Verbandsgemeinde Altenahr blickt auf die letzten fünf Monate nach dem Julihochwasser zurück

Aufbau nach der Flut: „Es ist eine Herkulesaufgabe“

Aufbau nach der Flut: „Es ist eine Herkulesaufgabe“

Flutschäden in Altenburg. Foto: ROB

Verbandgemeinde Altenahr. Es war eine Herkulesaufgabe, und das ist es noch: Die Bewältigung der Folgen der Flutkatastrophe vom Juli 2021 bringt auch für die Verwaltung der Verbandsgemeinde (VG) Altenahr ein nicht überschaubares Maß an Aufgaben, das selbst mit zunehmendem Abstand zum Ereignis kaum weniger zu werden scheint. Kurz vor dem Jahresende zieht die Verwaltung deshalb für ausgewählte Bereiche eine vorläufige Bilanz.

Ausgangspunkt und Symbol der Situation ist das zerstörte Rathaus der VG, für das kurzfristig zwei Ersatzstandorte in Kesseling und am Roßberg geschaffen wurden. „Die Verwaltung musste ja sofort und so gut wie möglich funktionieren“, so Wolfgang Stodden, Büroleitender Beamter der VG. „Wir haben zeitweise im Schankraum des Hotels Kalenborner Höhe mit acht Kolleginnen und Kollegen auf 30 qm gesessen, bis nach ca. drei Wochen das Hotel am Roßberg ans Glasfasernetz angeschlossen und noch mal zwei Wochen später die Verkabelung vollständig war. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben wochenlang private Laptops und Handys für ihre Arbeit genutzt“. Derzeit entsteht auf dem Tennisplatz neben dem Ersatz-Rathaus eine Leichtbauhalle, in der bis zu 20 Mitarbeitende künftig ihren Schreibtisch haben werden.

41,5 zusätzliche Stellen wurden im Stellenplan ausgewiesen

„Unsere Kernverwaltung hat 37 Vollzeitstellen, 18 Kolleginnen und Kollegen waren selbst zum Teil schwerst von der Flut betroffen, viele waren dienstunfähig“, schildert Bürgermeisterin Cornelia Weigand die personelle Situation. „Es galt, die ganz normalen Aufgaben einer VG-Verwaltung fortzuführen und eine Unmenge an neuen Aufgaben zu bewältigen, dazu ungezählte Abstimmungsgespräche mit Ortsbürgermeistern, mit dem Kreis, mit dem Land und seinen Einrichtungen, mit Energieversorgern und Hilfsorganisationen zu führen, und jenseits der Tagesarbeit die Weichen für den Wiederaufbau zu stellen.“ Es wurden seit der Flutnacht tausende Überstunden auch an den Wochenenden geleistet. „Wir haben jetzt 41,5 neue Stellen geschaffen, mit deren Hilfe wir hoffen, die Aufgabenfülle der Zukunft anpacken zu können, sobald sie besetzt sind.“ Aus dieser Zahl ließe sich ablesen, welche Aufgabenlast in den nächsten Jahren zu bewältigen sein wird.

Mehrere Tausend Betroffenheitsbescheinigungen

Wolfgang Stodden nennt einige Themen, die auf die Verwaltung zugerollt sind. Manche klingen kleinteilig, waren zur Aufgabenerledigung aber nötig und erforderten immer wieder einen Kraftakt. Gleich nach der Katastrophe mussten schnellstens Dienstausweise ausgestellt werden, damit Mitarbeitende wie Helfer Zugang zu den betroffenen Gebieten bekamen. „Wir haben dann auch sofort sogenannte Bürgeramtskoffer von anderen Kommunen und vom Land ausgeliehen, um alles rings um das Meldewesen ermöglichen zu können“, so Stodden. Dazu gehörten zum Beispiel auch Betroffenheitsbescheinigungen, die zur Vorlage bei Versicherungen, im Baumarkt, beim Antrag für Soforthilfe und für Mittel aus dem Wiederaufbaufonds gebraucht wurden. „Dazu mussten wir erst einmal erreichen, dass diese Bescheinigungen überhaupt anerkannt wurden; damit haben wir dann auch Standards gesetzt“. Mehrere Tausend solcher Bescheinigungen wurden letztlich durch Ortsbürgermeister bestätigt und an die Betroffenen ausgehändigt.

