Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz, beantwortet Fragen

Wiederaufbau im Ahrtal: Was wurde geschafft, was ist noch zu tun?

Wiederaufbau im Ahrtal: Was wurde geschafft, was ist noch zu tun?

Abgelegtes Baumaterial in Reimerzhoven. Foto: ROB

Wiederaufbau im Ahrtal: Was wurde geschafft, was ist noch zu tun?

Ralf Hellrich bei einem Vor-Ort-Termin im Ahrtal mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Foto: privat

Kreis Ahrweiler. Seit der ersten Stunde nach der Naturkatastrophe sind die Handwerker im Ahrtal am Wiederaufbau beteiligt. Auch für Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz, verging seit fast keine Woche, in der er nicht im Ahrtal unterwegs war. Was wurde geschafft, was ist noch zu tun.

Herr Hellrich, Eine kurze Bilanz, wie läuft der Wiederaufbau aus Sicht des Handwerks?

Das Handwerk hat nach der Flutkatastrophe eine riesige Verantwortung übernommen – man muss sagen: übernehmen müssen! Denn wer sollte die fachlichen Probleme um zerstörte Versorgungsnetze sonst lösen, die Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten anstoßen und organisiert übernehmen? Das war eine bis dahin nicht gekannte Dimension und ich darf heute sagen: dieser Verantwortung ist das Handwerk gerecht geworden. Die ersten Schritte aus dieser Katastrophe und das, was folgte, sind aus Sicht des Handwerks gut gelaufen. Das lassen wir uns auch von Niemandem schlecht reden. Gleichwohl: fertig sind wir noch lange nicht und der Wiederaufbau wird dauern.

Wie beurteilen sie die Lage heute, rund 15 Monate nach der Flut?

In einigen Bereichen ist es besser und schneller gelaufen, als man zunächst annahm. Die Angebote des Handwerks stehen, sie sind qualitativ wie auch quantitativ gut hinterlegt. Was verbessert werden kann, ist die Bekanntheit dieser Angebote bei den Betroffenen. Hier haben wir trotz aller Öffentlichkeitsarbeit, aller Ansprache und Bemühungen dazu lernen müssen.

Wie erklären Sie sich das?

Eine solche Krise setzt ein Umdenken bei den üblichen Kommunikationsformen voraus. Viele Betroffene waren nicht in der Lage, die zahlreichen Hilfsangebote in ihrem Sinne zu analysieren und anzufordern. Ich denke mit den heutigen Erfahrungen, dass wir in vergleichbaren Situationen ein vorbereitetes System anbieten müssen, über das Hilfe zentral organisiert und gesteuert wird. Angebote müssen zeitlich und inhaltlich so gegliedert werden, dass sie sich an den Erfordernissen und Bedürfnissen orientieren. Nach der Ahrflut gab es aus unserer Sicht zu viele ungesteuerte Informationen, Plattformen, Kanäle und Initiatoren, was eine Übersichtlichkeit eher erschwerte als konkrete Hilfe zielgenau zu vermitteln.

Was ist der größte Hemmschuh beim Wiederaufbau?

Wie gesagt: die Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage ist verbesserungswürdig. Es ist nur schwer verständlich, wenn einerseits über unsere Internetplattform handwerk-baut-auf.de rund 1800 Handwerksbetriebe aus ganz Deutschland ihre Leistungen anbieten, auf der anderen Seite Betroffene sagen, dass sie nach Wochen oder Monaten immer noch keine Handwerker finden konnten. Weil sie beispielsweise nicht wissen, dass es handwerk-baut-auf.de gibt. Und das, obwohl wir wirklich alle Kommunikationsregister gezogen haben. Doch Krisen haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten – auch in der Frage von Wahrnehmungen. Daraus müssen alle Beteiligten lernen.

Gilt das auch bei der Frage der Auftragsvergabe?

Ein ganz klares Ja. Der vertraute Handwerksbetrieb von nebenan ist sicherlich der Wunschpartner beim Wiederaufbau, doch in vielen Fällen überlastet und selbst betroffen. Deshalb haben wir rechtssichere Lösungen angeboten, die eine Installation durch Betrieb A aus Köln oder München vorsieht und die anschließende Wartung durch Betrieb B aus der Ahr-Region. Eine Möglichkeit, die leider zu selten genutzt wurde.

Der Facharbeitermangel ist nicht nur ein Problem im Ahrtal. In welchen Gewerken gibt es den größten Bedarf?

