. Wie habe ich das Ereignis erlebt, wie sehe ich jetzt die Ahr, was hat mir geholfen? Immer geht es - auch bei ausgekoppelten Zitaten zu Einzelthemen - um individuelle Eindrücke, die jetzt festgehalten sind.

Behutsam und interessiert

Weil Diana Ivanova so behutsam wie interessiert fragte, setzten ihre Impulse beim Gegenüber die Geschichten frei, als Erfahrung, lautes Nachdenken, als Herantasten an eine unfassbare, nie zuvor geahnte Erlebniswelt. Die gesprochene Sprache der mitunter erstaunlich freimütigen Innenschau, uneitel, mit Formulierungsmängeln und nicht immer gradlinig dem inneren Zustand nachspürend, zieht die Leser in die Schilderung hinein. Eigentlich berichten die Erzähler nur der empathischen Interviewerin und sich selbst. Sie vergewissern sich des Erlebten. Wer den Podcast hört oder das Buch liest, wird quasi zum Dialogpartner dieser Zwiegespräche in vertrauensvoller Atmosphäre.

Da verwundert es nicht, wenn Diana Ivanova das Buch, das einer breiten Leserschaft etwas zu geben vermag, als „ein Zuhause für diese flüchtige und schwer beschreibbare Mischung von Gefühlen nach der Flut“ anspricht. Jüngst wurde die Neuerscheinung im Arp Labor in Rolandseck vorgestellt.

„Das Ahrtal des Mitgefühls. 89 Fragmente aus dem Leben nach der Flut“, ISBN 978-3-934648-66-1, im Barton Verlag erschienen, hat 244 Seiten, etliche Abbildungen und kostet 18 Euro. HG

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