Redaktionsgespräch mit BLICK aktuell

Aufbau im Ahrtal: „Wir dürfen uns nicht mit dem Durchschnitt zufriedengeben“

Aufbau im Ahrtal: „Wir dürfen uns nicht mit dem Durchschnitt zufriedengeben“

Hermann Krupp im Gespräch mit Peter Berg und Hans Stefan Steinheuer.

Sinzig-Westum. Seit der Flut im Ahrtal im Juli 2021 ist eine Menge Zeit vergangen. Nicht nur der Wiederaufbau beschäftigt die Menschen im Kreisgebiet, sondern vor allem der Neuaufbau. Im Kreis Ahrweiler ist man sich einig, dass die Katastrophe eine Chance für einen Restart der Region darstellt. Viele Ideen kamen bereits auf den Tisch. Ein roter Faden scheint indes immer noch zu fehlen. Wie das Ahrgebiet der Zukunft aussehen kann, haben Peter Berg und Hans Stefan Steinheuer bereits vor Augen. Der renommierte Landschaftsdesigner und der Sternekoch wurden vor kurzem in den Regionalbeirat der IHK für den Kreis Ahrweiler gewählt. Ideen haben die beiden reichlich. Über die Vorstellung eines vitalen Ahrtals, das gleichzeitig natürlich, attraktiv und zukunftsfähig ist, sprachen Steinheuer und Berg nun mit BLICK aktuell-Chefredakteur und Geschäftsführer des Krupp Verlages, Hermann Krupp. Im Wintergarten von Peter Berg ging es dabei vor allem um die großen Punkte Wiederaufbau, Authentizität und die Bedeutung der Marke „Ahrtal“.

Mit der Frage „Was lief seit dem 15. Juli 2021 gut und wo wurden Fehler gemacht?“ startete Hermann Krupp in das Gespräch. Für Hans Stefan Steinheuer stehe fest, dass die Menschen im Ahrtal nicht damit gerechnet hätten, neun Monate nach der Flut immer noch nicht wieder in ihren Häusern zu sein. Reparatur und Renovierung dauern also länger als vermutet. Auch die Arbeitsweise der ISB in Bezug auf die finanziellen Hilfen sehe er ebenfalls kritisch. „Bei der ISB kamen bisher etwa 2000 Anträge an, wovon 1000 gleich wieder zurückgingen, da sie falsch ausgefüllt gewesen wären. Knapp 480 Anträge wurden angezahlt,“ fasst Steinheuer zusammen. Er empfehle Entscheidungsträgern wie der ISB „einfach mal mit 20 Mann von Sinzig nach Blankenheim zu gehen.“ So würden die Verantwortlichen auch sehen, wo Hilfe gebraucht wird. Trotz dieser Nachschau zur bisherigen Leistung der ISB bleibe keine Zeit für Rückgewandtheit. „Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass das Tal wieder schön wird“, so der Sternekoch aus Heppingen.

Peter Berg geht noch einen zeitlichen Schritt zurück und greift die Schuldfrage zur Katastrophe auf. Er habe das Gefühl, dass eine Stimmung nach dem Motto „Wenn der Klimawandel schuld ist, können wir eh nichts machen“ herrsche. Dabei könne man in der Zukunft sehr wohl sehr viel machen. Insbesondere dann, wenn die Fehler der Vergangenheit ausgeräumt würden. Beispiele seien Flurbereinigungen, Bodenversiegelungen und falsche Bebauung.

