Zentrale Gedenkfeier der Verbandsgemeinde Altenahr

„Unser Herz muss sprechen dürfen“

31.08.2021 - 11:01

Altenburg. „Es muss auch eine Zeit für Trauer, eine Zeit für Tränen geben. Unser Herz muss sprechen dürfen, und unsere Seele“. Mit einer Trauerrede, die perfekt die Stimmung an der Mittelahr widerspiegelt, traf Cornelia Weigand, die parteilose Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, den Nerv der Menschen, die an der zentralen Gedenkfeier für die Opfer der Flutkatastrophe teilnahmen. Auf dem Freigelände der Ahrtalschule in Altenburg hatten sich mehrere hundert Bürger der Verbandsgemeinde Altenahr sowie Angehörige der Opfer zusammengefunden, um gemeinsam einen Schritt zur Bewältigung der furchtbaren Folgen der Katastrophe biblischen Ausmaßes zu gehen. Doch für viele ist es noch ein weiter Weg, dessen Ziel vielleicht nie erreicht werden kann.

Selbst der Himmel weinte ohne Unterlass und dämpfte die ohnehin schon traurige Stimmung noch einmal deutlich. Mit dem getragenen „Pie Jesu“ von Gabriel Fauré setzte das Blechbläserensemble der Rheinischen Musikschule Köln unter der Leitung von Michael Rosinus den Grundton für die gut einstündige Trauerfeier. Eine große Leere und ein dauerhaftes Gedämpftsein prägten auf sechs Wochen nach dem Ereignis noch viele Betroffene, wussten Pfarrer Axel Spiller und Gemeindereferentin Manuela Kremer-Breuer. Sie blickten noch einmal auf das Geschehen in der Katastrophennacht zurück, als auch die Flucht auf den Speicher keine Sicherheit gab und viele sogar aufs Dach klettern mussten. Mit ungebändigter Gewalt bahnte sich das Wasser seinen Weg, und das Gefühl des Verlorenseins machte sich breit. Todesangst und die Sorge um andere Menschen, der Verlust von Hab und Gut hätten sich für immer eingeprägt und würden immer wieder aufs Neue aufgeweckt.


Gefühlte Sicherheit und Geborgenheit weggespült


Mit den zerstörten Häusern sei zugleich das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit der Menschen weggespült worden. Bilder, Briefe, Erinnerungen und alles, was das eigene Leben ausgemacht habe, seien von den Wassermassen und anschließend vom Schlamm weggenommen worden. Lebensentwürfe seien zerbrochen, Träume vom eigenen Haus zerborsten, Elternhäuser weggerissen, Nachbarschaften auseinandergerissen und Familien getrennt worden. „Es ist kein Ort mehr da, den man besuchen kann.“ Doch auf der anderen Seite gebe es auch Hoffnung und Zuversicht, vor allem dank der unzähligen Menschen, die gleich von Anfang an da waren und immer noch in das Tal kommen, um zu helfen, mit anzupacken, die Betroffenen zu unterstützen und in einem ungeahnten Ausmaß zu spenden. „Neues ist am Werden, Ideen und Entscheidungen stehen an“, wusste Spiller aber auch, dass es nun gelte, nach vorne zu blicken. „Wo, wie, was kann und muss gestaltet werden, damit die Menschen hierher zurückkommen, im Ahrtal wieder ihre Zukunft sehen und hier leben können.“

Bürgermeisterin Cornelia Weigand stellte in ihrer Trauerrede fest: „In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli hat sich alles verändert.“ Die Ahr, früher eine launige Weggefährtin, sei zu einem „Monster, einem brutalen Ungeheuer“ geworden: „Sie hat unsere Heimat zerstört. Das Herz der Mittelahr ist herausgerissen.“ Aufgetürmt auf unvorstellbare Höhen von über zehn Metern habe der Fluss alles unterspült, überrollt und zerstört. „Rasend und tosend haben ihre braunen Fluten alles verschlungen, was in ihrem Weg war.“ Für 38 Menschen habe sie einen gewalttätigen, qualvollen Tod bedeutet. Viele weitere konnten dem Tod nur knapp entgehen, haben die Nacht und oft auch viele Stunden des neuen Tages in Lebensgefahr verbracht. Etliche haben sichtbare Verletzungen davongetragen. „Die meisten von uns sind im Innersten schwer erschüttert, sind traumatisiert worden in diesen dunklen Stunden“, wusste Weigand.


