Schon in früheren Zeiten wurde das Ahrtal von Hochwasser heimgesucht - Teil 1: Das Hochwasser von 1910

Katastrophale Zerstörungund massive Hilfsbereitschaft

Katastrophale Zerstörung
und massive Hilfsbereitschaft

In Antweiler wurde ein Notsteg errichtet.

Katastrophale Zerstörung
und massive Hilfsbereitschaft

Die Bewohner von Ahrweiler gelangten über Bretter nach Bachem und umgekehrt.

Katastrophale Zerstörung
und massive Hilfsbereitschaft

In Schuld errichteten Koblenzer Pioniere erste Ahrquerungen.

Katastrophale Zerstörung
und massive Hilfsbereitschaft

Die überflutete Innenstadt von Bad Neuenahr. Fotos: Kreisarchiv Ahrweiler

Kreis Ahrweiler. Bereits über einen Monat ist das katastrophale Hochwasser im Ahrtal her und der Schock sitzt bei allen Betroffenen noch tief. Überflutungen sind zwischen Blankenheim und Sinzig nicht ungewöhnlich, auch, wenn die jetzige Zerstörung kaum einen Vergleich zulässt. Dennoch weisen die Hochwasser aus früheren Zeiten durchaus Parallelen zu Hochwasser des Jahre 2021 auf: Massive Schäden und aufopferungsvolle Hilfsbereitschaft. Ein besonders gut dokumentiertes Hochwasser gab es im Sommer 1910. Am 12. und 13. Juni trat die Ahr und ihre zahlreichen Nebenläufe über die Ufer. Verantwortlich waren tagelange Regenfälle. Das Wasser wälzte sich wie eine Flutwelle von Müsch bis Sinzig durch das Tal. Das traurige Resultat: 52 Menschen starben an jenen Junitagen. Besonders heftige Zerstörungen waren in Adenau zu verzeichnen. Hier trat der Adenauer Bach aus seinem Bett und überschwemmte die damalige Kreisstadt Adenau vollends, im berühmten Bad Neuenahrer Kurhotel stand das Wasser bei einem Pegel von 1,60 Metern.

Zerstörung der

jungen Ahrtalbahn

Auch 1910 waren die Zerstörungen der Infrastruktur enorm. Besonders betroffen war der Schienenverkehr. Damals wurde gerade die Ahrtalbahn zweigleisig ausgebaut und insgesamt 2000 Mitarbeiter halfen bei der Verlegung der Schienen. Und dies sollte zu einem Problem werden. Überall im oberen Ahrtal lagen beim Einsetzen der Flut Baumaterialien, Maschinen und Geräte. Diese wurden allesamt mitgeschwemmt und bildeten einen Pfropf. So staute sich das Wasser zusätzlich. Außerdem fungierten die massiven Bauhölzer als eine Art Rammbock, die praktische jede Brücke im Ahrgebiet zum Einsturz brachten. Lediglich die Eisenbahnbrücke in Niederadenau hielt stand. Als Resultat stagnierte der Eisenbahnbau, was für die prosperierende Region massive Nachteile bedeutete. Die Bahnbauunternehmer hatten praktisch alles verloren. Auch viele Geschäfte waren betroffen, insbesondere dann, wenn ihre Mauern aus Fachwerk bestanden, die durch angeschwemmtes Holz eingerissen wurden. So wie auch beim Hochwasser des Jahres 2021 waren zahlreiche Straßen unterspült oder komplett hinfort fortgerissen. Das überwiegend landwirtschaftlich geprägte Ahrtal musste schmerzhafte Umsatzeinbußen hinnehmen: Komplette Felder waren verschlammt und das dort angebaute Getreide nicht mehr verwendbar.

Bad Neuenahr

glich einem Trümmerfeld

Während die Zerstörungen in Bad Neuenahr groß waren, blieb Ahrweiler von den Fluten von vor 111 Jahren praktisch unberührt. Die Kuranlagen in Bad Neuenahr glichen einem Trümmerfeld. Überall lagen Baumstämme und Schlamm. Kurios: Der Einsatz der aufräumenden Helfer war derart beherzt, dass die Kursaison fast nahtlos weitergeführt werden konnten. Nach nur wenigen Tagen sah der Kurpark wieder recht manierlich aus; ob dieser Schritt auch im Sinne einer pietätvollen Verarbeitung der tragischen Erlebnisse war, sei dahingestellt.

Bemerkenswert waren die Erlebnisse der Zeitzeugen, die ein frappierend ähnliches Bild der Flut zeichnen, insbesondere wenn es um die subjektiven Sinneseindrücke geht. Alles überdeckend war seinerzeit der Gestank von Kalziumkarbid, das früher in Lampen Verwendung fand, die ebenso fortgespült wurden, wie alles andere auch. Heute wird mit dem stinkenden Stoff Maulwürfe und Wühlmäuse in Gärten vergrämt.

Angst vor Aufständen

Die öffentliche Ordnung war stark angegriffen. Es wurde Bauholz im großen Stil geklaut und sogar Aufstände - insbesondere durch ausländische Gastarbeiter - wurden befürchtet, die glücklicherweise nicht eintraten. Dafür sorgte wohl auch die Präsenz vieler Ordnungskräfte, auch aus umliegenden Gebieten. Die 68. Pionierkompanie reiste aus Koblenz an, um Behelfsbrücken zu bauen und bei den Aufräumarbeiten zu unterstützen. Außerdem musste man sich schon damals gegen „Fake News“ erwehren. So retuschierten manche Fotografen ihre Aufnahmen nach, um die Situation noch dramatischer erscheinen zu lassen, als sie ohnehin schon war. Sprich: In die Aufnahmen eigentlich leerer Straßen wurden Flutwellen hinzugefügt. Es galt, den Bedürfnissen von Schaulustigen gerecht zu werden, die selbst in hoher Mannstärke in das flutgeschädigte Ahrtal pilgerten. Doch die teilweise überzogenen Berichterstattung hatte auch positive Begleiterscheinungen. Durch ganz Deutschland ging eine Welle der Hilfsbereitschaft. Sofort setzten Geld- und Sachspenden ein. Es wurden Kollekten durch das Bistum Trier durchgeführt. Insgesamt flossen 500.000 Reichsmark in die Region, dem gegenüber standen Schäden in Höhe von 2,7 Milliarden Reichsmark.

Bis der Großteil der Schäden beseitigt war, vergingen zwei Jahre. Rückblickend betrachtet mag dieser Zeitraum überschaubar anmuten, dennoch gab es einige Nachfolgeschäden, zum Beispiel bei der Ahrtalbahn. Die Arbeiten zur Fertigstellung verzögerten sich um zwei Jahre und einige Bauunternehmen meldeten Konkurs. Innovative Projekt, wie die Errichtung eines Stausees inklusive eigenem Wasserkraftwerk, mussten verworfen werden. Dies lag zum einen an den massiven Zerstörungen durch die Flutwelle. Aber zu diesem Zeitpunkt bahnte sich bereits eine weitere Katastrophe an: Der 1. Weltkrieg brach 1914 aus und führte zur vollständigen Abkehr von diesen Plänen. ROB