Allgemeine Berichte | 31.08.2021

Bürgerbrief von Guido Orthen, Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler

„Mit Mut und Zuversicht“

Bürgermeister Guido Orthen. Foto: Karl Walkenbach

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen, richtet in einem Bürgerbrief seine Worte an die Einwohner der Kreisstadt.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

die Flutnacht steckt uns allen noch in den Knochen – ein Albtraum, der nun die Realität unserer Region und aller Betroffenen prägt. Lasst uns nach vorne schauen, von Tag zu Tag neu anfangen, das Tagwerk beginnen und den Mut nicht verlieren, auch wenn viele immer wieder an den Rand ihrer Kräfte kommen.

Ja, das Tagwerk bei 25.000 betroffenen Menschen in 250 Straßen und 10 Stadtteilen in unserer Stadt sieht ganz unterschiedlich aus. Auch wenn es mir ein großes Bedürfnis ist, mit jedem Betroffenen persönlich Kontakt aufzunehmen, ist mir dies leider nicht möglich, aufgrund der Vielzahl der betroffenen Menschen. Dafür bitte ich um Verständnis. Und doch fühle ich mit jedem einzelnen Schicksal mit und bin in Gedanken bei Ihnen in all der Verzweiflung und Not und beim Ausräumen, Schlamm schippen, jetzt bei vielen schon beim Trocknen der Räume und Häuser.

In den ersten Wochen war mein Bestreben, mit vielen Beteiligten die Versorgung mit Wasser und Strom wieder sicher zu stellen, den Abfall von den Straßen und damit aus den Augen zu bekommen, das Abwassersystem so zu stabilisieren, dass der nächste Regen nicht wieder Probleme macht und die Keller voll laufen lässt. Und ich bin den abertausenden freiwilligen Helfern unendlich dankbar, dass sie direkt da waren. Die große und selbstlose Hilfsbereitschaft von so vielen Menschen berührt mich sehr.

Dass wir heute da stehen, wo wir stehen, ist ein Gemeinschaftswerk.

Unsere Feuerwehrkameraden und -kameradinnen, die gerettet haben und zur Stelle waren.und Feuerwehren, die geholfen haben und auch noch heute da sind.

Die organisierte Hilfe (FFw, THW, DRK, Bundeswehr und viele andere), die da sind und hoffentlich noch lange da bleiben. Danke!

Die unzähligen Spontanhelfer, einzeln, in Gruppen, in Bussen, die den Menschen geholfen haben, ihre überfluteten Häuser und Wohnungen zu räumen, Schlamm zu schippen, zu stemmen, was zu stemmen war. Die Landwirte und Firmen, die einfach losgelegt haben, geräumt mit großem und kleinem Gerät, mit ihren Händen und mit ihrem Kopf und Tatenwillen direkt zur Stelle waren und teilweise noch heute zur Stelle sind. Danke!

Da waren und sind die, die unsere Bevölkerung gerade in den ersten Wochen gespeist und versorgt haben, als organisierte Strukturen leider noch nicht zur Stelle waren. Bis heute kümmern sich Freiwillige darum, dass gekocht, gegrillt wird, damit im Quartier die Versorgung mit einer warmen Mahlzeit möglich ist. Danke!

Da sind die, die die Helfenden koordiniert haben, den Shuttle-Service eingerichtet haben, sich um Schlafplätze, Essen und Trinken gekümmert haben. Ja, weit unter dem Radar. Nicht hätte, könnte, sollte… sondern einfach gemacht haben. Danke!

Da sind diejenigen, die unzählig angerufen, geschrieben, gemailt und Kurznachrichten geschickt haben, um ihre Hilfe anzubieten. Danke!

Orga-Gruppen, Ortsvorsteher, stellvertretende Ortsvorsteher, Ortsbeiräte in den Stadtteilen, die sich und das Chaos selbst organisiert haben, Menschen die die Dinge einfach in die Hand genommen haben und es bis heute tun, dann kann man nur sagen: Hut ab! Und Danke!

Da wurde und wird versorgt… ganze Dörfer und Stadtviertel bekocht und mit Lebensmittel und dem täglichen Bedarf versorgt … Danke!

Und da ist eine Gruppe, die besonderer Erwähnung bedarf: die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese Generation zeigt gerade, dass diese Stadt, diese Gesellschaft auf sie zählen kann. Sie machen uns Mut. Danke!

Danke denen, die aus Ingenieurbüros, aus anderen Städten und Gemeinden, anderen Verwaltungsstrukturen, Wasser- und Abwasserwerken, Bauhöfen gekommen sind, um uns in unserer Situation zu helfen, uns zur Seite standen und noch heute zur Seite stehen. Danke!

Da sind die, die durch die Straßen gehen und als Ersthelfer psycho-soziale Arbeit machen …die Seelsorgerinnen und Seelsorger vor Ort, Notfallseelsorger von hier und aus aller Herren Länder. Danke!

Da sind auch - last but not least- die Kolleginnen und Kollegen in den Verwaltungen, die vom ersten Tag an oder sobald sie es bei eigener Betroffenheit konnten, anpacken, Aufgaben übernehmen, die sie nicht gelernt haben, aber einfach machen, was jetzt nötig ist. Am Bürgertelefon, an den Info-Punkten. Danke!

Und nicht zuletzt die, die über all dies in den Medien berichten, damit das Schicksal der Menschen einer ganzen Region nicht in Vergessenheit gerät. Danke!

Wen habe ich vergessen? Wahrscheinlich sehr viele. Zahllose, die einfach da waren, wenn sie an welcher Stelle auch immer gebraucht wurden, ein gutes Wort gesprochen oder nur einfach zugehört haben. Danke!

Und bei alledem möchte ich betonen: Wir leben seit der Nacht des 15. Juli in den Nachwirkungen einer Katastrophe. Das ist etwas, was wir alle nicht für möglich gehalten haben, alle nicht gelernt haben. Und selbst die, die sich professionell auf so etwas vorbereitet haben, sind an ihre Grenzen gestoßen im Angesicht der Not, der Trauer und der Zerstörung. Und da ist selbstverständlich nicht alles rund gelaufen. Wie sollte es auch. Da ist selbstverständlich jeder im Anblick der eigenen Betroffenheit in einem Ausnahmezustand. Und da sind ganz unterschiedliche Erwartungen an die, die helfen wollen und sollen. Da sind ganz unterschiedliche Menschen am Werk mit ihren Eigenheiten, ihrer Sicht auf die Dinge, viele im Schock, viele traumatisiert. Und da darf Trauer, Wut, Verzweiflung sein.

Aber schauen wir auf das, was uns eint: das Mitfühlen, das gemeinsam diesen Weg gehen und gemeinsam anpacken auch und gerade für die Älteren und unsere Kinder und Enkel. Denn jetzt darf der Blick auch nach vorne gehen, in das Morgen und sogar schon in das Übermorgen. Denn für uns ist dieser Flecken Erde Heimat. Heimat die wir lieben und die wir wieder aufbauen werden.

Mit Mut und Zuversicht!

Ich bin dankbar, wenn wir uns wiedersehen und verbleibe in Gedanken bei Ihnen und mit Ihnen verbunden

Ihr

Guido Orthen

Bürgermeister Guido Orthen. Foto: Karl Walkenbach

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