
Am 22.11.2017
Allgemeine BerichteAm 40. Todestag von Wilhelm Dröscher lud das Willy-Brandt-Forum zur Gedenkveranstaltung
„Der gute Mensch von Kirn“
Unkel. Hohen Besuch erwartete der Vorsitzende des Unkeler Willy-Brandt-Forums (WBF) Christoph Charlier, am späten Samstagvormittag. Der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und Ministerpräsident a.D. Kurt Beck hatte sich ebenso angesagt wie der SPD-Generalsekretär von Rheinland-Pfalz, Daniel Stich, und der Hamburger Historiker Holger Martens sowie nicht zuletzt Barbara und Michael Dröscher, die Kinder des Sozialdemokraten Wilhelm Dröscher, der auf den Tag genau, am 18. November 1977 während des SPD-Bundesparteitags in Hamburg bei der letzten Durchsicht seines Rechenschaftsberichts als Bundesschatzmeister gestorben war. „Wahrscheinlich sogar um diese Uhrzeit hat Willy Brandt die Delegierten von seinem Tod unterrichtet“, so Kurt Beck im Ausstellungsraum des Forums, dessen Aufbau er als Ministerpräsident nicht nur durch die Landesförderung maßgeblich unterstützt hatte. „Du hast auch dazu beigetragen, dass die Summe, die Unkel beisteuern musste, durch Spenden zusammengekommen ist“, erinnerte Christoph Charlier, nachdem er die Gäste begrüßt hatte, darunter auch sein Vorgänger, Klaus-Henning Rosen, sein Stellvertreten, Rudolf Barth und Stadtbürgermeister Gerhard Hausen sowie die Landtagsabgeordneten Fredi Winter und Heijo Höfer.
Kurt Beck hatte die Idee gehabt, unter dem Motto „Für seine Mitbürger zu jeder Stunde da sein“ an den am 7. Oktober 1920 in Kirn an der Nahe geborenen Sozialdemokraten Wilhelm Dröscher mittels einer Gedenkveranstaltung des WBF und des FES-Archivs der sozialen Demokratie zu erinnern. Eingebunden per Video-Schaltung war auch dessen Nachfolger Rudolf Scharping. „Wilhelm Dröscher, der Ziehvater von Rudolf Scharping, hat zwar als Landes-, Bundes- und Europapolitiker der SPD in Rheinland-Pfalz ein neues Profil gegeben, das die Grundlage für die Regierungsübernahme Anfang der 1990er-Jahre gelegt hat, 40 Jahres nach seinem Tod dürfte er allerdings den wenigsten noch bekannt sein“, mutmaßte Christoph Charlier. Bei rheinland-pfälzischer Politikern habe Wilhelm Dröscher aber einen legendären Ruf angesichts seiner Art, Politik zu gestalten, so Kurt Beck. Er habe es verstanden, sein leidenschaftliches Engagement für Europa mit seiner politischen Arbeit vor Ort zusammenzuführen, unvergessen seine legendären Samstagssprechstunden, die ihm den Ruf des „Guten Menschen von Kirn“ eingebracht hatten.
„Wilhelm Dröscher wollte, dass die Sozialdemokratie wieder näher an die Menschen heranrückt, sie respektiert und ernst nimmt“, erinnerte Rudolf Scharping per Video. Gleichzeitig habe er Europa als großartiges Friedensprojekt erkannt. „Wir brauchen Europa, wenn wir sicher und frei leben wollen“, so sein Credo.
