Ralf Hellrich im Blick

„An der Ahr ist ein neuer Handwerks-Geist gewachsen“

„An der Ahr ist ein neuer Handwerks-Geist gewachsen“

Ralf Hellrich: „Handwerk kann stolz machen“. Foto: ROB

„An der Ahr ist ein neuer Handwerks-Geist gewachsen“

Hermann Krupp und Corinna Seidel interessieren sich für die Perspektive des Handwerks. Foto: ROB

Sinzig/Ahrtal. Sechs Monate nach der verheerenden Flut im Ahrtal wird das Bild der Gemeinden an der Ahr von Baustellen geprägt. Es wird repariert, aufgebaut und verbessert. Und mittendrin arbeiten Hundertschaften von Trockenbauern, Elektrikern und Dachdeckern. Das Handwerk bringt das Ahrtal jeden Tag ein Stück weiter beim Neuaufbau. Über den Stand der Dinge im Tal informierte nun Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz. In Begleitung des HwK-Pressesprechers Jörg Diester kam Hellrich nun nach Sinzig. Hermann Krupp, Geschäftsführer des Krupp Verlages und BLICK aktuell-Chefredakteur, und Corinna Seidel, Prokuristin und Junior-Chefin, hatten zum Redaktionsgespräch nach Sinzig geladen. Auf der Tagesordnung des Gesprächs stand der Stellenwert des Handwerks im Ahrtal und darüber hinaus, die Leistungen und Schäden der freiwilligen Helfer, aber auch das Thema Nachwuchsmangel.

Hermann Krupp eröffnete die Gesprächsrunde. „Wo steht das Ahrtal heute?“, fragt Krupp in Richtung des HwK-Hauptgeschäftsführers. Ein wichtiger Teil der Arbeit sei bereits erledigt, erklärt der Koblenzer Handwerks-Chef. „Die Nothilfe in den ersten Tagen und Wochen nach der Flut hat sehr gut funktioniert“, blickt er in den Sommer 2021 zurück. Im Moment seien viele Hausbesitzer im Ahrtal immer noch in der Trockenphase, überall laufen noch entsprechend die Bautrockner. Diese Phase dauere etwas länger als mancher vermutet habe, sei aber umso wichtiger. „Werden die Gebäude vor dem nächsten Bauschritt ordentlich getrocknet, lassen sich Folgeschäden vermeiden“, sagt Hellrich. Gerade beim Thema Folgeschäden müsse man jedoch differenzieren, dies vor allem in Bezug auf die Leistungen der vielen freiwilligen Helfer. Der Einsatz beim Aufräumen und Schlammräumen sei unbezahlbar gewesen, sagt er. Bei den Handwerksleistungen sähe das jedoch ein wenig anders aus. Mancherorts verrichten im Ahrtal ungelernte Kräfte Arbeit, die eigentlich eine Aufgabe für das Fachhandwerk sei. Die Auswirkungen bezeichnet Hellrich als „Fluthelferschäden“. Konkret gemeint sind beispielsweise zerstörte Versorgungsleitungen, die durch den unsachgemäßen Einsatz von Meißeln und anderen schweren Werkzeugen beschädigt wurden und anschließend mühsam repariert werden müssen. Manchmal werde schlicht ein wenig zu aktionistisch ans Werk gegangen. „Stellen sie sich einen frischen, ungelernte Lehrling mit einem Stemmhammer vor“, vergleicht Hellrich. „Der geht dann mutig ans Werk und meint es auch gut, aber macht den Schaden womöglich noch größer als er vorher war.“

Ein weiteres Beispiel seien Arbeiten an historischen Gebäuden, die nicht unter Denkmalschutz stehen. Im Ahrtal wurde in alten Fachwerkhäusern oft Lehm verbaut, wie Hellrich weiß. Der Umgang mit diesem Baustoff müsse vorsichtig und professionell geschehen. Wird beim Aufbau durch Laien nicht sorgfältig auf die besonderen Eigenschaften des Baustoffs Lehm geachtet, drohen nach wenigen Jahren Folgeschäden, die das Handwerk dann wieder ausbügeln muss. Das kann nicht im Sinne der Hausbesitzer sein. Er kenne bereits Handwerksbetriebe, die Rechnungen splitten: Ein Teil der Rechnung auf Flutschäden, einen anderen auf „Fluthelferschäden“.

