Starke Kritik am Entfernen intakter Baumbestände, ökologisch wertvoller Tothölzer und Kiesablagerungen

Altenahr: Ist das Langfigtal noch zu retten?

Altenahr: Ist das Langfigtal noch zu retten?

Eingang zum Langfigtal im Oktober nach der Flut . Foto: ROB

Altenahr: Ist das Langfigtal noch zu retten?

Bodenabtrag in der Nähe der Brücke. Foto: Andrea Brinkhoff

Altenahr. Christoph Kreuzberg wirkt zornig an diesem sehr kalten Januarmorgen - seine Empörung hat rund 20 frierende Menschen in einer Landschaft zusammengebracht, die auch nach einem halben Jahr erschütternd verwüstet wirkt. Wie so viele Orte an der ehemals so schönen Ahr. Diese interessierten Bürger und Vertreter verschiedener Institutionen – darunter der SGD Nord, der Kreisverwaltung Ahrweiler, von BUND und NABU sowie Dozenten der Uni Bonn Vertreter – sind hier zu einer Begehung des Naturschutzgebiets Langfigtal. Gemeinsam ist ihnen, dass sie irritiert, verwundert, frustriert oder sogar wütend über die als Wiederaufbau bezeichneten Arbeiten im Ahrtal sind. Kreuzbergs Zorn geht so weit, dass er mit einer Klage gegen die SDG Nord droht, wegen Verstößen gegen §3 und Teile von §4 der Rechtsverordnung vom 14. Okt. 1983 über die Ausweisung als Naturschutzgebiet. Was er im Vorgehen seit Juli 2021 scharf kritisiert: das Entfernen intakter Baumbestände und ökologisch wertvoller Tothölzer und Kiesablagerungen, die massiven Begradigungen des Gewässerlaufs, das Abtragen und Sieben von Oberboden ohne durch Schadstoffanalysen begründete Notwendigkeiten sowie eine insgesamt fehlende ökologische und gewässerdynamische Planung, Koordinierung und Kontrolle der Maßnahmen. Er spricht damit vielen, auch vom Hochwasser selbst Betroffenen, aus dem Herzen. Die Anwesenden bringen an diesem Morgen allesamt diverse hinterfragbare Abläufe vor.

Angelika Hellmann von der Kreisverwaltung Ahrweiler und Hartmut Winkler von der SGD Nord (Struktur- und Genehmigungsdirektion) legen den Versammelten dar: Die sehr geforderten Beamten bzw. Mitarbeitenden der zuständigen Behörden versuchen, trotz Unterbesetzung und fortdauernder Ausnahmesituation, allen gerecht zu werden. Aber allein schon die Rechtslage ist ambivalent und lässt schwer erträgliche Freiräume. Einerseits machten Kreisverwaltung und SGD Nord in den ersten Wochen nach der Katastrophe im Rahmen ihrer Zuständigkeiten klare Vorgaben. Zum Beispiel, Aufräumarbeiten erst einmal auf das Nötigste zu beschränken und das neu entstandene Ahrbett, wo möglich, unberührt zu belassen. Gewässerbaumaßnahmen wie Rückbauten haben grundsätzlich im Einklang mit den Gewässerschutz- und Naturschutz-Vorgaben in Abstimmung mit den zuständigen Behörden stattzufinden. Zugleich behält die Rechtslage den einzelnen Ahr-Anliegern aber das Recht vor, bis zu einem Zeitraum von drei Jahren einen vorherigen Zustand wiederherzustellen. Nun sind das Nichtbeachten der amtlichen Anweisungen und unsachgemäße Vorgehensweisen (ohne Kläger und detaillierteste Dokumentation) nur schwer zu ahnden - wenn hier etwa mancherorts jeglicher Naturschutz missachtet und über das „Aufräumziel“ hinausgeschossen wird. Erschütternd findet Christoph Kreuzberg die offenbare Ohnmacht offizieller Stellen, die in Formulierungen deutlich wird wie: das ist alles nicht schön und gut, das ist jetzt aber passiert, was können wir da noch machen?

