Allgemeine Berichte | 26.06.2022

Neumann im BLICK aktuell-Interview: Von Katastrophenschutz und Helferstrukturen, Zukunftswünschen und „Poseidon´sche Hochwasserzonen“

„Vergiss mal nicht!“: Ahr-Autor Andy Neumann über sein neues Buch

Ahrtal. Nicht einmal drei Monate nach der verheerenden Flut im Ahrtal erschien mit „Es war doch nur Regen!?“ das erste Buch zu den Geschehnissen rund um den 14. und 15. Juli. Verfasser ist Andy Neumann aus Ahrweiler, Polizist und Krimi-Autor, Familienvater und Flutbetroffener. Neumanns Werk traf den Zahn der Zeit: Ungefiltert und gewollt subjektiv schildert er Nacht als Schlamm und Wasser kamen sowie die Zeit danach. Viele, die die Flut erlebt haben, konnten sich mit Neumanns Werk identifizieren. Nun, fast ein Jahr nach der Flut, kommt bald mit Neumanns Nachfolgewerk „Vergiss mal nicht!“ ein neues Buch zu Flut. Im Interview mit BLICK aktuell spricht er über sein neues Buch, Katastrophenschutz und Helferstrukturen, Zukunftswünsche und „Poseidon´sche Hochwasserzonen.“

BLICK aktuell: Etwa ein Jahr nach der Flut ist nun vergangen - wie blicken Sie persönlich auf diese Zeit zurück?

Andy Neumann: Für mich ganz persönlich war das die totale Achterbahnfahrt. Ich hatte, wie wir alle, auch nach den ersten Wochen noch Phasen, in denen nicht ein Fetzen Kraft übrig war und ich nur noch hoffte, eines Tages Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Und es gab Phasen, in denen ich die ganze Welt hätte umarmen können. Erst als dieser elendste aller Winter vorbei war, begann die Zeit, in der man sich wirklich konsolidieren konnte. Seither geht es mit kleineren Ausschlägen für uns stetig bergauf.

Das Tolle beim Menschen ist aber, dass er irgendwann in der Lage ist, das Schlechte zu verdrängen, und das merke ich gerade. Ich denke: „Ein Jahr vorbei, Familie gesund, alles soweit neu aufgebaut, zwei Bücher geschrieben, Ropertz haben auf, [Anm. der Red.: Eine Metzgerei in Ahrweiler] bald endlich Urlaub - läuft bei Dir!“

Endgültig vergessen, wie hart es war, werde ich aber nie, und noch immer würde ich die Uhr ohne zu zögern um ein Jahr zurückdrehen und ohne Flut neu anfangen wollen!

BLICK aktuell: Nach dem großen Erfolg von „Es war doch nur Regen?!“ erscheint bald ein neues Buch zur Flut. Was erwartet uns?

Neumann: Etwas anderes! Der Verlag wollte ja bereits im Winter eine Fortsetzung, und die wollte ich gar nicht schreiben. Es ist das Eine, sich in einer Ausnahmesituation im persönlichen Bereich komplett nackt zu machen; aber es war klar, dass ich meine Familie und unser Schicksal nicht noch einmal zum Inhalt einer Geschichte machen möchte. Daher sind die Teile, in denen es um uns oder um mich geht, eher knapp gehalten; dennoch wird die Frage nach dem „Wie ging es bei ihm weiter“, die viele sich stellten, natürlich beantwortet.

Der größere Teil von „Vergiss mal nicht“, einer „Denkschrift“, wie ich sie genannt habe, besteht aber aus meiner Auseinandersetzung mit den „großen Themen“, die es nach der Flut zu erörtern galt und noch immer gilt: Wie stehen wir nach all dem zur Klima- und Umweltfrage? Wieso gibt es keine tragfähigen Katastrophenschutzstrukturen in Deutschland? Warum ist es so schwer geworden, politische Verantwortung zu übernehmen? Sind Helferstrukturen immer nur hilfreich?

Fragen, die nicht nur mich bewegen, sondern sicher auch viele Menschen im Tal.

BLICK aktuell: Viele Leserinnen und Leser mochten den ungefilterten Schreibstil des ersten Teils. Sind Sie Ihrer Linie treu geblieben?

Neumann: Ja, da darf ich alle beruhigen! Es ist auch diesmal in den weitesten Teilen ein eher „heruntergeschriebenes“ Werk geworden, das meine wunderbare Lektorin Claudia Senghaas erneut korrigiert, aber nicht sprachlich angepasst hat. Ich schätze daher, wer den Stil in „Es war doch nur Regen!?“ mochte, ist auch von „Vergiss mal nicht!“ nicht enttäuscht.