Viel Geld für unsinnige Aktionen

„Wie sind die Ansätze für einen sinnvollen Wiederaufbau?“ möchte Krupp wissen. Für Peter Berg stehe fest, dass ein Neustart nicht nach der gleichen Methode wie die Räum- und Bauarbeiten unmittelbar nach der Flut ablaufen dürfen. „Diese Zeit war von Aktionismus geprägt,“ sagt der Westumer. Ein Beispiel sei das Langfigtal in Altenahr. Dort waren schwere Maschinen am Werk – und das in einem Naturschutzgebiet. Der Einsatz diente vor allem dem Zweck, dass sich mancher Unternehmer die Taschen habe voll machen können. „Hier haben Unternehmer für unsinnige Aktionen viel Geld abgegriffen“, fügt Berg hinzu. Dass es auch anders geht, zeigen die Aufräumarbeiten an der Ahrmündung. Zwischen Sinzig und Kripp wurden Hubschrauber eingesetzt. Somit kann der Boden nicht verdichtet werden. Dies beugt zukünftigen Hochwassern vor, da das Wasser besser versickern kann. Berg wirft einen Blick in die Geschichte. „Auch vor 100 und 200 Jahren hat es katastrophale Hochwasser an der Ahr gegeben. Der Unterschied ist jedoch, dass es damals kein Totholz, Autos und Campingplätze gab“, so Berg. Die Fluten von früher trugen viel weniger fortgeschwemmtes Material mit sich, das bei der Juliflut für immense Zerstörungen gesorgt habe. Berg regt an, dass Staudämme und Überlaufbecken zusätzliche Sicherheit schaffen könnten. Damit sei aber kein einhundertprozentiger Schutz vor Flutereignissen garantiert. Eine sinnvolle Prävention sei nur dann gegeben, wenn der Ahr der Raum gegeben werde, den sie sich bei der Flut geholt hat. Denn der Lauf der Ahr sei durch massive bauliche Eingriffe verändert worden.

So ging die Ahr einst mitten durch den Lenné-Park in Bad Neuenahr, kennt Hans Stefan Steinheuer ein Beispiel. Auch der Ahrlauf in Altenburg sei durch Sprengungen verändert wurden, fügt Peter Berg hinzu. „Diesen Raum hat sich die Ahr nun wiedergeholt,“ sagt er. „Die Ahr braucht einfach Platz und keine Engstellen.“ Und: Die öffentliche Hand habe dieses Thema bis zur Flut einfach unterschätzt. Probleme sieht Berg auch bei den Versicherungen. „Es kann nicht sein, dass die Menschen nur dann Geld von der Versicherung bekommen, wenn sie im Überflutungsgebiet wieder neu bauen“, ist er sich sicher.

„Sprachbarrieren“ zwischen Akteuren

Das Thema Tourismus interessiert Hermann Krupp besonders. „Wie können neue Anreize für Touristen geschaffen werden?“ fragt er in die Runde. Im Sinne des Tourismus wünscht sich Peter Berg neu konzipierte Fahrradwege. Idealerweise gäbe es in Zukunft einen Radschnellweg von Blankenheim nach Sinzig. Wichtig sei, dass jede Mobilitätsform – also Fuß- und Radwege sowie herkömmliche Straßen – strikt getrennt werden. Durchgängigkeit heiße hier das Stichwort.

Auch Hans Stefan Steinheuer hat klare Vorstellungen. Fest stehe, dass es jetzt von größter Wichtigkeit sei, den Fremdenverkehr zurück in den Kreis zu holen. Das Wort „Kreis“ sei hier bewusst gewählt, sagt Steinheuer. Denn es gehe auch um die Anbindung von Remagen, Sinzig, Bad Breisig und Brohltal. Dafür benötige es eine sinnvolle Planung. „Es bringt nichts, ein Marketingkonzept von Hochschulabsolventen wie eine Folie über das Kreisgebiet zu legen“, ist sich Steinheuer sicher. Im Ahrtal benötige es Authentizität und ein grundsätzliches Erscheinungsbild. Steinheuer nennt diese Vorstellung das „Produkt der Heimat“, dass sich durch Alleinstellungsmerkmale definiert. Für den Spitzenkoch spiele dabei auch die Gastronomie eine entscheidende Rolle. „Wir benötigen hier nicht einmal Sterneküche, sondern gute, bodenständige Gastronomen mit guten Angeboten und Personal, das weiß, wofür es arbeitet“, weiß der Heppinger.

