Peter Altmaier im BLICK

Hochwasser: „Wir haben drei harte Monate vor uns“

Hochwasser: „Wir haben drei harte Monate vor uns“

Bei dem Gespräch mit Peter Altmaier stand die Wirtschaft des Ahrtals im Fokus. Foto: ROB

Hochwasser: „Wir haben drei harte Monate vor uns“

Peter Altmaier und Mechthild Heil. Foto: ROB

Sinzig. Es war eine Möglichkeit, die sich vom Hochwasser betroffenen Unternehmern von der Ahr nur selten bietet: Mit dem Bundeswirtschaftsminister an einem Tisch sitzen und die Fragen zu stellen, die wirklich unter den Nägeln brennen. Peter Altmaier kam auf Einladung von Hermann Krupp, Geschäftsführer des Krupp Verlages und BLICK aktuell-Chefredakteur, sowie der Bundestagsabgeordneten Mechthild Heil (CDU) nach Sinzig. Und somit in eine Stadt, die stark von den Fluten des 14./15. Juli betroffen ist. An der Gesprächsrunde nahmen Peter Kriechel (Weingut Kriechel und Vorsitzender des Ahrwein e.V.), Doris Schmitt (J.M. Schmitt GmbH & Co. KG) sowie die Vorstandsvorsitzenden der regionalen Banken Dieter Zimmermann (Kreissparkasse Ahrweiler) und Sascha Monschauer (Volksbank Rhein-Ahr-Eifel) teil. Die wichtigsten Fragen aller Beteiligten lauteten einstimmig: Wie geht es mit meinem Betrieb weiter? Und wie sieht die Zukunft des Ahrtals aus? Altmaier hatte die passenden Antworten dabei und konnte überdies mit einigen Unklarheiten aufräumen.

Doris Schmitt hat das Hochwasser stark getroffen. Zwei Meter stand das Wasser in ihrem Betrieb im Gewerbegebiet Am Wiesenweg in Heimersheim. Dort stellt die Familie Schmitt und ihre Mitarbeiter Verpackungsmaterial her. Die dazu benötigten Maschinen sind nach der Flutnacht ein völliger Totalschaden. Die Beschäftigten waren jeden Tag im Einsatz, um das Gelände von Schlamm zu befreien. Das erfolgte Säubern sei zwar ein wichtiger Schritt gewesen, sagt Schmitt. Doch die richtigen Probleme kommen erst noch. „Die Versicherung zahlt nur 20 Prozent der Schadenshöhe“, schildert die Unternehmerin ihr Dilemma. Und der Schaden liegt in deutlicher Millionenhöhe. Angesichts dieser Herausforderungen fehle ihr die Perspektive für die Zukunft, so die Unternehmerin. Der Verdienstausfall sei jetzt die nächste große Hürde. Immerhin gäbe es in der Branche Zusammenhalt. Schmitts Kunden können bei Kollegen außerhalb des Ahrtals ihre Verpackungen bestellen. Dies geschehe unter dem Versprechen, sofort wieder zu Schmitt zurückzukehren, sobald die Maschinen in Heimersheim wieder laufen. Das hört sich zwar sehr gut an, sei aber nur ein kleines Trostpflaster. Denn die Maschinen müssen zunächst wieder neu bestellt werden. Und das kann dauern.

Peter Altmaier hat Verständnis für die Situation. „Ich weiß, dass sie alle auf glühenden Kohlen sitzen“, so der Wirtschaftsminister. „Aber ich habe für eine Lösung gesorgt“, sagt Altmaier selbstbewusst. 80 Prozent des entgangenen Gewinns sollen vom Staat erstattet werden. Firmen, die besonders schwer vom Hochwasser getroffen wurden, können im Rahmen einer Härtefallprüfung gar 100 Prozent Erstattung erwarten. Grundsätzlich stellt Altmaier klar: „Jeder frage sich, wo das Geld bleibt, aber das Geld sei bereits da.“ Von den insgesamt 30 Milliarden Euro, die in die Katastrophengebiete fließen sollen, gehen 15,3 Milliarden nach Rheinland-Pfalz und 12,3 Milliarden nach Nordrhein-Westfalen. Die entsprechenden rechtlichen Grundlagen (Aufbauhilfegesetz und -verordnung) sollen diese Woche final vom Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Der nächste Schritt bestehe darin, dass die Länder die Gelder auch abrufen. Denn die Länder seien schließlich zuständig. Diese Verantwortlichkeit sei ein Thema, das im Alltag oft untergehe. Der Weg zur Hilfe durch den Bund sei also bereitet. Nun empfehle er allen betroffenen Unternehmern, das Gespräch mit den Landesbehörden vor Ort zu suchen. Der Gang zu den regionalen Banken sei ebenfalls empfehlenswert. „Die Banken kennen ihre Kunden sehr gut und das oft seit Jahren“, sagt Altmaier. Er ist sich sicher, dass so unkomplizierte Lösungen gefunden werden können, gerade, wenn es um die Anschaffung neuer Maschinen gehe. Es gelte nun Substanzschäden abzuwenden, um Arbeitsplätze zu erhalten. Denn sichere Arbeitsplätze verhindern den Fortzug der Menschen. „Finanziell stehe Deutschland gut da, wir befinden uns im wirtschaftlichen Aufschwung“, unterstreicht Altmaier. Die Versicherungen stünden nun ebenfalls in der Pflicht, ihren Aufgaben nachzukommen. Auch darum müsse sich die Politik kümmern, wie Mechthild Heil betonte. „Es kann nicht sein, die Menschen hinzuhalten“, so die Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Ahrweiler.

