Vorstand des Mainzer Landtages besucht bei Gedenkstättenreise die ehemalige Synagoge in Niederzissen
„Ein wichtiger Ort der Erinnerungskultur“
Niederzissen. Der rheinland-pfälzische Landtagsvorstand mit Landtagspräsident Hendrik Hering an der Spitze hat bei einer Gedenkstättenreise die ehemalige Synagoge in Niederzissen besucht. Nach dem Auftakt der Gedenkstättenreisen im vergangenen Jahr setzte die Landtagsspitze damit ihren Austausch an historischen Orten mit unterschiedlichen Experten sowie regionalen Projekten in Rheinland-Pfalz fort. In Niederzissen begrüßten Ortsbürgermeister Rolf Hans und Richard Keuler vom Kultur- und Heimatverein als Initiator der Kultur- und Begegnungsstätte ehemalige Synagoge die Delegation. Dieser gehörten neben Hering und Vizepräsidentin Astrid Schmitt unter anderem auch die Beauftragte der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen, Monika Fuhr und der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz, Franz-Josef Ratter, an. Ebenso dabei: die lokalen Landtagsabgeordneten Horst Gies und Susanne Müller sowie Brohltal-Bürgermeister Johanes Bell.
Entstanden ist die Idee zur Gedenkstätteneise durch die Arbeitsgemeinschaft „Zukunft der Gedenkarbeit“ der Landesparlamente, von Bundestag und Bundesrat. Die Federführung liegt bei Rheinland-Pfalz.
Zeugnisse jüdischen Lebens
In der 1841 erbauten und damit ältesten ehemaligen Synagoge im Kreis Ahrweiler ging es um den Umgang mit jüdischem Kulturgut und Zeugnissen jüdischen Lebens. Wobei Hering die Arbeit des Kultur – und Heimatvereins, der vor elf Jahren die renovierte Synagoge eröffnet hat, als Musterbeispiel anführte. Hering: „Hier haben engagierte Bürger mit Unterstützung des damaligen Bürgermeisters die mutige Entscheidung getroffen, die ehemalige Synagoge in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen.“ Es sei „ein wichtiger Ort der Erinnerungskultur“ geschaffen worden, der auch Zeugnisse jüdischen Lebens auf dem Land zeige. Davon konnte sich die Delegation bei einer Führung mit Keuler durch die Ausstellung im Museum neben dem einstigen Betraum überzeugen. Gezeigt werden dort die in Deutschland einmaligen Genisa-Funde, die bei der Renovierung auf dem Dachboden der über Jahrzehnte hinweg als Schmiede genutzten Synagoge gemacht worden waren.
Das passt zu den Zielen des Landtags, neue Formen des Gedenkens an die Opfer der NS-Diktatur zu entwickeln, die Erinnerungskultur stärker zu regionalisieren und wahrnehmbarer zu vermitteln, dass Verfolgung, Diskriminierung und Vertreibung von Juden auch im eigenen Heimatort stattfanden. Zugleich geht es aber auch darum, auf die vielfältigen kulturellen Spuren und Schätze jüdischen Lebens in der Region aufmerksam zu machen.
Bald keine Zeitzeugen mehr
„Wichtig ist uns hierbei, besondere Projekte der Gedenkarbeit in den Regionen kennenzulernen, sie zu unterstützen und zu deren Vernetzung beizutragen“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering zum Hintergrund der Gedenkstättenreise. Von besonderer Bedeutung sei dabei auch, neue und zeitgemäße Formen des Erinnerns und Gedenkens zu finden für eine Zeit, für die es bald keine Zeitzeugen mehr gebe.
Ein Schwerpunkt der Bildungsarbeit in Niederzissen ist das Vermitteln eines differenzierten Bildes von Jüdinnen und Juden, die Teil der deutschen Kultur waren und sind sowie die ländlichen Regionen wesentlich mitgeprägt haben. Damit sollen insbesondere Vorurteile aufgebrochen werden. Der regionale Ansatz, das Landjudentum wahrnehmbarer zu gestalten, sei von zentraler Bedeutung. Denn, darüber waren sich alle Teilnehmenden der Reise einig, jüdisches Leben in Deutschland bedeute weit mehr als die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus.
Interesse junger Menschen
„Junge Menschen wollen mehr über die Vergangenheit wissen“, wies der Landtagspräsident darauf hin, dass aktuelle Studien zeigten, dass den meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen wichtig sei, dass sie neues Faktenwissen über die NS-Zeit lernten, dass sie historische Orte besuchen können und dass in den Bildungsangeboten Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart hergestellt werden.
Im Gespräch mit den örtlichen Akteuren wurde die Bedeutung des Ehrenamts für die Gedenkarbeit thematisiert sowie die Frage, wie sich die Gedenkarbeit weiterentwickeln könnte und welche Unterstützung hierbei der Landtag leisten kann. Da hat Richard Keuler als Motor der Erinnerungskultur im Brohltal ganz klare Vorstellungen. Er wünscht sich von der Landespolitik ein Haus der jüdisch-deutschen Geschichte, das neben den SCHUM-Städten auch die Geschichte des Landjudentums in den Fokus nimmt. Zudem wünscht er sich die Bildung einer Koordinierungsstelle „Erinnerungskultur“, die Initiativen, Vereine, Institutionenvernetzt und Ansprechpartner für deren Anliegen ist. Dass Niederzissen bei der Erinnerungskultur auf dem richtigen Weg ist, davon zeugt laut Keuler das große Interesse an den Genisa-Funden von Schülern, Studenten, Wissenschaftlern, Touristen und auch Nachfahren von Mitgliedern der einst nach Bonn zweitgrößten jüdischen Gemeinde (napoleonisches Register von 1808) in der Region.
GS
Zeugnisse jüdischen Lebens als Fotoprojektion in Niederzissen.
Vor der ehemaligen Synagoge: Hendrik Hering, Astrid Schmitt und Richard Keuler.
Richard Keuler (Mitte) begrüßt die Teilnehmer der Gedenkstättenreise des Landtagspräsidiums in der ehemaligen Synagoge von Niederzissen. Fotos: GS