Kürzlich hat das Land eine Förderung von einer Millionen Euro für den Tourismus zugesagt. Dieses Geld müsse jetzt auch sinnvoll verwendet werden. Dazu benötige es Absprachen. So müsse der Kreis, der gar kein Tourismuskonzept habe, sich besser mit Akteuren wie dem Ahrtaltourismus absprechen. Dies funktioniere zurzeit weniger gut. „Hier gibt es Sprachbarrieren,“ sagt Steinheuer. Aber auch die DEHOGA und die IHK seien gefordert, den Dialog zu suchen, gerade dann, wenn es um die Gastronomie im Ahrkreis gehe. Grundsätzlich müsse man wieder zurück zur Ursprünglichkeit, findet Steinheuer. Es sei entscheidend, diese Chance zu nutzen, und dies genau jetzt. Die Hoffnung sei groß, eine entsprechende Dachmarke „Ahr“ zu finden. Möglicherweise könnte man sich dazu auch an Fördermitteln des Landes bedienen, wenn eine Marke erst einmal stehe.

Dem pflichtet Peter Berg bei. „Wir benötigen ein neues Bild von Ästhetik,“ sagt er. Denn die Menschen fühlen sich dort wohl, wo es schlicht und ergreifend schön sei. Gerade in der Landschaftspflege benötige es stets Eingriffe in die Natur, allerdings sollen diese auch verantwortungsbewusst sein. Verwilderung sei keine Option, weder für das Auge noch den Hochwasserschutz. Für ein stimmiges Gesamtbild des Ahrkreises wünsche er sich ein „Arbeiten mit den Materialien der Natur.“ Bunte, große Häuser schrecken die Besucher nur ab, meint Berg. Diesbezüglich gäbe es einige Bausünden im Kreis.

„Die Ideen zu haben, ist eine Sache,“ resümiert Krupp. „Aber werden ihre Ideen überhaupt gehört?“ möchte der BLICK aktuell-Chefredakteur wissen. Für Hans Stefan Steinheuer ist die Marschrichtung klar. „Wir müssen viel mehr junge Leute im Kreis Ahrweiler für diese Ideen motivieren.“

Seilbahnen und Skigebiete

„Welche innovativen Ideen können außerdem noch umgesetzt werden?“ fragt Hermann Krupp.

Hans Stefan Steinheuer wirft einen Blick zurück. Kurz nach der Flut seien ganz schnell Fakten geschaffen worden. Ein Beispiel sei die Deutsche Bahn. „Hier wird versucht, eine fünfzig Jahre alte Elektrotechnik als Neuheit zu verkaufen“, so Steinheuer. Dabei haben viele sinnvolle Optionen gerade in Bezug auf die Ahrtalbahn auf der Hand gelegen. Laut Steinheuer wäre es sinnvoll gewesen, die Bahntrasse hinter Heimersheim anzuheben. Die Trasse wäre dann wie ein Wall, der bei zukünftigen Hochwasserereignissen einen zusätzlichen Schutz böte. Im Sinne eines sinnvollen ÖPNV wären auch zusätzliche Haltepunkte in Lohrsdorf und Heppingen nach der Flut im Bereich des Möglichen gewesen.

Geht es um den Tourismus, möchte auch Peter Berg den Kreis als Einheit sehen. „Das Gebiet um den Nürburgring eignet sich wunderbar für Wintersport“, sagt Berg. „Doch dieses Thema hat bisher niemanden ernsthaft interessiert.“ Dabei scheut sich Berg auch nicht vor eher exotischen Ideen. So plante er aus dem Tunnel am Regierungstunnel eine Indoor-Skilanglaufpiste zu machen. Auch die Idee von Seilbahnen im Ahrtal sollte nicht vergessen werden. So könnte eine Seilbahn von einem Hügel ins Tal fahren, die nur durch die Schwerkraft angetrieben wird. Sitzen die Menschen in der Gondel, fährt diese dank einem Bremssystem automatisch herab. Dies sei besonders attraktiv für Wanderer, die gerne Gipfel erklimmen und das Herablaufen aufgrund möglicher Gelenkprobleme scheuen. Wichtig sei, dass nun umgedacht werde und ganz neue Akzente gesetzt werden. Massentourismus soll es jedoch keinen mehr geben, ergänzt Steinheuer. Das Motto der Zukunft laute „sanfter Tourismus“, so der Sternekoch. Das Naturerlebnis sei künftig besonders wichtig. Herausforderungen gäbe es aber allemal. So war der Kreis Ahrweiler eine Region, die von Kunden mit hoher Kaufkraft aufgesucht wurde. Es werde derzeit für den Einzelhandel schwierig, Kunden aus Bonn oder Köln anzulocken, prognostiziert Steinheuer.