Mobiles Bürgerbüro war wochenlang unterwegs

Überhaupt war das Meldeamt gleich anfangs stark gefordert, was nur durch personelle Unterstützung von Nachbarkommunen zu bewältigen war, wie Abteilungsleiter Stephan Farr sagt. „In den ersten Wochen nach dem Ereignis wurden mehr als 300 vorläufige Ausweisdokumente und Meldebescheinigungen für Betroffene ausgefertigt. Über 700 neue Anträge für Ausweisdokumente haben wir bearbeitet.“ Eine der traurigen Aufgaben: Die Beurkundung der 33 Sterbefälle und die Unterstützung der Kriminalpolizei bei den Identifizierungen.

Um den Bürgerinnen und Bürgern im Wortsinn entgegenzukommen, war zwei Wochen nach der Flut ein mobiles Bürgerbüro unterwegs: Zwei Busse waren auch am Wochenende im Einsatz und hatten insgesamt 454 Stunden „geöffnet“, die jeweiligen Anfahrtszeiten noch gar nicht gerechnet.

Und noch ein überraschendes Aufgabenfeld nennt Farr: Durch die Aufräumarbeiten kam es zu einer Vielzahl von Munitionsfunden, „im Durchschnitt einer pro Woche“.

Wahlbusse für die Bundestagswahl

Ebenfalls sofort in den Blick geriet die Bundestagswahl. Schon am 18. Juli hatte Stodden den Landeswahlleiter darauf hingewiesen, dass die VG logistisch nicht mehr in der Lage war, diese durchzuführen, weil die Wahllokale nicht mehr zur Verfügung standen. Das Land organisierte daraufhin Wahlbusse und Personal, die an 80 Terminen an 25 Standorten den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Briefwahlunterlagen wurden dabei von den Mitarbeitern der Gemeindeverwaltung Grafschaft erstellt und ein zentraler Wahlraum am Wahltag durch die Verbandsgemeinde Brohltal gewährleistet.

Für den Untersuchungsausschuss des Landtages müssen sämtliche Akten, die zwischen dem 10. Juli und dem 6. August 2021 entstanden sind, in drei Teilabschnitten und in dreifacher Ausfertigung nach Mainz geliefert werden. Auch völlig fremde Rechtsmaterie war und ist zu bewältigen, wenn es z.B. darum geht, eine Anstalt öffentlichen Rechts zu gründen, die Projektsteuerung des Wiederaufbaus auszuschreiben oder Essensversorgung und sanitäre Grundversorgung für die Bevölkerung sicherzustellen.

Kanäle mussten mehrfach gespült werden

Nicht weniger dringend als die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Verwaltung funktioniert, war die sofortige Sicherstellung der Ableitung des Schmutz- und Niederschlagswassers aus den von der Flut betroffenen Ortslagen. Dazu mussten Abschläge in die Ahr hergestellt werden. „Das war umso wichtiger, als wegen der hohen Temperaturen Seuchengefahr bestand“, erläutert Peter Dismon, Leiter des Abwasserwerks Mittelahr. „Außerdem drohten neue Überflutungen, weil weiterer starker Regen angekündigt war.“

Unverzüglich wurden deshalb die Kanäle gespült, um die Kanalisation von Schlamm und Geröll zu befreien. Bis zu 26 Fahrzeuge, die von anderen Kommunen aus dem ganzen Bundesgebiet angefordert wurden, waren gleichzeitig im Einsatz. Das Spülen musste mehrmals wiederholt werden, da durch die Aufräumarbeiten in den Orten immer wieder Schlamm in die Kanäle gelangte. Doch dabei blieb es nicht: Immer wieder wurden mobile Pumpen eingesetzt, um Schadstellen zu überbrücken, unterbrochene Verbindungen in den Kanälen mussten kurzfristig repariert und alle 15 Pumpwerke wieder in Betrieb genommen werden.

Weitere Projekte: Der Neubau des zerstörten Verbindungssammlers im Sahrtal; Erneuerung von Teilbereichen der Ortskanalisation in Rech inkl. einer Druckspülung unter der Ahr; Erneuerung eines Teilbereiches der Ortskanalisation in der Ahr-Rotweinstraße in Mayschoß.

Temporäre Kläranlagen reinigen das Wasser

Eine besondere Herausforderung waren die zerstörten Kläranlagen in Altenahr und Mayschoß. „Dadurch war keine Abwasserreinigung mehr möglich“, so Dismon. Mit Hochdruck wurde eine provisorische Abwasserreinigung geplant und aufgebaut, mit sechs temporäre Anlagen in Mayschoß (in Betrieb seit Ende August), Ahrbrück (in Betrieb seit Ende September), Pützfeld und Kreuzberg (Inbetriebnahme steht unmittelbar bevor), Hönningen (wird derzeit aufgebaut) und Altenahr (Aufbau im Frühjahr 2022).