Die Fachkräftesicherung ist das große Thema der deutschen Wirtschaft. Wenn dann eine Region, ein Projekt oder eine Situation die Konzentration von Fachkräften fordert, macht sich die angespannte Lage natürlich besonders stark bemerkbar. Insofern macht die Nachfrage auf den vielen Baustellen des Ahrtals das sichtbar, was als Fachkräftemangel ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Das gilt nicht für ein einzelnes Gewerk, sondern für die Wirtschaft als solche.

Erfährt das Handwerk zu wenig Wertschätzung?

In diesen Situationen wird sehr deutlich, welchen Stellenwert das Handwerk für unser Leben hat. Mein klarer Apell kann also nur lauten, sich verstärkt mit dem Handwerk, seinen Berufenund Arbeitsbereichen vertraut zu machen. Das Jugendliche sich hier verwirklichen und am Ende des Tages sehen können, was sie geschafft haben, ist ein zusätzlicher Anreiz, ins Handwerk zu gehen!

Das klingt nach Trommeln für Handwerksberufe. Wie sieht es denn aus auf dem Ausbildungsmarkt?

Erfreulich ist das Interesse von Jugendlichen an einer handwerklichen Ausbildung in den Betrieben des Kreises Ahrweiler. Wir haben hier gegen den bundesweiten Trend Zuwachsraten, in diesem Jahr einen neuen Zehnjahresrekord bei der Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverhältnisse! Auch daraus lassen sich interessante Schlussfolgerungen ziehen. Die Jugend will helfen und sucht nach effektiven Wegen sich einzubringen. Das Handwerk bietet diese und wird entsprechend wahrgenommen. Wir wollen diese Erfahrung im Sinne der Fachkräftesicherung nun noch besser nutzen und haben mit der Landesregierung Projekte angestoßen, setzen diese auch bereits um, um noch mehr Jugendliche für das Handwerk und das Ahrtal zu gewinnen. Was wir hierbei gerade erleben, macht richtig Mut!

Was planen Sie für das 2023, wo kann man noch nachsteuern?

Wir arbeiten in zwei Schwerpunktbereichen und werden das 2023 intensivieren. Zum einen in der Beratung von betroffenen Handwerksbetrieben beim Wiederaufbau. Das schließt auch die Antragstellung der Wiederaufbauhilfen ein. Zum anderen in der Vermittlung von handwerklichen Leistungen an Flutbetroffene. Da wir inzwischen um die Stellen wissen, wo der Schuh drückt, können wir gezielter helfen, organisieren und beraten. Nach wie vor ist die Handwerkskammer organisatorisch wie auch personell umgegliedert im Sinne der Wiederaufbauhilfe. Auch unsere Jour-Fix-Runden, die Verantwortliche des Krisenmanagements, der Versorgungsunternehmen, Hilfsorganisationen, der Landesregierung oder Kommunalpolitik und handwerkliche Organisationen an einen Tisch bringen, setzen wir nach Bedarf fort. Wir haben hier – vielleicht etwas jenseits der öffentlichen Wahrnehmung – viel erreichen können. Kurt Krautscheid als Präsident der Handwerkskammer Koblenz und ich als Hauptgeschäftsführer haben uns hier auch persönlich sehr stark eingebracht.

Viele Betriebe waren selbst betroffen, wie weit sind die mit dem Wiederaufbau?

Rund 600 Handwerksbetriebe liegen im Flutgebiet. Viele erlitten Totalschäden. Der Spagat aus betrieblichem und privatem Wiederaufbau war natürlich ein Problem, denn auch viele Mitarbeiter in den Handwerksunternehmen waren betroffen. Das musste alles unter einen Hut gebracht werden, und wir haben festgestellt, dass viele Unternehmen ihre Kundschaft erstrangig versorgt haben und eigene Bedürfnisse hintenanstellten. Was Folgen hatte und hat, denn viele Anträge auf Wiederaufbauhilfe sind noch immer nicht gestellt. Auch hier haben wir unsere Beratung entsprechend geschult und helfen beim Verfahren. Das sind Aufgaben, die normalerweise nicht durch eine Handwerkskammer erledigt werden. Doch wer will in dieser Situation Grenzen ziehen? Wenn wir dieser Katastrophe mit all ihrem Leid und Zerstörung etwas Gutes zuordnen können, ist es das Zusammenrücken der Handwerkerfamilie und die gemeinsame Arbeit mit vielen Partnern mit einem konkreten Ziel: der Wiederaufbau soll vollständig und für alle zufriedenstellend gelingen!

Pressemitteilung

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Wiederaufbau Ahr