Kostenlos-Mentalität ist nicht zukunftsfähig

Das Thema interessiert Hermann Krupp. Viele Dienstleistungen und Waren wie Lebensmittel wären im Ahrtal noch kostenlos. „Ist die teilweise Kostenfreiheit ein Vor- oder ein Nachteil?“ möchte Krupp wissen. Geht es nach Ralf Hellrich ist die Kostenlos-Mentalität eher nachteilig. Er kenne beispielsweise einen Bäcker aus einem schwer zerstörten Dorf von der Mittelahr. Dessen Ofen sei von der Flut verschont geblieben und hätte somit nach wenigen Wochen wieder die Produktion von Backwaren aufnehmen können. Dies geschah aber nicht, denn für den erwähnten Bäcker gab es keinen wirtschaftlichen Anreiz. „Wieso soll man Produkte für Geld verkaufen, während sie an jeder Ecke ohnehin kostenlos angeboten werden?“, fasst Hellrich die Einstellung des Bäckers zusammen. So hat sich der Wiedereinstieg ins Geschäft verzögert. Mittlerweile – und das schon seit Herbst letzten Jahres – habe der Betrieb aber wieder seine normale Arbeit aufgenommen. Und dies sei schließlich das Wichtigste, „den eigenen Betrieb nach der Flut wieder ans Laufen zu bekommen.“

Auch Corinna Seidel weiß um die gigantischen Herausforderungen, die die Handwerker im Tal täglich zu leisten haben. „Wie können Handwerker diese gigantischen Aufgaben meistern?“ möchte sie wissen. Hellrich bestätigt, dass die Arbeit im Tal ein echter Kraftakt sei. Viele Handwerker über sich hinauswachsen. Und dies durchaus auch auf Kosten der eigenen Gesundheit. „Viele Kollegen geben zurzeit über 100 Prozent“, sagt er. Die Arbeit werde jedoch nicht weniger. Auch die Schäden in den Handwerksbetrieben selbst seien schließlich enorm. An der Ahr seien über 500 Betriebe selbst betroffen. Somit sei es schwierig, Arbeit abzugeben. Aber dennoch sei es wichtig, nicht immer alles alleine machen zu wollen.

Corinna Seidel hakt nach: „Viele Helfer engagieren sich - wie bereits erwähnt - auch handwerklich. Wurde dadurch das Interesse an diesem Berufszweig geweckt?“ fragt sie. „Ja!“, sagt Hellrich, der den vielen Helfern dankt. „Hätten die Menschen uns nicht unterstützt, in dem sie ins Ahrtal gekommen wären, wären wir heute nicht so weit“, sagt er. Das Erstaunliche jedoch sei daran, dass manche Helfer geblieben seien und nun sogar eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb an der Ahr angefangen haben. Hellrich kennt diesbezüglich mehrere Beispiele. Darunter ist auch ein Syrer, der eine Lehrstelle angetreten habe. Grundsätzlich sei das Interesse am Handwerk an der Ahr wieder neu geweckt worden. Dafür sprächen auch die guten Ausbildungszahlen. Derzeit gäbe es 127 Lehrlinge im Kreis mehr und die Tendenz sei somit steigend. Die Idee der Helferkultur könne man noch weiterdenken, findet Hellrich. Zum Beispiel in Form eines „Sozialen Aufbaujahres“. Hier könne gezeigt werden, dass es Spaß mache und sinnvoll sei „mit händischer Arbeit gute Dinge zu schaffen.“

Internet-Plattform „Handwerk baut auf“

Um die Handwerker in das Ahrtal zu bekommen, hat die Handwerkskammer die Online-Plattform „Handwerk baut auf“ geschaffen. Die Seite gilt als Verknüpfungspunkt zwischen den Menschen aus dem Ahrtal, die Handwerker benötigen und denjenigen Betrieben, die die Leistungen anbieten. Die Handwerksbetriebe, die dort registriert sind, kommen aus ganz Deutschland. „Wie ist die Idee zur Plattform entstanden und wer kann sie nutzen?“ möchte Hermann Krupp wissen. Ralf Hellrich erklärt, dass die Grundidee gemeinsam mit Marc Ulrich, einem der Initiatoren des Helfer Shuttles, erarbeitet wurde. Generell können die Betriebe, die dort ihre Dienste anbieten, von überall aus Deutschland stammen. Mittlerweile seien über 1500 Eintragungen vorhanden und immer mehr kämen dazu, wie Hellrich sagt. Mitmachen können aber nur die Betriebe, die auch wirklich seriös arbeiten. Entsprechende Prüfungen fänden im Vorfeld statt. Die Resonanz der Ahrtaler, Betriebe von außerhalb anzufragen, sei aber noch verhalten. Dies habe eine Vielzahl von Gründen. „Ein Handwerker aus München nimmt andere Preise als ein Handwerker von der Ahr“, sagt Hellrich. Dessen müsse sich auch der Kunde bewusst sein. Nutzen kann das Angebot jeder an der Ahr, der mit flutbedingten Schäden zu kämpfen hat.