Parallel dazu arbeitete das Abwasserwerk an Lösungsvorschlägen für die strategische Studie der Abwasserreinigung im Ahrtal: Soll sie künftig zentral oder dezentral erfolgen? Erste Ergebnisse werden im Januar 2022 erwartet.

Schäden von 1,1 Milliarden an der kommunalen Infrastruktur

Schier endlos stellt sich auch die Liste der Aufgaben in der Bauabteilung dar. „Das normale Geschäft läuft ja auch hier weiter“, so Abteilungsleiter Frank Radermacher. „Aber nun kommt eben ein Bereich hinzu, der sich fast wie eine Neuplanung des Gebietes der Verbandsgemeinde anfühlt. Und der ein großes Maß an Abstimmung mit verschiedenen Behörden verlangt.“

Zunächst stand aber die Ermittlung der Schäden an der kommunalen Infrastruktur an. Bürgermeisterin Weigand hatte schon im Juli als eine der Ersten von „Milliardenschäden“ gesprochen. Für Altenahr ermittelte die VG die Summe von 1,1 Milliarden Euro.

Als besonders arbeitsaufwändig erwies sich dabei die Eintragung aller Projekte, auch der temporären, in den sogenannten Maßnahmenplan, um später die entsprechenden Fördergelder beantragen zu können. Das gilt auch für temporäre Aufgaben“, so Radermacher „und daher wird die Zahl der Maßnahmen voraussichtlich bei über 700 liegen.“

Und noch eine Zahl: Seit dem 13. Juli 2021 sind 86 Bauanträge und Vorbescheide bei der VG eingegangen. Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Zuwachs von 80 Prozent.

Aufwändige Planung z.B. für Tiny Houses

Im Bauplanungsrecht müssen die Bebauungspläne weiterbearbeitet und planungsrechtliche Stellungnahmen zu älteren, aber besonders für neue Voranfragen und Baugenehmigungen erstellt werden. In allen betroffenen Ortsgemeinden gibt es neue Vorkaufsrechtssatzungen. Architekten und Planungsbüros mussten für die Verbandsgemeinde und die Ortsgemeinden beauftragt werden. Gut lässt sich das am Beispiel der Tiny Houses ablesen: Da galt es den Bedarf zu ermitteln, geeignete Grundstücke zu finden, deren Erreichbarkeit zu sichern und die Erschließung zu klären. Für die Vergabe mussten Kriterien erarbeitet werden, denen der Verbandsgemeinderat inzwischen zugestimmt hat.

Abstimmungsmarathon für Straßen, Brücken, Bachläufe etc.

Für Behelfsbrücken war die Abstimmung mit dem Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz und der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord erforderlich. Für die Wiederherrichtung der Bachläufe gab es zahlreiche Gespräche mit den jeweiligen Ortsbürgermeistern. Die Abstimmungsprozesse für die Wiederherstellung von Straßen, Wegen und Plätzen an alter oder neuer Stelle sind teilweise angelaufen.

Sirenen werden installiert

Was den Hochbau betrifft, sind die eigenen Gebäude der Verbandsgemeinde auf Schäden zu überprüfen und der Wiederaufbau bzw. Neubau zu planen und zu koordinieren. Auch die Schäden an privaten und gewerblichen Gebäuden mussten erfasst werden, was sich auf weitere 1,6 Mrd. Euro (kommunale Gebäude: 1,1 Mrd. Euro) summierte. Zentrales Objekt ist dabei das Rathaus der Verbandsgemeinde Altenahr, dessen Keller- und Erdgeschoss von der Flut in Mitleidenschaft gezogen wurden. Auch die Archivierung der Aktenbestände ist inzwischen beauftragt.

Ein schneller Erfolg konnte bei der Erstellung eines Konzeptes zur Warnung der Bevölkerung im Ahrtal erzielt werden: Dieses Konzept wurde an den Kreis übergeben, der es an das Land weitergeleitet hat, und in Gesprächen mit dem Innenministerium erläutert. Einige der neuen Sirenen sind bereits installiert. Damit wird noch in diesem Jahr eine Grundversorgung funktionsfähig sein. Die neuen Sirenen können auch die Signale „Warnung bei Gefahr“, „Entwarnung“ und das bekannte Signal zur Alarmierung der Feuerwehr aussenden. Sie werden über Funk angesteuert und sind auch ohne Strom bis zu 30 Tagen funktionsfähig. Nächster Schritt ist der Ausbau des Sirenensystems im gesamten Landkreis Ahrweiler.

