Die TelefonSeelsorge Bad Neuenahr Ahrweiler hat während der Pandemie deutlich mehr zu tun als vorher
Einsamkeit betrifft viele Menschen
Kreis Ahrweiler. Die Corona-Pandemie berührt jeden Aspekt des alltäglichen Lebens. Das registrieren auch die Mitarbeiter der TelefonSeelsorge Bad Neuenahr Ahrweiler. Seit Ausbruch des Virus wird das Angebot zum anonymen Gespräch öfter als zuvor genutzt. Lena Saltzmann, Vorsitzende des Vorstandes, informiert im BLICK aktuell-Interview über die derzeitgen Herausforderungen.
BLICK aktuell: Mit welchen Nöten treten die Menschen an die Telefonsorge heran?
Saltzmann: Die Probleme sind vielfältig. Dies sind in erster Linie familiäre Probleme, Schwierigkeiten in der Arbeitswelt oder kann auch das Thema „Wohnen“ betreffen, wie beispielweise Konflikte mit den Nachbarn oder dem Vermieter.
Einsamkeit ist in Corona-Zeiten ein großes Thema: Verlust an Kontakten durch Umzug, Arbeitsplatzverlust, Renteneintritt, Krankheit, Verlust des Partners etc., Trauer, Depressionen bis hin zu Suizid - allen diesen Schwierigkeiten begegnen wird häufig.
Tatsächlich werden in den Telefonseelsorge alle Felder des menschlichen Lebens berührt. Sehr häufig ist die Telefonseelsorge der einzige Ansprechpartner, dem sich die Menschen anvertrauen möchten.Denn hier geht es oft darum einzugestehen, dass sich der Anrufer nicht zutraut bestimmte Fragen seines Lebens selbst zu lösen. Die Vertraulichkeit der Gespräche ist sehr wichtig.
BLICK aktuell: Haben sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie die Sorgen und die Häufigkeit der Anrufe geändert?
Saltzmann: Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Frau, die sagte, einsam sei sie schon lange, aber nun könne sie sich nicht einmal mehr in ein Cafe setzen und so tun als gehöre sie dazu. Das hat mich sehr berührt.
Wir beobachten tatsächlich eine Veränderung bei den Anrufen, die wir auf die Pandemie und die Maßnahmen dagegen zurückführen können. In der Jahresstatistik können wir zwischen 2019 und 2020 einen Zuwachs von über 5 Prozent an Gesprächen und sogar eine Zunahme von ca. 10 Prozent an seelsorglichen Gesprächen. Auch in der Thematik wird gezielt Corona oft angesprochen und das Thema Einsamkeit wird überproportional häufig genannt.
BLICK aktuell: Als wie schwerwiegend betrachten Sie die Auswirkungen der Pandemie und dessen Begleiterscheinung wie die Reduzierung der Sozialkontakte, Homeoffice und Homeschooling auf die menschliche Psyche?
Saltzmann: Bei uns rufen schon zu „normalen Zeiten“ viele Menschen an, die psychische Probleme haben oder unter Depressionen und Angststörungen leiden. Viele rufen gezielt zwischen den Besuchen beim Psychiater bei uns an um sich zu entlasten. Für diese Menschen brechen die gewohnten Routinen in der Pandemie weg und die Ängste nehmen zu. Die Reduzierung der Sozialkontakte bedeutet zuerst einmal ein Überangebot an Zeit, das gefüllt werden muss. Ob diese Zeit als Langeweile empfunden wird oder als Muße hängt ganz wesentlich davon ab, auf welche Ressourcen ich zurückzugreifen gewohnt bin und zurückgreifen kann. Hobbys spielen hier eine wichtige Rolle. Wer gerne liest, Musik macht oder malt, wird seine zusätzliche Freizeit gewinnbringend für sich nutzen können. Wer früher seine Zeit mit Reisen, Shoppen oder Freunde treffen verbracht hat, empfindet nun stärker den Verlust an Möglichkeiten.
Arbeiten von zu Hause und Unterricht zu Hause sind heute dank moderner Medien möglich. Für das Erlernen von „Softskills“ sind sie aber wenig geeignet. Die Gefahr der weiteren Vereinzelung besonders bei Kindern und Jugendlichen ist daher nicht zu unterschätzen. Das Suchtpotential von übermäßigem Medienkonsum ist eine große Gefahr. Auch wächst der Druck auf die Eltern, wenn Homeoffice und Homeschooling dann auch noch in beengten und schlecht ausgestatteten Wohnungen unter einen Hut gebracht werden muss. Wie bei vielen Herausforderungen gibt es auch hier zwei Seiten einer Medaille: Schulen, Arbeitgeber, Vereine, Ämter investieren viel in die Nutzung elektronischer Medien. Der Umgang damit will gelernt werden und bietet Chancen für jetzt und die Zukunft. Für uns alle bedeutet die Pandemie eine massive Verunsicherung und die Erfahrung, dass wir nicht alles in der Hand haben. Dieser Verlust an Handlungsmöglichkeiten kann traumatische Auswirkungen haben.
BLICK aktuell: Auch wenn die Lockdowns nicht leichtfertig von der Politik verabschiedet wurden: Hat man sich im Vorfeld zu wenig Gedanken über die psychologischen Auswirkungen gemacht?
Saltzmann: Der vorherrschende Gedanke beim Auftreten der Pandemie war der Schutz insbesondere älterer Menschen vor der Ansteckung und den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen bis hin zur intensivmedizinischen Versorgung. Dass die Psyche ebenso schlimm erkranken kann und der Verlust an Lebensqualität viele und insbesondere Kinder und Jugendliche auf lange Zeit belastet, hatte die Politik sicher nicht so auf dem Schirm. Man hoffte wahrscheinlich, schneller die Pandemie eindämmen zu können. Nach einem Jahr Corona setzt sich allmählich die Gewissheit durch, dass wir alle damit leben werden müssen. Ich hoffe, dass wir Stück für Stück wieder mehr Handlungsmöglichkeiten erhalten und diese Krise auch zu einem Umdenken führt: Was zählt wirklich in meinem Leben? Es sind die sozialen Kontakte zur Familie, zu Freunden, Arbeits- und Vereinskollegen und Nachbarn.
Auch bei uns im Verein der TelefonSeelsorge Bad Neuenahr Ahrweiler vermissen wir schmerzlich die Kontaktmöglichkeiten zu unseren Mitgliedern. Supervisionen und die Ausbildung neuer Mitglieder finden nur per Telefon oder Videokonferenz statt. Auf Fortbildungen haben wir im letzten Jahr ganz verzichtet und werden die nächste per Videokonferenz veranstalten. Das ist für einige unserer älteren Mitglieder eine große Herausforderung, der sich dankenswerterweise viele neugierig stellen. Dennoch: Wir brauchen neue Bewerber, die die Ausbildung zum Telefonseelsorger machen möchten, damit wir unseren Stand von etwa 70 aktiven Mitgliedern halten können. Informieren können sich Interessenten unter www.ts-aw.de oder per Mail über info@ts-aw.de Kontakt mit uns aufnehmen. ROB
Lena Saltzmann, Vorsitzende des Vorstandes. Foto: privat