Hartmut Winkler weist darauf hin, dass nach dem traumatischen Erlebnis bei den Betroffenen „die Nerven blank liegen“. Auch wenn zahlreiche Menschen noch mitten im Wiederaufbau sind, so viele ihr Hab und Gut, ihre Existenz oder geliebte Menschen verloren haben: die naturnahe Ufergestaltung und der Erhaltung der natürlichen Flussdynamik ist die einzig sinnvolle Maßnahme sowohl zum Schutz vor künftigen Hochwassern als auch zur Erhaltung der Artenvielfalt. „Jeder gefällte Baum und zugeschüttete Seitenarm ist beim nächsten großen Hochwasser ein Toter mehr,“ formuliert Christoph Kreuzberg. Manchen irritiert mittlerweile, wie schnell und konsequent alles wieder „zurechtgeschoben, begradigt und aufgehübscht“ wird. Wobei die Sinnhaftigkeit nicht nur im Hinblick auf Naturschutz fraglich ist, wenn kurze Zeit später wieder die Bagger und Walzen anrücken, weil Erdreich unkoordiniert und kostentreibend gesiebt oder hin und her geschoben wird. Auf einmal müssen doch erst wieder Leitungen und Kabel verlegt werden, ein Klärwerk fehlt, dann war vielleicht ein Wander- oder Radweg geplant und es könnte die Bahn bald wieder bis Adenau fahre. Und gab es da nicht noch den Traum von der Bahnverbindung Müsch – Prüm – Paris? Das „Modellprojet Ahrtal“ lässt mächtig zu wünschen übrig, da jeder so vor sich hin bastelt und nicht selten der Eindruck verschwendeter Mittel oder von Schlimmerem entsteht.

Ein konkretes, anderes Beispiel, das die Gemüter besonders erhitzt: Die Bäume im Uferbereich. Reihenweise fallen in den letzten Wochen selbst die gesunden Bäume den Sägen zum Opfer, die standhaft der Flut getrotzt haben. Weite Uferzonen, wie beispielsweise zwischen Ahrbrück und Kreuzberg, sind weitgehend entbaumt. Es wird als ein Versuch dargestellt, bei einem nächsten Hochwasser mögliche Dammbildungen und fatale Anstauungen vor Brücken zu vermeiden. Wobei die enorme Stauung beispielsweise vor Kreuzberg und Altenahr vor allem durch aufgestapelte Wohnwagen und nicht durch entwurzelte Bäume kam. Zugleich stellt sich die Frage: wie ergeht es einem nicht mehr beschatteten und durch Gehölze geschützten Gewässer in einem dieser heißen Sommer, die erwarten werden? Laut Kreuzberg tragen die jetzigen Maßnahmen bei einem nächsten großen Hochwasser eher massiv zu noch mehr Schaden an Gut und Leben bei.

Einig sind sich alle anwesenden Fachleute: das sicherlich nicht gleich so massive aber mehr oder weniger starke Hochwasser kommt mit Sicherheit, auch wenn das derzeit nicht gerne laut gesagt wird. Anders als was landläufig in der Bevölkerung weit verbreitete ist: der Baumbewuchs an den Ufern trägt elementar zur Sicherheit, zum Gewässer- und zum Hochwasserschutz bei! Also im Endeffekt zum Schutz der Menschen. Und für Christoph Kreuzberg können die fehlenden personellen Möglichkeiten oder unklare rechtliche Grundlagen nicht entschuldigen, dass beispielsweise dem Zuschütten und Planieren gesetzlich geschützter Biotope und dem Abholzen gesunder, natürlicher bach- und flussbegleitender Baumbestände kein Einhalt geboten werden. Und dass Verstöße gegen Umweltbestimmungen und Gewässerschutz nicht stärker bzw. überhaupt nicht verfolgt werden.

Es ging Christoph Kreuzberg an diesem 13.01.22 aber vor allem um das Naturschutzgebiet im Langfigtal. Nach kontroversen Diskussionen waren die Anwesenden sich nach über drei Stunden Diskussion und Begehung doch einig: es bedarf insgesamt an mehr Transparenz, mehr Planung, gewissenhafterer Koordinierung und Kontrolle, gerne auch mehr Bürgermeinung und Bürgerbeteiligung und Aufklärung. Eine eigene Stelle könnte geschaffen werden – die Biologen und Dozenten Bodo Möseler und Lutz Kosak (Universität Bonn), die seit Jahrzehnten das Langfigtal mit ihren Studenten besuchen, bringen sich gerne beratend ein. Die Fehler der vergangenen Monate sollen künftig vermieden werden. Zugleich brachte der letztendlich konstruktive Austausch viele Anregungen, etwa auch zum Umgang mit ordnungswidrigen oder gar strafbaren Vorgehensweisen einzelner Akteure im Rahmen des Wiederaufbaus – auch außerhalb des Langfigtals. Und damit es nicht bei diesem einen Austausch bleibt, sind alle Interessierten eingeladen, ihr konstruktives Engagement im Folgetermin einzubringen: am 9.02.22 um 9 Uhr in Altenahr, Treffpunkt: Blechkatze. Pressemitteilung NABU Ahrweiler