
Am 14.09.2016
Allgemeine Berichte717 sozialdemokratische Briefe zwischen Brandt und Schmidt
Bundeskanzler unter sich
Der Historiker Meik Woyke stellte im Willy-Brandt-Forum den Briefwechsel Brandt-Schmidt vor
Unkel. „717 Briefe haben sich Willy Brandt und Helmut Schmidt in der Zeit von 1958 bis 1992 geschrieben. Erstmals herausgegeben hat sie der Historiker Meik Woyke, der heute Abend bei uns im Willy-Brandt-Forum (WBF) zu Gast ist.“ Mit diesen Worten eröffnete der WBF-Vorsitzende Christoph Charlier die jüngste Veranstaltung der Gedenkstätte an den großen Sozialdemokraten und Bürger der Stadt Unkel. Über dessen kompliziertes Verhältnis zu dem fünf Jahre jüngeren Hanseaten sei schon viel geschrieben worden. Das Ende vorigen Jahres erschienene Buch „Brandt und Schmidt – Partner und Rivalen“ gebe aber völlig neue Einblicke in die Beziehung der beiden Staatsmänner, die als vierter und fünfter Bundeskanzler von 1969 bis 1982 13 Jahre sozial-liberale Politik maßgeblich geprägt haben. „Das knapp 1100 Seite starke Buch des Referatsleiters ‚Public History‘ im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FEB) hat den unbestreitbaren Vorteil, dass sich jeder anhand der chronologisch aufgelisteten Dokumenten selber ein Urteil über die ‚schwierige Freundschaft‘ der beiden Männer bilden kann, die zunächst starke Partner im politischen Raum waren, bevor sie sich zu Rivalen entwickelten“, so Christoph Charlier, der bedauerte, dass sich etwa Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft oder Angela Merkel und Julia Klöckner nicht mehr in dieser Weise austauschen würden. So würden elementare Einblicke in Entscheidungsgründe, Motivationen, Argumente und Emotionen dieser politischen Entscheidungsträger der Nachwelt leider verborgen bleiben.
„Als ich das Gemeinschaftsprojekt der FES und der Bundeskanzler Willy-Brandt-Stiftung 2009 Helmut Schmidt vorgestellt habe, hat dieser darauf bestanden, dass die gesamte auffindbare Korrespondenz veröffentlicht wird“, erinnerte Meik Woyke. Fündig geworden sei er bis hin zu kleinen Zetteln, die beide während langer Gremiumssitzungen ausgetauscht hatten, vor allem im Archiv der FES, in Schmidts Privatarchiv in Hamburg-Langenhorn sowie etwa im Nachlass von Egon Bahr und von Horst Ehmke. „Der erste Brief ist auf den 13. September 1958 datiert. Der damals aufstrebende Bundestagsabgeordnete aus Hamburg wies den Regierenden Bürgermeister von Berlin auf ein ‚Schmutz-Pamphlet‘ hin, das höchstwahrscheinlich mit Willy Brandts Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland zu tun hatte“, so Meik Woyke. Die darauf folgende große Anzahl der Briefe, von denen Helmut Schmidt allein 419 geschrieben hat, zeuge von dem engen Verhältnis der beiden zueinander, von einer „Partnerschaft, deren Höhen und Tiefen in der wechselseitigen Korrespondenz facettenreich zum Ausdruck kommen“, so der Herausgeber in seiner knapp 80-seitigen Einleitung.
Zunächst habe Helmut Schmidt versucht, Partner von Willy Brandt zu werden. Als Willy Brandt dann nach der verlorenen Bundestagswahl 1965 zu erkennen gegeben habe, dass er wahrscheinlich nicht ein drittes Mal als Bundeskanzler kandidieren werde, habe sich Helmut Schmidt im Oktober als potenzieller Nachfolger zu erkennen gegeben. Die Antwort von Will Brandt dürfte den ehrgeizigen Politiker nicht erfreut haben. „Für dich wird es sehr darauf ankommen, dass du dich nicht übernimmst und vor wichtigen Entscheidungen den Rat guter Freunde hörst. Zögere nicht, dich an mich zu wenden“, zitierte Meik Woyke aus dem Brief des damaligen Außenministers.
Zum ersten merklichen Bruch aber kam es wegen der Notstandsgesetzgebung. „Während der sozialliberalen Koalition schließlich kritisierte Schmidt sowohl als Verteidigungsminister wie auch später als Wirtschafts- und Finanzminister die zu lasche Kabinettsführung, wobei Willy Brandt bei seinen Antworten es nie zu einem offenen Konflikt kommen ließ, da er das politische Talent des fünf Jahre jüngeren Ministers durchaus erkannt hatte“, so der Herausgeber.
Als Helmut Schmidt dann 1974 Bundeskanzler geworden war, habe er sofort zeigen wollen, wo es langgehen würde. Willy Brandt habe ihn zwar in einem Brief um eine schonende Behandlung seiner Mitarbeiter im Bundeskanzleramt gebeten, übermäßigen Erfolg habe er damit aber nicht gehabt. „Generell befand sich der Leiter der Nord-Süd-Kommission in der Rolle des Bittstellers. Zwar lehnte sein Nachfolger entwicklungspolitische Anliegen nicht rigoros ab, Priorität besaßen sie bei ihm jedoch nicht“, erklärte Meik Woyke. Später wies Schmidt auf die Bundestagswahl 1972 hin, aus der die SPD unter seiner Führung als mit Abstand stärkste Partei hervorgegangen war. „Du solltest der Partei manchmal noch stärker den Eindruck vermitteln, dass Du um sie wirbst und Dich mit dem identifizierst, was sie in ihrer großen Mehrheit darstellt“, mahnte er den Kanzler im Wahljahr.
Die Nachrüstungsdebatte, die 1982 letztendlich zur Abwahl Helmut Schmidts als Bundeskanzler führte, vertiefte dann in ihm endgültig das Gefühl, dass er von dem SPD-Vorsitzenden in entscheidenden Auseinandersetzungen allein gelassen würde. Bei allen Differenzen in der Sache würden die Briefe den hohen gegenseitiger Respekt erkennen lassen, so Woyke, sowohl vor der politischen Lebensleistung, als auch vor der persönlichen Integrität des anderen.
Zum zeitweisen Bruch sei es dann aber doch gekommen, als sich Helmut Schmidt im Frühjahr 1986 wegen eines infamen Artikels über ihn im „Vorwärts“ bei Willy Brandt als einem der Herausgeber beschwert und dieser sich verwahrt habe, er sei „niemandes Watschenmann“. Erst Ende 1988 habe Schmidt danach den Kontakt mit einem versöhnlichen Brief wieder aufgenommen. „Ich finde, dass wir nicht nur jeder auf seine Weise, sondern auch miteinander manches zu bewirken vermochten, was unserer Partei voran half“, so die Antwort des Friedensnobelpreisträgers.
„Der Vortrag hat sicher Lust gemacht, weitere Briefe zu lesen“, war sich Christoph Charlier sicher. Lohnenswert sei dies allemal, wenn man über die übliche, schablonenhaften Charakterisierung der beiden Politiker hinausgehen wolle, so der WBF-Vorsitzende, der zum Abschluss Brigitte Seebachers über den letzten Zusammenhalt und die letzte Gemeinsamkeit zwischen beiden zitierte: „Obwohl sie sich oft unterschiedliche Ansichten über die Art und Weise, wie man die Partei steuert, an den Kopf geworfen haben: Der Zusammenhang bestand darin, dass beide ihr politisches Leben der Regierungstätigkeit der Sozialdemokraten verschrieben haben!“ DL