Von Flurbereinigungsverfahren bis zur Betreuung von Duschcontainern

„Darüber hinaus stehen meine Kolleginnen und Kollegen natürlich den Bewohnerinnen und Bewohnern aller Ortsgemeinden für Auskünfte zur Verfügung“, sagt Radermacher. „Das tun wir sowieso. Aber jetzt hat die Zahl der Anfragen enorm zugenommen.“ Und immer geht es dabei um den Wiederaufbau: Wo sind die Leitungen in den Straßen verlegt? Darf ich abreißen? Wie hoch, wie breit kann ich bauen? Was bedeutet überhaupt: hochwasserangepasstes Bauen? „Von den Flurbereinigungsverfahren gar nicht zu reden, auch nicht von der aufwändigen Prüfung aller Rechnungen mit zum Teil sehr hohen Beträgen. Oder auch die ‚Notunterkünfte‘, die für die Feuerwehren zu schaffen waren. Auch die Betreuung von Toilettenkabinen und Duschcontainern hat die Verbandsgemeinde ab Dezember zu koordinieren.“

3000 Vorgänge zur Soforthilfe des Landes

Mit einer neuen Dimension an Anforderungen war auch die Finanzabteilung der VG konfrontiert. Abteilungsleiter Wolfram Bäcker war vor allem daran gelegen, dass die Soforthilfe des Landes für die Ortsgemeinden schnell ankam. Zwischen dem 15. Juli und dem 30. September hat die VG flutbedingte Unternehmerrechnungen vorgeprüft, bescheinigt und der Kreisverwaltung Ahrweiler zur Auszahlung zugeleitet. „Neben dem laufenden Geschäft hatten wir seit Mitte Juli rund 3.000 Vorgänge. Seit dem 1. Oktober zahlt die VG Altenahr direkt aus, bisher etwa 35 Mio. Euro.“ so Bäcker. Zum Vergleich: Der Haushalt eines normalen Jahres hat ein Volumen von rd. 7,5 Mio. Euro.

Auch die großzügige Spendenbereitschaft aus nah und fern bedurfte einer verwaltungskonformen und korrekten Abwicklung: Bis zum 13. Dezember registrierten Bäcker und seine Kolleginnen und Kollegen rund 10.000 Einzelspenden mit einem Spendenvolumen von circa 15 Mio. Euro. Einzahlung, Auszahlung und Weiterleitung der Spenden sowie Prüfung und Ausstellen von steuerlichen Zuwendungsbescheinigungen erledigte die Verbandsgemeindekasse.

Interimsquartiere für Schulen

Strategische Überlegungen müssen auch beim Thema Schulen angestellt werden. Im Fokus ist derzeit die Suche nach einem Ersatzstandort für die Grundschule Dernau. Zurzeit sind die 87 Schülerinnen und Schüler vorläufig in Grundschulen der Gemeinde Grafschaft untergekommen: Die Klassen 1 und 4 in der GS Gelsdorf, die Klassen 2a und 2 b in der GS Ringen und die Klassen 3a und 3b in der GS Leimersdorf, mit einer Nachmittagsbetreuung in Dernau, die die Johanniter organisieren. Auch die Ahrtalschule Realschule plus Altenahr und die Grundschule Altenahr sind ausgelagert. Seit Mitte November ist Grafschaft-Gelsdorf der vorübergehende Standort, wobei die Nachmittagsbetreuung mit Unterstützung der Malteser in Kreuzberg sichergestellt wird.

Für die beschädigten Bestandsgebäude hat der Verbandsgemeinderat beschlossen, dass sie getrocknet und entkernt werden sollen. Wie es mit den Schulen weitergeht, soll als nächstes im Bauausschuss beraten werden.

Das Ziel: Die alte Heimat wird auch die neue Heimat sein

„Es ist fast unmöglich zu beschreiben, welche Herausforderungen auf uns zugekommen sind“, fasst Cornelia Weigand, die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde, zusammen. „Wenn wir in einigen Jahren zurückblicken, werden wir uns fragen, wie wir diese Zeit überhaupt überstanden haben. Ich kann die Leistung meiner Kolleginnen und Kollegen für die Verbandsgemeinde nicht hoch genug würdigen und sage aus tiefstem Herzen ‚Danke‘!“ Sie hoffe darauf, dass bald die zusätzlichen Stellen besetzt sein werden, damit der Wiederaufbau mit neuer Kraft vorangetrieben werden kann. „Wir werden noch lange mit den Folgen der Flut leben müssen, doch jeder Tag bringt uns einen Schritt näher an unser Ziel: Dass unsere alte Heimat auch unsere neue Heimat sein wird. Vielleicht ist das Projekt „Alternativer AhrSteig“ ein gutes Beispiel: Wir finden allmählich neue Wege.“ Pressemitteilung

Verbandsgemeinde Altenahr