Ein Tanzprojekt in Sinzig
Tänzer und Zuschauer finden zu sich selbst
Ballettschule „tanzahrt“ zeigte mit „Plan/et/terre“ die Entwicklungsziele der UNO als szenische Choreografie
Sinzig. Die Sinziger Ballettschule „tanzahrt“ präsentierte im Helenensaal „Plan/et/terre – Ein Tanzprojekt und 17 globale Entwicklungsziele“. Die Entwicklungsziele der UNO zu vertanzen, hat selbstverständlich starke politische Dimensionen. Und so ist es nur logisch, wenn Nicole Faust vor Beginn der Aufführung das Publikum dazu aufrief, für die eingeladenen Schülerinnen von „Fridays for future“ zu spenden.
Es begann mit dem Thema „Leben an Land“, wobei Ameisen, Schildkröten, Hummeln und Grashüpfer auftauchten. Schon diese ersten Tanzszenen ließen ahnen, dass es um mehr ging, als nur Natur zu spielen, denn nur wenn die Ameisen zusammenarbeiteten, konnten sie das Leben bezwingen.
Immer wieder standen zwei Aspekte im Vordergrund: Einmal das Ins-Bild-setzen der Problematik Nachhaltigkeit und gleichzeitig oder nacheinander der Appell an die Zuschauer, ihr Leben zu verändern. So wurde die „Saubere Energie“ von den Tänzerinnen als Wind dargestellt, und es folgte der Aufruf zum verantwortungsvollen Umgang mit Strom. Erstaunlich die unglaubliche Vielfalt an Bewegungsabläufen und -möglichkeiten, mal fließende und schwungvolle Bewegungen, mal langsam und sanft. So können die jungen Menschen die Dynamik und Kraft des Windes körperlich erfahren, und der Zuschauer kann es beinahe körperlich miterleben. Stets wird an unterschiedlichen Dynamiken, Koordination und Beweglichkeit gearbeitet. Beim Thema „Nachhaltigkeit“ füllte sich der Saal mit Plastikflaschen, die anschließend als Trommeln den Rhythmus bestimmten – ein Flaschentanz der besonderen Art, ein lautes und starkes Bild, das die Grenze zum politisch motivierten Flashmob schon überschritt.
Tango symbolisierte die soziale Lage von Landarbeitern
Nach der Pause ging es weiter mit Cello-Musik. Unter der Leitung von M. Recker-Johnson spielte das Ensemble einen Tango, wobei das Thema Armut/Kinderarbeit vertanzt wurde, das schließlich in einem Volkstanz der Arbeiterinnen gipfelte. Auch hier zeigte sich wieder sehr schön, wie bei jeder Choreografie Musik und Tanz korrelieren, denn der Tango spiegelt die soziale Situation und das Elend der südamerikanischen Landarbeiter wider. Beim nächsten Bild ging es um das Thema „Innovation“. Die zwei Seiten des Fortschritts wurden von den Tänzerinnen eindrucksvoll in Szene gesetzt: der Mensch als Maschine.
Als weiterer Gast trat Holger Queck auf, der die Seeräuber-Jenny von Brecht/Weil sang zum Thema „Gender“. Damit war der dramaturgische Höhepunkt des Abends erreicht: Krieg/Frieden und Frauenrechte, nicht zufällig steht der Mensch im Mittelpunkt, denn er hat schließlich die Probleme geschaffen, mit denen sich die gesamte Menschheit auseinandersetzen muss. Die Probleme der modernen Frau mit Haushalt, Ausbildung, Beruf, Kindern und Arbeit wurden als Schattenspiel dargestellt, ein Akt der Verfremdung, der das Schwarz-weiß-Denken vieler Menschen zum Thema macht. Zum Schluss kamen wieder Tiere auf die Bühne, womit sich dramaturgisch der Kreis schloss, diesmal sechs Eisbären, die zu Anfang ausgelassen herumtollen, sich aber dann auf ihre Eisscholle zurückziehen, auf der sie verhungern müssen: Das Licht ging aus.
Ein starker visueller Appell zum Ende der Vorstellung
Kein Happy-End, aber ein starker Appell in einer Vorstellung mit hohem Qualitätsanspruch und ungeheurer Kreativität bei allen Beteiligten. In ihrer Dankesrede betonte Nicole Faust noch einmal, dass dies ein Gemeinschaftsprojekt aller 105 Beteiligten zwischen fünf und 50 plus war von der Musik über die Plakate bis zum Tanz. Umgekehrt bedankten sich auch die Schülerinnen für die hohe künstlerische und tanzpädagogische Arbeit bei ihrer Meisterin Nicole Faust, die allen ein tolles Gemeinschaftserlebnis ermöglichte.
Bei dieser Performance waren die Zuschauer nicht mehr nur Empfänger und der Künstler Bedeutungsträger, sondern die Deutung und Bedeutung musste im Kopf des Zuschauers stattfinden, der so aktiver Teil der Aufführung wurde. So wie Nicole Faust offenbar zeitgenössischen Tanz versteht, finden die Tänzer sich selbst und ihre Themen im Tanz. Was könnte dafür besser geeignet sein, als die globalen Entwicklungsziele der UNO für die Menschheit.