Winzer stehen vor einem Scherbenhaufen

Als nächstes erteilte Hermann Krupp dem Ahr-Winzer Peter Kriechel das Wort. Der Winzer aus Walporzheim und Vorsitzender des Ahrwein e.V. zeichnet ein katastrophales Bild der derzeitigen Lage. „Von 52 Weingütern an der Ahr sind nur vier nicht direkt betroffen“, sagt er. „Der Rest wurde vollständig geflutet.“ Oft seien alle Maschinen zerstört und „es gibt Kollegen, die haben keine Flasche und kein Fass mehr.“ Kriechel schätzt, dass etwa 70.000 Weinflaschen in den Fluten zerstört wurden. Nicht nur die Weinkeller sind zerstört. „Wir haben etwa 10 Prozent des kompletten Anbaugebietes an der Ahr verloren,“ so Kriechel. Dies bedeute einen Verdienstausfall über vier bis fünf Jahre. Zwar sei mit Aktionen wie dem Flutwein-Verkauf die Liquidität der Winzer kurzfristig gesichert worden. Die Perspektive auf die Zukunft sähe aber düster aus. Kriechel bemängelt, dass sich „kein Offizieller“ je gemeldet habe. Als Winzer fühle man sich allein gelassen. „Das muss besser werden“, ist sich Peter Kriechel sicher. Der Bundeswirtschaftsminister hat einen Ratschlag. „Machen Sie Druck beim Land und führen Sie enge Gespräche mit der Landwirtschaftskammer „, sagt Altmaier. Es gelte nun zuzusehen, dass die Dinge, die der Bund geplant hat, auch umgesetzt werden. Altmaier kommt erneut auf den Versicherungsschutz zurück. „Die neue Bundesregierung wird sich diesem Thema annehmen,“ sagt er. Wichtig sei auch die Frage: Wie lang wird das Geld bezahlt? Je nach Branche ergeben sich unterschiedliche Konstellationen. Manche Firmen werden schneller wieder öffnen können, andere brauchen länger. Letztere dürfe man nicht im Stich lassen. Das gelte auch für die Winzer.

Banken: „Es herrscht Unsicherheit“

„Wie gehen Sie mit der jetzigen Situation um?“, möchte Krupp von den Vorstandsvorsitzenden der Regionalbanken wissen. Dieter Zimmermann, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Ahrweiler, erklärt, dass die Menschen im Ahrtal nach der anfänglichen Schockstarre „wieder nach vorne denken.“ Auch der größere Teil der Gewerbetreibenden möchte weitermachen, sagt Zimmermann. Für die Wiedereröffnung von Geschäften, Firmen und Betrieben benötige man jetzt finanzielle Sicherheiten und genaue Zusagen. Und eine Antwort auf die Frage: Darf ich überhaupt an meinem alten Standort wieder aufmachen, so Zimmermann. „Wenn ein Klinikbetrieb mit 300 Angestellten nicht weiß, ob es weiter geht, weil der Geschäftsführer selbst nicht abschätzen kann, ob überhaupt wieder eröffnet wird, sorgt das für massive Unsicherheit“, so Zimmermann. „Wir brauchen einen Leuchtturm, also Menschen, die sich entscheiden, weiter zu machen“, sagt Dieter Zimmermann. „Und diese Entscheidung muss genau jetzt getroffen werden“, fügt er hinzu.

Die Banken kämen den Menschen dabei entgegen, ebenso wie Peter Altmaier bereits vermutete. „Wir haben Tilgungen ausgesetzt, Spenden gesammelt und günstige Kredite angeboten“, weiß der KSK-Chef. Zimmermann betont jedoch, dass eine Wiederherstellung der Infrastruktur eine besonders wichtige Bedeutung hat. Denn ohne eine funktionierende Infrastruktur wäre ein Fortzug der Menschen nicht aufzuhalten. „Intakte Straßen, Brücken und Schienen sind essentiell für den Wiederaufbau des Ahrtals“, sagt Zimmermann. Dem pflichtet auch Peter Altmaier bei. „Jeder der weitermachen will, muss auch die Chance dazu erhalten“, sagt er. In Bezug auf die Infrastruktur stellt Altmaier klar: „Die Bundesinfrastruktur wird wieder hergestellt“, so der Bundeswirtschaftsminister. Gemeint sind damit Autobahnen, Bundesstraßen und Bahnstrecken. Auch für Unternehmer, die weitermachen wollen, möchte Altmaier Perspektiven anbieten. So gelte es zu klären, ob überhaupt am selben Ort weitergemacht werden darf oder nicht. „Das sind Fragen die nicht lange warten dürfen“, sagt er. Falls Einzelhändler und Firmen nicht am alten Standort neu starten können, müsse den Unternehmern Alternativen angeboten werden. Dazu bedürfe es einen Ansprechpartner für die Koordination und die Suche nach neuen und sicheren Gewerbeflächen. Ein weiteres Thema sei die Baumaterialknappheit in Deutschland. So zum Beispiel bei Plastikrohren. „Es muss sichergestellt werden, dass diese Materialien vorrangig in die Katastrophengebiete geliefert werden“, sagt Altmaier entschlossen. „Der Aufbau der betroffenen Regionen hat absoluten Vorrang“, so der Bundeswirtschaftsminister weiter.

