In der Pfarrkirche St. Laurentius werden außerdem noch historische Urkunden hinter Kreuzsteinen vermutet

Ahrweiler: Flutarbeiten fördern zwei mittelalterliche Altäre zutage

26.01.2022 - 16:27

Ahrweiler. In Sankt Laurentius, der mehr als 750 Jahre alten Ahrweiler Pfarrkirche, wummern die Bautrockner. Spärliches Tageslicht kann trotz der farbenfrohen Bleiverglasungen der hohen gotischen Fenster dem Kircheninneren nicht seine alte Pracht wiedergeben. Seit der unsagbaren Flut im Juli vergangenen Jahres ist das Gotteshaus, über das Dechant Josef Mettel 2001 sein Buch mit „Du wohnst ganz schön hier, lieber Gott“ titelte nur noch ein Schatten seiner selbst.

Doch, wie der Tristesse zum Trotz, haben die Ausräumarbeiten, die auf die 1,50 Meter hohe Überschwemmung des Kircheninneren folgten, zwei Besonderheiten zutage gefördert. „Besonderheiten, die hinterfragt, erforscht, untersucht und bewertet werden müssen“, sagt Pfarrer Arno-Lutz Henkel beim Gang von der Sakristei durch den Altarraum, in denen wie auch im Kirchenschiff der komplette Fußboden herausgerissen ist.

Im Halbdunkel steuert der Pfarrer, der auch promovierter Kunsthistoriker ist, auf die Stelle im nördlichen Seitenflügel zu, wo einst der sogenannte Kreuzaltar stand. Der Abbau seiner neugotischen Holzkonstruktion sorgte für die erste Überraschung. Nach Osten ausgerichtet steht dort ein aus Quadersteinen gemauerter Altar. Ein realer Altar, nicht einfach eine Basis für den neugotischen Aufbau.


Ortstermin in der Kirche


Pfarrer Henkel zeigt auf die Front des Mauerwerks: „Hier ist ein Kreuz. Das ist der Verschlussstein eines Reliquiengrabes, wie es alle geweihten Altäre haben.“ Auch der Aufbau des Gemäuers mit Sockel, Stipes (Fuß) und Mensa (Tischplatte) sei typisch. Platzierung und Verarbeitung lassen laut Henkel eine Datierung im späten Mittelalter zu.

„Das werden die Untersuchungen der Farbreste zeigen“, sagt der Kunsthistoriker und zeigt auf bräunlichrote Stellen an der Altarplatte. Die Analyse der Zusammensetzung der Farbpigmente werde zeigen, ob diese alt oder neuzeitlich seien. Und auch der Mörtel könne je nach Zusammensetzung „spezifisch für bestimmte Zeiten klar bestimmbar sein“.

Beim Mörtel verwendete Henkel jedoch bewusst den Konjunktiv, denn: „Im Lauf der Jahrhunderte gab es immer wieder bauliche Eingriffe im Kircheninneren.“ Der heutige Standort des Kreuzaltars sei nicht zwangsläufig auch der erste Standort. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, Altäre umzusetzen, wofür man den Steinaltar hätte abbauen und wieder aufbauen müssen – mit neuem Mörtel.

Die einzige Chance auf eine exakte Datierung bedarf des bischöflichen Segens. Denn nur der Oberhirte des Bistums darf die Öffnung eines Reliquiengrabes anordnen. Henkel: „Darin befindet sich neben der Reliquie in der Regel eine Urkunde, und die ist immer mit einem Datum versehen.“ Der Kunsthistoriker und Experte für christliche Archäologie wagt aber auch ohne Urkunde schon eine Schätzung: 14. Jahrhundert.

Dies übrigens auch für die zweite Besonderheit, auf die der Pfarrer zusteuert. Denn im südlichen Seitenschiff hat der Abbau des neugotischen Marienaltars ebenfalls einen Steinaltar zutage gefördert. „In Aufbau und Alter wahrscheinlich gleich, aber doch verschieden“, zeigt Henkel auf die Fugen, kann aber definitiv sagen: „Hier ist es nicht der ursprüngliche Standort, denn der Altar verdeckt zur Hälfte ein sogenanntes Armarium, also eine Mauernische, die einst für die Lagerung von Utensilien für den Gottesdienst genutzt wurde.“ Hier geht Henkel davon aus, dass die Umsetzung des Altars spätestens dann erfolgte, als in den 1960er Jahren der neue Eingang zur heutigen Marienkapelle, der alten Sakristei, geschaffen wurde.


Altäre waren einst bunt


Bei beiden entdeckten Altären ist sich Henkel sicher: „Sie waren richtig bunt.“ Menschen im Mittelalter hätten mit Farbe Materialien imitiert, die sie selbst nicht zur Verfügung gehabt hätten. Also eine Art „gut gemeintes Blendwerk“. Die sogenannte Steinsicht – also die reine Steinoptik - sei erst im 19. Jahrhundert im Zuge der Romantik in Mode gekommen. Über den künftigen Umgang mit den Funden und auch über die Gestaltung des Kircheninneren vom Chor bis zum Hochportal werde in den zuständigen Gremien beraten. Die Großbaustelle Sankt Laurentius wird es noch länger geben. Denn die Behebung der Flutschäden in Millionenhöhe erfordert neben dem baulichen Part eine ganze Menge Geduld für Planung und Bürokratie. Ginge es nur nach den Architekten, würde Sankt Laurentius in 18 bis 20 Monaten wieder in altem Glanz erstrahlen. Doch zuerst müssen die finanziellen Mittel da sein. Weitere Faktoren seien die Verfügbarkeit von Handwerker, das Funktionieren der Lieferketten und auch die weitere Corona-Situation. „Da können wir keine Hausnummer sagen. Wenn alle Stricke reißen, werden es mehrere Jahre. Wir sind um jeden Monat dankbar, den es schneller geht“, sagt Henkel, der auch um die anderen Flut-Baustellen der Pfarrei Bad Neuenahr-Ahrweiler weiß.

Gut 20 Objekte von Kirchen über Kapellen, Kindergärten und Pfarrhäuser sind in der Kreisstadt von der Flut betroffen gewesen. Und längst noch nicht alle Schäden sind begutachtet und bewertet worden. Erst dann können laut Henkel entsprechende Förderanträge gestellt und bei Bewilligung Aufträge vergeben werden.


Hoffen auf Bundesmittel


Im Fall der Ahrweiler Laurentius-Kirche wird von einer Schadenshöhe von mindestens zwei Millionen Euro ausgegangen. Hier hofft die Pfarrei auf die 80-Prozent-Förderung aus dem Wiederaufbauprogramm des Bundes. Die restlichen 20 Prozent übernehmen dann laut Pfarrer Henkel das Bistum Trier und die Pfarrgemeinde. Da heißt es aktuell abwarten.

Indes gehen die Arbeiten an der Gestaltung der Außenfassade der Kirche weiter. „Die Arbeiten haben nichts mit der Flut zu tun, die waren geplant und werden fertig ausgeführt“, sagt Henkel. Ein angedachtes Auslassen der Ostseite der Kirche von den Sanierungsmaßnahmen sei vom Tisch. Fakt ist für den Pfarrer aber jetzt schon: „Die Kirche wird außen eher strahlen als innen.“ Und Ungeduld sei wie bei allen Flutbetroffenen ein ständiger Begleiter. GS

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