Im Kanonenwall gründeten Nachbarn einen eigenen Fluthilfeverein – Mitmachen darf jeder aus Ahrweiler

Ahrweiler: Eine neue Dimension der Nachbarschaftshilfe

26.09.2021 - 11:44

Ahrweiler. Eine Geburtstagsparty nach der Flut: In einem Hinterhof in Ahrweiler braten Frikadellen auf einer Grillplatte. Unter dem Pavillon gleich daneben nehmen die Feiernden mit einem Cheeseburger auf dem Teller und einem Bier im Glas auf Bierbänken Platz. Es wird gelacht, zugeprostet und Geschichten werden erzählt. Hinter dem Gasgrill steht Peter Gamb. Ist die Frikadelle für den Burger durch, landet sie auf dem halbierten Brötchen, Gamb verweist auf das frisch geschnittene Gemüse, einen Tisch weiter. Die ganzen Zutaten, Fleisch und Soßen hat man im Supermarkt einige hundert Meter weiter gekauft. Auf Lebensmittelspenden ist man hier nicht mehr angewiesen, schon länger nicht mehr. Auch grundsätzlich sieht alles recht aufgeräumt aus in der südlichen Altstadt Ahrweilers. Der Eindruck täuscht nicht: Hier im Kanonenwall geht es den Menschen ganz gut. Und der gemeinsame Fortschritt schmiedet zusammen. „Wir sind hier sehr zusammengewachsen“, sagt Gamb. So sehr, dass die Menschen hier zwischen Ahrtor und Niedertor einen eigenen Verein gegründet haben. Der heißt „Flutaufbau 21 Kanonenturm“. Der markante Turm, der auf der Hälfte des Walls in die Stadtmauer eingelassen ist, lag als Namenspatron nur nahe.

Peter Gamb ist der 1. Vorsitzende des frischen Vereins. Der Plan, sich zu organisieren, wurde bereits Anfang August und somit wenige Wochen nach der Flut gefasst. Der Grund: „Überall wurden Spenden gesammelt,“ sagt er. „Aber davon ist hier bei uns nicht viel angekommen- abgesehen von den vielen Privatspenden.“ So wollten die Mitglieder, 26 waren es bei der Gründung, dafür Sorge tragen, dass die Unterstützung wirklich die Menschen erreicht. Und zwar dort, wo sie gebraucht wird. So funktioniert der Verein wie ein kleiner Wohlfahrtsverband: Kommt ein Angebot zur Unterstützung an, wird geprüft wo innerhalb des Vereins Bedarf besteht. Gemeint sind aber weder Kleider- oder Lebensmittelspenden. Über dieses Niveau sind die Menschen im Kanonenwall lange hinaus. „Besonders wichtig ist uns, Dienstleistungen zu verteilen,“ sagt der Vereinschef Gamb. Denn jetzt läuft die so genannte Bautrocknerphase. Die Erdgeschosse sind weitestgehend entkernt und die Häuser gleichen Rohbauten – ein gängiges Bild im Ahrtal. Die Verteilung von Bautrocknern im Kanonenwall ist dabei ein gutes Beispiel. Gamb: „Es bringt ja nichts, wenn ein Nachbar fünf Trockner hat und ein anderer gar keinen.“ Es muss also solidarisch verteilt werden, wenn eine entsprechende Spende ankommt. Hier beginnt die Vorstandsarbeit. Der Bedarf wird ermittelt und schließlich fair und transparent die nützlichen Gerätschaften an die Nachbarn verteilt. Gleiches gilt für Dienstleistungen aus dem Handwerk. Peter Gamb erinnert sich: „Als die Stromzähler geprüft wurden, haben wir die Handwerker ganz systematisch von Haus zu Haus geführt, das hat wunderbar geklappt.“ Die Elektrofachleute waren ganz erstaunt wie zackig es im Kanonenwall von statten geht. Ähnliche Beispiele finden sich massig. Auch als es um den Abtransport von Bauschutt ging, ging es im Kanonenwall schneller als andernorts. Bereits Ende August sah die Straße rein optisch aus wie vor der Flut.


Straßeneigenes Wohlfahrtsprinzip


Das straßeneigenen Wohlfahrtsprinzip greift also. Das gilt auch für eintreffende Geldspenden. Finanzielle Unterstützung kann jeder gebrauchen, „aber bei manchen ist es eben dringlicher“, wie Gamb erklärt. Dies gilt für diejenigen Anwohner, die keine Versicherung besitzen. Deshalb werden Geldspenden anteilig an alle verteilt. Die Höhe unterscheidet sich, je nachdem wie die Versicherungs- und Schadenslage ist. Bei den Schäden gibt es keinen großen Unterschied. Denn in der Flutnacht stand das Wasser etwa 1,80 Meter hoch im Wall. Kaputt ist in den Erdgeschossen alles. Wichtig für die Unterstützung ist nur, dass die Mitglieder Wohneigentum besitzen, in dem sie auch leben. Immobilien, die reine Spekulationsobjekte sind, werden nicht berücksichtigt. Gleiches gilt für „bewegliche Dinge“ wie Möbel. Stattdessen geht es dem Verein um eine funktionierende Heizung, ein intaktes Badezimmer oder neue Küchenzeilen.

Die Wiederherstellung der Bausubstanz ist für den Verein das größte Ziel. „Wir möchten, dass es in Ahrweiler wieder lebenswert wird“, sagt der 1. Vorsitzende. Dieser Satz ist nicht ohne Grund gewählt. Denn nicht nur die Menschen aus dem Kanonenwall können mitmachen, sondern die Einwohner von ganz Ahrweiler. Aus den Nachbarstraßen wie der Wehrscheid oder dem Hostertsgässchen haben sich bereits ein paar Anwohner angeschlossen. Über jede Neuaufnahme entscheidet der Vorstand. „Schwarze Schafe“, also jene die das gute Ansinnen des Fluthilfevereins ausnutzen, möchte man sich tunlichst vom Hals halten

Dass es gut klappt im Kanonenwall, zeigt ein Blick in das Warenlager. Akkurat sind Elektrogeräte sortiert, Kabeltrommeln, Stemmhämmer, Aggregate, und die wichtigen Bautrockner stehen in Reih´ und Glied. Wer etwas davon braucht, fragt Gamb oder ein anderes Vereinsmitglied und bekommt ein Gerät ausgehändigt. Das gilt auch für Wasser. Im Lager lagern große Gebinde mit Trinkwasser. Längst ist jedoch die dystopisch anmutende Phase im Kanonenwall vorbei, schließlich fließt wieder normales Wasser aus dem Hahn. Das ist allerdings gechlort und „Kaffee ohne Chlor schmeckt einfach besser“, lacht Gamb. Wer also etwas haben möchte, muss einfach nur fragen.

Heute Abend, bei der Geburtstagsparty, gibt es keinen Kaffee. Stattdessen gibt’s ein Wein von der Ahr. Grund zum Anstoßen haben die Menschen des Kanonenwalls genug: Auf das was noch kommt, aber gerade auf das, was schon geschafft wurde. „Ich bin echt stolz, wie klasse alle hier zusammenhalten“, freut sich der 1. Vorsitzende.

Weitere Informationen zum Verein gibt es auf dessen Homepage: www.flutaufbau21-aw.de. ROB

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