„Wilhelm Dröscher war ein außergewöhnlicher Mensch, den wir dank der Biografie seiner Tochter Barbara näher kennen lernen“, so Holger Martens. Als Sohn des protestantischen Sägewerkbesitzers Wilhelm Dröscher senior, der 1919 die Jüdin Frieda Suchonitzki aus der Gegend von Bialystok geheiratet hatte, war er wie seine drei Geschwister Halbjude. Ab 1930 war er Mitglied in der Nerother Jugendbewegung, einer konservativen Deutsch-nationalen „Ritterbundes“ , der durch „Adelsherrschaft“ die Stoßkraft des „Wandervogels“ wieder herstellen wollte. Als die Nerother in die Hitlerjugend übernommen wurden, erlebte Wilhelm Dröscher Ausgrenzung und Brandmarkung am eigenen Leibe. Wegen seines Liebesbriefs an eine „arische“ Deutsche wurde dem 15-Jährigen ihm „Rassenschande“ vorgeworfen und er musste das Gymnasium verlassen“, so der Historiker. Nach dem Realschulabschluss und einer kaufmännischen Lehre war Wilhelm Dröscher in der Wehrmacht zunächst von Führungsaufgaben ausgeschlossen, wollte aber unbedingt Offizier werden. Als Soldat an der Ostfront gelang es ihm, durch die Fälschung der Heiratsurkunde seiner Großeltern aus seinem Großvater einen Katholiken zu machen, sodass er im Nazijargon nur noch „Vierteljude“ war und seine Mutter als Halbjüdin den Holocaust überlebte. Als Soldat mehrfach verwundet, wurde er ausgezeichnet so etwa mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse sowie dem Deutschen Kreuz in Gold. Als Oberleutnant geriet er nur kurz in Kriegsgefangenschaft und arbeitete dann im elterlichen Sägewerk.
Von 1946 bis 1948 saß Wilhelm Dröscher für die KPD im Stadtrat von Kirn. Außerdem übernahm er auf Bitten des erkrankten Bürgermeisters ehrenamtlich die Dienstgeschäfte des Amtes Kirn-Land als Amtsbeigeordneter. Am 1. September 1949 trat er dann in die SPD ein und wurde hauptamtlicher Amtsbürgermeister, ein Amt, das er bis 1967 ausübte. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, absolvierte er von 1953-57 eine Ausbildung zum Verwaltungsfachmann an der Verwaltungsakademie Rheinland-Pfalz. Von 1955-57 war Wilhelm Dröscher, Mitglied des Landtags, von 1957 bis Oktober 1971 Mitglied des Bundestags, von Dezember 1965 bis Oktober 1971 Mitglied des Europäischen Parlaments.
„Ab 1970 war bis zu seinem Tode Vorsitzender der rheinland-pfälzischen SPD, ab 1971 Mitglied des Landtags als SPD-Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer. In dieser Funktion trat er 1971 und 1975 als SPD-Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen an, unterlag aber beide mal dem Amtsinhaber Helmut Kohl. 1973 wurde Wilhelm Dröscher in den Parteivorstand und ins Präsidium der Bundes-SPD sowie zum Vorsitzenden der Geschäftskommission beim Parteivorstand gewählt, 1974 wurde er Präsident des Bundes der Sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft, ab 1975 SPD-Bundesschatzmeister“, skizzierte Holger Martens die Stationen des Politikers.
Mit Leidenschaft sei er nach dem Krieg angetreten, die Welt zu verändern, so auch als Abgeordneter des Wahlkreises Bad Kreuznach für den Deutschen Bundestag und in vielfachen weiteren Funktionen im Sinne der Sozialdemokratie. Dabei hatte Wilhelm Dröscher stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der kleinen Leute und die Anliegen der Bürger gehabt, war über die Stimmung in der Bevölkerung im Bilde, deren Probleme er nicht nur wahrgenommen, sondern auch thematisierte und sich um Lösungen kümmerte. „Ich will meine Pflicht tun, so gut uns so lange ich es kann“, war sein Leitspruch. Er war Mensch und Politiker zugleich. Er sprach die Sprache des einfachen Mannes. Er verstand die Sorgen der Arbeiter, der Angestellten, der Landwirte. Er kam aus ihrer Mitte. Er war der „gute Mensch von Kirn“, der zu seinem Wort stand, egal welche Schwierigkeiten und Probleme das auch immer mit sich bringen mochte. „Er war ein Mann, der Politik für den Bürger machte, nicht seiner eigenen Karriere willen. Deshalb und wegen seiner Prinzipientreue, seiner Glaubwürdigkeit und Fähigkeit, Orientierung zu geben, war er stets mein Vorbild“ so Kurt Beck, bevor er noch einmal an die legendären Samstag-Sprechstunden von Wilhelm Dröscher erinnerte, der diese nicht einmal zugunsten der Trauung seines Sohnes hatte ausfallen lassen, wie Michael Dröscher erinnerte. DL

Interessiert verfolgen die Gäste der Gedenkveranstaltung den Ausführungen von Holger Martens, der die wichtigsten Stationen von Wilhelm Dröscher skizzierte