Kunstausstellung im Seconhand-Laden „Kicherzwerge“
Kunst und Mode – passt das?
Sinzig. Kunst und Mode – passt das? In diesem Fall schon, denn Secondhand-Mode und der Maler Christian Bergantin (* 1972) ergänzen sich total. Die Ausstellung mit Werken des italienischen Malers wurde coronabedingt ohne großes Publikum eröffnet. Christian Bergantin stammt aus Venetien. Schon als Kind interessierte er sich für Malerei. Seine großen Vorbilder sind Jackson Pollock und Jasper Johns. Auch die italienische Kunstrichtung „arte povera“ kann ihren Einfluss nicht verhehlen, denn oft benutzt er in seinen Werken alltägliche Gegenstände (Filz, Leinen, Steine, Erde), die dadurch einen ästhetischen Wert bekommen. Mit diesen Werken konfrontiert wird „Mode aus zweiter Hand“ – auch in Deutschland werden Secondhand-Geschäfte immer erfolgreicher. Secondhand-Artikel erzählen eine Geschichte und vermitteln dem Käufer nicht nur das übliche gute Gefühl nach einem erfolgreichen Einkauf, sondern gleichzeitig auch das Gefühl, etwas für die Umwelt getan zu haben.
Die Bekleidung, die bei den „Kicherzwergen“ verkauft wird, ist von hoher Qualität und sehr langlebig. „Die hochpreisige Ware ist in sehr gutem Zustand und wird einfach nicht mehr benötigt“, so die Inhaberin Nina Gappe. Statt dem schnellen Schnäppchen im Einkaufszentrum erwirbt man also ein qualitativ sehr gutes Kleidungsstück und hilft somit der Umwelt.
An dieser konsumkritischen Haltung knüpft der italienische Maler Christian Bergantin an und erweitert seine Kritik an der Gesellschaft überhaupt. Bestes Beispiel ist sein Zyklus „Models“: Am Beispiel des Mannequins wird die Ausbeutung des Menschen thematisiert. Der Körper wird zur Ware und bei diesem Prozess bis zur Unkenntlichkeit verformt. Diese Models sind Anti-Modelle, der schöne Schein mutiert zur Hässlichkeit. Die Schönheit wird als Illusion entlarvt. Der Rhythmus der Farben, Linien und Flächen zeigt die Emotion des Malers, der voller Aggressivität den weiblichen Körper deformiert und dadurch die wahre Wirklichkeit formt. Damit korrespondiert das Entsetzen des Betrachters, dem diese Erkenntnis unmittelbar bewusst wird. Hier wird die Beziehung zum Modegeschäft und zur Modeindustrie unmittelbar sichtbar.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Ein anderer Zyklus, der ausgestellt wird, heißt „Die Unsichtbaren“. Der Titel dieses Werkzyklus ist Programm: Das Unsichtbare sichtbar machen, besonders das, was die Menschen bedrückt: Christian Bergantin bringt es zum Ausdruck. Natürlich erinnern die Bilder nicht zufällig an Francis Bacon (1909-1992). Wie er schaut Christian Bergantin durch die Oberfläche des Menschen in sein Innerstes und sieht die Qualen, Entbehrungen und Ängste. Die großen Augen, die aufgerissenen Münder wenden sich unmittelbar an den Betrachter, der sich ihren Blicken kaum entziehen kann. Die Bilder wecken Emotionen, positive und negative, und machen hinter dem Schein der Dinge ein zerrissenes Lebensgefühl sichtbar. Das ist die wahre Realität, in der Menschen leben.
Nicht jeder möchte diesen Schrei hören, den auch Edvard Munch (1883-1944) immer wieder gemalt hat. Starke Primärfarben Gelb, Rot, Blau werden zu kontrastierenden Bedeutungsträgern. Die farbige Fläche, der wilde Pinselstrich, die schwarzen Linien steigern die Expression, den Ausdruck. Max Beckmann: „Worauf es mir in meiner Arbeit vor allem ankommt, ist die Idealität, die sich hinter der scheinbaren Realität befindet. – Ich suche aus der gegebenen Gegenwart die Brücke zum Unsichtbaren – ähnlich wie ein berühmter Kabbalist es einmal gesagt hat: ‚Willst du das Unsichtbare fassen, dringe so tief du kannst ein – in das Sichtbare‘“.
Auch der Zyklus „Spuren“ ist interessant. Spuren kommen aus der Vergangenheit, man findet sie in der Gegenwart und sie führen in die Zukunft. Jede Spur hat einen Anfang, aber hat sie ein Ende? Spuren des Lebens, Spuren der Zeit. Christian Bergantins Spuren sind wie Fußabdrücke im Sand: Offensichtlich und geheimnisvoll zugleich. Er dokumentiert fremde Spuren und erfindet seine eigenen Spuren, die sich mit den fremden Spuren mischen. Seine Spuren führen nach Innen, zum eigenen Selbst, zu neuer Erkenntnis, zu Selbsterkenntnis. Aber auch Spuren auf unserer Seele, unsichtbare Spuren von Macht und Ohnmacht.
Die künstlerischen Werke können zu den üblichen Öffnungszeiten besichtigt werden.
Christian Bergantin mit zwei seiner Werke.