„Kann es sein, dass die Menschen auch manchmal vor der Benutzung der Plattform zögern, weil sie sich um Folgeservice, beispielsweise bei einer Heizung, sorgen?“, fragt Krupp. Ralf Hellrich sagt: „Das ist ganz klar geregelt. Wenn heute eine Heizung von einer Firma aus Berlin installiert wird, werden sich künftig die Handwerker vor Ort um Reparaturen und Wartung kümmern.“ Niemand brauche sich zu sorgen, an eben jene Firma, die das Gerät ursprünglich installiert habe, gebunden zu sein. Deshalb sei es ein zusätzlicher Vorteil, dass die Handwerkskammer hinter dem Projekt „Handwerk baut auf“ steht. Der Kontakt zu den Obermeistern der Kreishandwerkerschaft sei schließlich da und somit werden auch künftige Handwerksleistungen, die von Betrieben aus der Nähe erbracht werden können, vermittelt.

„Das Internet ist oftmals anonym: Fällt die Online-Handwerkersuche jedem leicht?“, fragt Krupp weiter. „Wir versuchen, sie zumindest etwas leichter zu machen“, sagt der HwK-Hauptgeschäftsführer. Das Engagement der Handwerkskammer spiele sich zudem nicht nur völlig im Netz ab. Ein Beispiel sei das große Umschlaglager in Gelsdorf, das in Zusammenarbeit mit der Debeka entstanden sei. Ursprünglich sei dies nur als Lagerplatz für Elektrogeräte gedacht gewesen. Heute ist es ein zentraler Punkt, an dem bestellte Warenlieferungen wie zum Beispiel Baumaterial sicher gelagert werden können. Das beuge dem Diebstahl auf Baustellen vor. Außerdem bewahre dieses zentrale Lager den anpackenden Geist der Helferbewegung. Für ankommende Handwerker diene die Station in Gelsdorf zusätzlich als Orientierungspunkt zur Anreise und als Ort zum Ankommen. Auch darüber hinaus möchte die HwK ansprechbar bleiben. Von dem Prinzip der Infopoints, wie es manche Stadtverwaltung es handhabe, möchte man jedoch ein wenig Abstand nehmen. „Diese Infostände sind zu unübersichtlich“, meint Hellrich. Stattdessen denke man über „Flutpaten“ nach, die über alle handwerklichen Dinge informieren und gleichzeitig beraten.

Abiturienten sind im Handwerk gerne gesehen

Der Fachkräftemangel ist nach wie vor ein großes Thema in ganz Deutschland. „Wie können junge Menschen wieder für das Handwerk begeistert werden?“, möchte Corinna Seidel wissen. Neben neuen Ideen wie dem erwähnten „Aufbaujahr“ gäbe es laut Hellrich eine Vielzahl von Möglichkeiten. Dazu gehören Berufsinformationstage an Schulen und Info-Tage. Diese Maßnahmen sollen ein Stück weit das ersetzen, „was man früher von den Eltern beigebracht bekommen hat“, sagt Hellrich. Dies bedeutet nicht nur das Know-How Dinge zu reparieren, sondern wieder Spaß an händischer Arbeit zu generieren. Denn etwas „zu schaffen“, sei ein Erfolgserlebnis. Gerade im Ahrtal erlebe er das. Es sei toll zu sehen, wenn junge Menschen auf das Geleistete stolz sind und sagen können: „An diesem Haus habe ich mitgeholfen.“ An der Ahr sei der Stolz auf diese Mitarbeit am Großen und Ganzen förmlich spürbar. Der Gedanke müsse nun weitertransportiert werden. Die Idee, junge Menschen wieder verstärkt für das Handwerk zu begeistern, stoße jedoch auf gesellschaftliche Widerstände. So sei es weiterhin eine verbreitete und falsche Annahme, dass Abiturienten zwangsläufig eine Studienlaufbahn einschlagen müssen. Das sei Quatsch, wie Hellrich betont. Vielmehr biete das Handwerk heute große Möglichkeiten für junge Menschen mit Abi, sich erfüllend zu betätigen – gerade in Zeiten der Digitalisierung. Dass die Widerstände groß sind, erlebe er sogar bei den Lehrern an den Schulen. Es gäbe manche Lehrer, die es geradezu als Verschwendung betrachten, falls ein Abiturient nach der Schule ins Handwerk gehe. Für Aussagen wie diese habe Hellrich absolut kein Verständnis.

Auf Rückfrage von Corinna Seidel erklärt der HwK-Hauptgeschäftsführer, dass auch Studienabbrecher – also Quereinsteiger – im Handwerk nicht unüblich wären. Gerade in den Corona-Zeiten haben sich gezeigt, dass bei der HwK oftmals ausgereiftere Lösungen bei Online-Semiraren angeboten werden, als dies bei mancher Uni der Fall wäre.

Für die Zukunft des Handwerks zieht Hellrich ein positives Fazit: „Wir werden immer jemanden brauchen, der uns das macht“, sagt er. Wohl werden sich aber die Rahmen- und Arbeitsbedingungen für das Handwerk ändern. „Das Handwerk muss digitaler werden, aber gleichzeitig auch rationaler. Wir müssen überlegen, wo sich Prozesse verbessern lassen“, so Hellrich abschließend. ROB