BLICK aktuell: Sie gelten als „streitbarer Autor“, der den Mund aufmacht, wenn Ihm etwas nicht passt. Gerade in den sozialen Medien sind Sie sehr aktiv - warum der ganze Aufwand?

Neumann: Gute Frage! Meine Frau hat mich auch bereits mehrfach gebeten, keine Kriege zu führen, die nicht die meinen sein müssten. Ich habe ihr die selbe Antwort gegeben, die ich in meinem Leben schon so oft gegeben habe: wenn Leute wie ich es nicht tun, wer denn dann? Ich habe immer gern den Mund aufgemacht, wenn ich etwas nicht richtig fand, und je mehr ich mir das leisten konnte, weil irgendwann ein bisschen was „dahinter war“, desto eher habe ich es getan, wo es nötig war. Umso lieber, wenn ich wusste, dass ich für andere spreche, die sich nicht wehren konnten oder wollten. Polizist zu sein, ist eben kein Beruf, sondern eine Charaktereigenschaft.

Dass ich mich im Frühjahr dazu entschieden habe, dieses Buch doch noch zu schreiben, ist übrigens ausschließlich Dingen geschuldet, die ich im Social Media Bereich verfolgt habe. Ich dachte mir damals: „Wenn die Katastrophe in unserem Tal schon literarisch in die Zeitgeschichte eingehen soll, dann doch bitte an der Wahrheit entlang – und durch Leute aus dem Tal.“ Ein Anliegen, dem ich zum Glück nicht als Einziger Rechnung trage.

BLICK aktuell: Wie gesagt: Nun ist ein Jahr vergangen. Sind Sie zufrieden mit dem Werdegang des Ahrtals bisher und wo steht das Tal Ihrer Meinung nach im Juli 2024?

Neumann: Zufrieden? Nein, wie denn? Zufrieden, sogar glücklich machen mich die Menschen hier und ihr weitgehend ungebrochener Wille, es zu schaffen. Macht mich der nach wie vor anhaltende Einsatz hunderter Initiativen und tausender Helfer im Tal. Machen mich Einzelpersonen aus dem Tal, die mit ihrem Wirken, ihrem Handeln, ihrer Kraft Vorbilder und Leuchttürme sind, an denen andere sich orientieren können.

Aber, und deshalb kann ich mit dem status quo nicht zufrieden sein: Der exorbitant schlechten strukturellen Bewältigung der Katastrophe folgte eine ähnlich schlechte administrative Abwicklung der Folgen für die Menschen im Tal. Angefangen mit der unerklärlichsten Entscheidung aller Zeiten: eine winzige Landesbank, die nicht mal ein Viertel so viele Mitarbeiter hat wie der TuS Ahrweiler Mitglieder, mit Prozessen zu belasten, die die KfW in einem Zehntel der Zeit abgewickelt hätte, und die für die - finanziell - am schlimmsten Betroffenen, nämlich die Unversicherten, die größte, oft einzige Hoffnung waren! Das Ergebnis sehen wir regelmäßig, wenn die Statistiken kommen und jemand klug genug ist, „Bewilligung“ von „Auszahlung“ zu unterscheiden.

Es nahm seinen Fortgang in lächerlichen Verfügungen zu Lasten der Bürger in der neuen, ich nenne sie gern „Poseidon´schen Hochwasserzone“, die nämlich Wasser vorsieht, welches durch göttliche Einwirkung ausgerechnet dort im Flussbett der Ahr bleiben wird, wo aktuell Prestige-Neubauten entstehen.

Und endete in politischer Uneinigkeit von den kleinsten Gremien über den Kreistag bis in die Landesregierung und nach Berlin, wo eigentlich alle am selben Strang ziehen müssten.

Und was dem Fass die Krone aufsetzt: Ein Jahr lang hatte man Zeit, die Pläne zu machen, die binnen Wochen hätten stehen müssen. Ein Jahr! Und die meisten, auch wesentlichen Pläne gibt es immer noch nicht. Also nein, zufrieden bin ich wirklich nicht. Wer weiß, wie leistungsfähig staatliche Strukturen sein können, kann bei all dem nur den Kopf schütteln. Aber ich bin äußerst hoffnungsvoll! Denn die Power der Menschen im Tal und ihrer Helfer hat uns schon so viele Lichtblicke, so viele Neustarts und Wiedereröffnungen, so viele kreative Ideen, so viel „Das wird wieder!“ beschert, dass ich mir sicher bin, dass wir trotz all dem, was ich oben anprangere, dieses Tal wieder aufbauen und es vor allem besser machen werden. Dass wir damit 2024 noch nicht fertig sind, steht fest.

Aber 2024 sind wir, als Tal, über den Berg. Davon bin ich überzeugt. Und ich freue mich darauf!

Das Interview
führte Daniel Robbel

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