„Uns fehlen Grundinformationen“

Auf die gegenwärtige Unsicherheit kommt auch der Vorstandsvorsitzende Sascha Monschauer von der Volksbank Rhein-Ahr-Eifel zu sprechen und schlägt dabei den Bogen zurück zu Doris Schmitt. Peter Altmaier erwähnte im Rahmen des Gespräches mit der Unternehmerin aus Heimersheim, dass je nach Schadenslage 80 Prozent oder bis zu 100 Prozent des verlorenen Betriebsgewinns erstattet werden. Für Monschauer sind das Aussagen, die Unsicherheit schüren. „Wer sagt mir denn, ob ich als Betroffener 80 oder 100 Prozent erhalte?“, fragt er und fasst zusammen: „Uns fehlen hier wichtige Grundinformationen.“ Auch die Banken selbst hätten es nicht leicht. Treffen die Gelder in Millionen- oder Milliardenhöhe auf den Konten der Kreditinstitute ein, werden Minuszinsen fällig. Hilfestellungen bei diesen Fragen gäbe es nicht. Von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht käme bisher nichts, wie Monschauer sagt. Altmaier stellt fest: Auch hier gelte es den Diskurs mit den Landesbehörden zu suchen. Vor allem mit den Wirtschaftsministern der jeweiligen Länder, also Daniela Schmitt in Rheinland-Pfalz und Andreas Pinkwart in Nordrhein-Westfalen. Sollte es zu lange dauern, bis endlich Fortschritte eintreten, bietet sich Altmaier als Vermittler an und möchte sich mit den Wirtschaftsministern der beiden Bundesländer zusammensetzen.

Der Optimismus bleibt

„Insgesamt umfassen die Hilfsgelder für die Flutgebiete 30 Milliarden Euro“, stellt Hermann Krupp fest. „Wer hat diese Summe festgelegt?“, möchte er wissen. Peter Altmaier kennt die Antwort. „Die Summe wurde vom Finanzministerium festgelegt und stützt sich auf Informationen und Schätzungen aus den betroffenen Bundesländern“, sagt er. „Und was passiert, wenn das Geld nicht reicht?“, hakt Krupp nach. „Da die 16 Bundesländer diesen Fonds gemeinsam tragen, muss, wenn mehr Geld benötigt wird, auch gemeinsam darüber entschieden werden, mehr Geld zur Verfügung zu stellen,“ sagt Altmaier, der abermals betont:. „Das Geld ist vorhanden, nur müsse es auch von den Ländern abgerufen werden.“ Wichtig sei für Altmaier auch die Prävention von Katastrophen wie es das Ahrtal und den Rhein-Sieg-Kreis traf. „Alle Kommunen in Deutschland müssen einer Gefahrenanalyse unterzogen werden. Und dann muss entsprechend umgebaut und aufgerüstet werden“, sagt er. Das gelte auch für Kommunen ohne Bäche und Flüsse. Denn es drohe auch Gefahr, wenn durch Starkregen das Grundwasser steige. „Es kann sein, dass wir ein ähnliches Unglück erst in 50 Jahren erneut erfahren müssen. Eine vergleichbare Katastrophe könnte sich aber auch schon in drei Jahren wiederholen.“ sagt Altmaier. „Und dann müssen wir vorbereitet sein.“

Zum Schluss möchte Krupp eine Prognose für die Zukunft: „Wie sieht die Perspektive für das Ahrtal aus?“. - Peter Altmaier ist optimistisch. „Im Ahrtal gibt es viele mittelständische Betriebe und Familienunternehmen, die nur darauf warten, weitermachen zu können“, lautet sein Eindruck. Zusätzlich sei die Wirtschaftslage in Deutschland gut und die Coronakrise sei überstanden. „Das hilft uns im Moment sehr.“ Fakt sei für ihn, dass „wir jetzt drei harte Monate vor uns haben“, gerade dann, wenn der Winter kommt. Dennoch siege der Optimismus, vor allem, wenn endlich Schwung in den Aufbau komme – und das schnellstmöglich.

Text/Fotos: Daniel Robbel