Keine Worte können beschreiben, was passiert ist


„Und als wäre das alles nicht genug, hat die Ahr uns noch gleich unser Zuhause genommen.“ Sie habe zusammen mit den Häusern auch gleich die Straßen und Brücken mitgenommen, die Ahrtalbahn wie ein ungeliebtes Spielzeug verbogen. „Es gibt keine Worte, wirklich zu beschreiben, was passiert ist.“ Doch die schier unendliche Arbeit, die Kraft, die so viele aufgebracht hätten seit der Stunde, an der das Wasser das Land wieder freigegeben hat, „haben uns durchhalten lassen.“ Nun könne man sich gegenseitig stützen, wenn der Schmerz überwältigt. Gegenseitig könne man sich helfen, damit die Wunden heilen - hoffentlich. „Die Narben dieser Nacht werden uns wohl begleiten, solange wir leben“, befürchtete sie.

Dennoch sei sie beeindruckt von der Kraft der Menschen hier und dem Mut, den sie haben. „Wir alle sind so dankbar für die überwältigende Fülle an Spenden, für die Hilfe, die wir seit der ersten Stunde, bis heute, erfahren dürfen.“ Die Hilfe komme von Ehrenamtlichen aus den Orten, von Hilfs- und Rettungsorganisationen, von Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr und THW, aber auch von Privatpersonen, von Bauunternehmen, Handwerkern, Bauern, von Seelsorgern und von anderen Kommunen. Hilfe von jungen Menschen, ebenso wie von älteren. „Von Menschen, die sich nicht haben bitten lassen, die nicht lange gefragt haben. Die einfach angepackt haben, immer wieder, jeden Tag neu. Hilfe ist Unterstützung. Sie kann ihre positive Wirkung nur entfalten, kann nur nutzen und Früchte tragen, wenn wir auch selber den Mut und den Willen haben, weiterzumachen, wieder aufzubauen. Deshalb tut diese Tatkraft so gut. Sie zeigt, wir haben so vieles verloren, nicht aber die Hoffnung. Denn die Hoffnung besteht auch weiterhin. Hoffnung, dass unser Tal wieder aufgebaut wird. Dass wir unser Tal, unsere Täler, wieder aufbauen zusammen mit all denen, die uns helfen, uns unterstützen, sei es ehrenamtlich oder von Berufs wegen. Unsere Häuser, unsere Betriebe und all das wiederaufbauen, was das Ahrtal, die ganze Ahr-Region, was unser Zuhause so lebens- und liebenswert gemacht hat. Jetzt brauchen wir Ausdauer und Kraft. Wenn wir zusammenstehen, zusammenhalten, zusammenarbeiten, können wir gemeinsam die Zukunft an der Ahr, unsere Zukunft an der Ahr wahr werden lassen. Damit unsere alte Heimat auch unsere neue Heimat werden kann.“


Kerzen für alle 38 Todesopfer entzündet


Die Namen aller 38 Todesopfer wurden verlesen, während Tamara L. Orschler und Martina Gilles für jedes einzelne eine Kerze entzündeten. Unfassbar, dass eine fünfköpfige junge Familie aus Ahrbrück in dieser Nacht ausgelöscht wurde. In Ahrbrück kamen zwei weitere Menschen ums Leben. Aus Kreuzberg ließen zwei Menschen ihr Leben in den Fluten, aus Altenburg drei, aus Altenahr fünf, aus Mayschoß vier, aus Rech einer, aus Dernau acht, aus Marienthal drei. Opfer gab es auch aus dem Kreis der Camper zu beklagen, sie waren in Datteln, Niederkassel und Wesseling zu Hause. Auch für die noch Vermissten sowie für Verstorbene, die bereits beerdigt, aber dennoch von der Flut davongetragen worden waren, wurden Lichter entzündet. JOST

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