Jeder Schritt ist wichtig

„Die Ideen sind also da,“ fasst Krupp zusammen. „Doch wer kann die Ideen auch umsetzen?“. Hans Stefan Steinheuer stellt zunächst fest, was es nicht mehr brauche. „Es bringt jetzt nichts mehr, zum zehnten Mal einen Workshop zu machen“, findet er. Es gäbe an Ahr und Rhein viele kreative Köpfe mit dem Willen zur Gestaltung. Peter Berg bringt das Thema Bürgerbeteiligung ins Spiel. Dies sei eine gute Idee. „Aber was machen wir, wenn Bürger und Politik nicht klarkommen?“, mahnt Berg an. Da klinkt sich auch Hans Stefan Steinheuer mit einer Grundsatzfrage ein. „Bürgerbeteiligung ist sinnvoll“, sagt er. „Aber wenn die Bürger meinen, nicht mehr wählen gehen zu müssen und dann trotzdem alles kritisieren, stimmt etwas nicht.“

Hermann Krupp hakt nach. „Wäre das Bündeln dieser Ideen eine Aufgabe für die neue Landrätin Cornelia Weigand?“ Hans Stefan Steinheuer verneint. „Frau Weigand wird sich zunächst zurechtfinden müssen. Dies ist als parteilose Landrätin ohne Fraktion im Kreistag schwierig.“ Dennoch erwarte er von den Fraktionen, dass sie Weigand eine faire Chance geben. Und auch die Parteien seien in Bezug auf den Wiederaufbau in der Pflicht. „Führende Politiker müssen finden, was wir brauchen.“ Wer jedoch der Macher hinter den Ideen sein soll, stehe noch nicht fest. Wichtig sei, dass Anregungen präsentiert werden. Denn das Ziel sei klar, wie Peter Berg es sagt. „Wir dürfen uns in Zukunft nicht mit dem Durchschnitt zufriedengeben.“ Und: Jeder Schritt in die richtige Richtung bringt das Ahrtal voran.

Orte für besondere Momente

Zum Schluss verlangt Hermann Krupp von seinen Gesprächspartnern einen Ausblick für die Zukunft. „Wie soll das Ahrtal in einigen Jahren aussehen?“ Hans Stefan Steinheuer hat die Antwort: „Das Ahrtal und gerade Bad Neuenahr-Ahrweiler hat eine Riesenchance ein Ort zu werden, in dem besondere Momente geschaffen werden“, sagt er. Dies setze aber ein Umdenken voraus. Steinheuer nennt ein Beispiel aus Bad Neuenahr. „Warum haben wir eigentlich einen Kurpark, obwohl es gar kein Kurangebot mehr gibt?“, stellt er in den Raum. Um die Chancen umzusetzen, sollen alle Akteure enger zusammenarbeiten. „Wir haben noch viel Arbeit vor uns“, fasst er zusammen. Er erinnert auch an die Worte der Politik. „Uns wurde versprochen, dass wir eine Zukunft haben. Daran müssen wir jetzt gemeinsam arbeiten“, so Steinheuer. Wichtig werde auch die Zusammenarbeit der Städte Bad Neuenahr-Ahrweiler und Sinzig sein, vermute er. „Die gemeinsame Landesgartenschau ist eine sehr gute Maßnahme,“ so Steinheuer.

Für Peter Berg steht fest, dass der Kreis Ahrweiler ein stimmungsvolles Gesamtbild abgeben muss. Sonst drohe die Gefahr der Abwanderung von Touristen in andere Regionen. „Wir können nicht riskieren, dass uns beispielsweise die Eifel den Rang abläuft,“ sagt Berg. Wenn in Zukunft investiert wird, soll dies mit Sinn und Verstand geschehen. Dies habe in der Vergangenheit nicht immer funktioniert, was an den Bausünden in Bad Neuenahr sichtbar sei. Peter Bergs Idealbild wäre ein einheitliches Bild der Ahrregion mit Weinbauterrassen, Stein- und Fachwerkhäusern sowie passender Architektur. „Sollte das umgesetzt werden, haben wir gewonnen“, so Berg.

Text/Foto: Daniel Robbel