In der alten Schule in Mayschoß koordiniert sich die Dorfgemeinschaft nach der Flut - und das klappt hervorragend

Mayschoß: Ein Dorf organisiert sich selbst

03.09.2021 - 08:32

Mayschoß. Sattgrüne Weinberge, schroffe Ahrfelsen und uriges Fachwerk: Der Weinort Mayschoß ist ein echtes Kleinod an der Ahr. Doch war es genau dieser Fluss, der das Ortsbild wie so vieles im Ahrtal auf Jahre veränderte. Die Schadenslage in Mayschoß stellt sich so dar: Zur Hälfe schwer zerstört, die andere Hälfte blieb ganz. Letzteres war ein Glück für die Einwohner. Denn in den trocken gebliebenen Gebieten konnte man sich organisieren und das war bitter nötig. Der Ort war nach dem Wasser zunächst tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Handy ging nicht, Strom und Gas sowieso nicht. Die Bundesstraße, die so malerisch an die Ahr geteert wurde, war völlig unbefahrbar, es gab kein hinein und hinaus. Und hinter Mayschoß sieht die Lage noch schlimmer aus und das bis heute. Reimerzhoven, das kleine Örtchen vor der Nachbarstadt Altenahr, ist praktisch Ödland.


Viele Mayschosser wollen bleiben


Im unzerstörten Teil von Mayschoß steht auch die Alte Schule. Dort hat Gerd Baltes einen Krisenstab um sich geschart. Baltes selbst sollte eigentlich seine Pension genießen. Doch auch diesen Plan hat die Ahr durchkreuzt. Der verhinderte Pensionär läuft nun zu Hochtouren auf. Ständig wollen Presseleute ein Interview von ihm und irgendwas ist immer zu organisieren. Und dann ist da noch die große Frage um die Zukunft. „Viele hier wollen wieder aufbauen“, sagt er. Gerade die jungen Menschen im Dorf wollen Mayschoß treu bleiben. Das stimmt optimistisch. Aber es gibt, Dinge, sagt er, die sich ändern müssen. Ist die Rede von der Straße an der Ahr, ist die Bezeichnung „Lebensader“ nicht übertrieben. Gas- und Stromleitungen lagen nach straßenbaulicher Tradition unter dem Asphalt. Das heißt: Straße weg, Strom weg, Heizung weg. Man müsse hier umdenken, findet Baltes. „Vielleicht ist eine Versorgung über den Berg herunter möglich.“ Nordöstlich, jenseits der Weinberge, liegt Kalenborn. Ein Anschluss von dort wäre denkbar. Doch bis die Mayschosser begannen, über solche Dinge zu sprechen, vergangen ein paar Wochen. Zunächst galt es sich selbst zu helfen. In der Flutnacht wurde gemeinschaftlich gegen das Wasser gekämpft. „Von der Kreisverwaltung hat man hier nichts gehört“, sagt Baltes. Und die offizielle Hilfe? „Da haben wir ein Manko“, so Baltes. „Bei uns kam lange Zeit nichts an.“ Außerdem hätte man sich eine Verbindungsperson gewünscht, vom Kreis oder von der ADD. „Da ist bis heute nichts gekommen“, so der ehrenamtliche Krisenstabsleiter Baltes. „Auch sechs Wochen nach der Flut nicht“.


Dankbarkeit gegenüber den vielen Helfern


Irgendwann rollten doch die Feuerwehrleute von auswärts an. Gerade der Feuerwehr aus Neustadt an der Weinstraße sei man sehr dankbar. Tolle Hilfe gab es auch aus Speyer und vom THW. Und dann waren da noch die tausenden privaten Helfer, die mit Schippe und Gummistiefel das Dorf aufräumten und die Landwirte die mit schwerem Gerät bis zum Umfallen gearbeitet haben. .„Wir waren und sind für jede Hilfe dankbar“, sagt Baltes. Dass die Hilfsbereitschaft enorm ist, zeigt die Kirche St. Nikolaus und Rochus. Hier hat eine Verpflegungsstation Stellung bezogen. Es gibt Bratwurst und anderes Leckeres. Ein paar Helfer aus Syrien haben Aluschalen mit typischen Speisen aus ihrer Heimat vorbereitet. Im Inneren der Kirche sieht es aus wie ein gigantisches Warenlager. Viel Nützliches stapelt sich dort: Hygieneartikel, Windeln, Konservendosen und jede Menge Kleidung. Darunter auch Exotisches wie Stöckelschuhe und ein Abendkleid. Ein wenig skurril wirkt der Altarraum. Dort entstand die Schuhausgabe und Jesus Christus persönlich wacht über Sneaker und Turnschuhe.


Feuerwehrleute hörten auf ihr Bauchgefühl


Während die Mayschosser lange auf Hilfe von außen warteten, war die örtliche Feuerwehr seit der Stunde Null im Einsatz. Die Kameraden hatten schon am Nachmittag „ein schlechtes Gefühl im Bauch“. So wurden frühzeitig Spundwände hochgezogen und Sandsackbarrieren gebaut. Vielleicht konnte man durch die Durchsagen der Wehrleute auch Menschenleben retten. Die Kameraden fuhren mit Megaphon und warnten, dass etwas Großes auf den Ort zukommen werde. Dennoch: Auch in Mayschoß starben Menschen in der Hochwassernacht.

Die Dorfgemeinschaft funktioniert hier wunderbar. Das merkte man gerade in den Tagen nach der Flut, als nach außen Funkstille herrschte. Es gibt viele Winzer im Ort und die haben oft Aggregate. So konnten die wichtigsten Gebäude mit Strom versorgt werden. Alles konnte nicht gerettet werden. Aber stellten sich Probleme ein, wurden schnell Lösungen gefunden. Auch ungewöhnliche Herausforderungen wurden in Eigenregie angenommen. So wie diese: Mayschoß ist ein Ort, der von der Gastronomie geprägt. Hinzu kommen zwei Metzger und ein Bäckerei. Die Zahl der Betriebe, die Lebensmittel verarbeiten, ist für den 1000-Einwohner-Ort also recht üppig. Nach wenigen Tagen ohne Strom und steigenden Temperaturen – das Wochenende nach der Flut war recht warm – begannen Fleisch, Gemüse und Backwaren zu vergammeln. Die Mayschosser waren sich einig, dass das schnell weg musste. Schließlich sollte das Dorf frei von Krankheiten bleiben. So wurden die verdorbenen Lebensmittel in viele Container verfrachtet und in einem Baggerloch oberhalb des Ortes versenkt und schließlich gut gekalkt. Ob man das durfte? „Gefragt haben wir keinen“, sagt Baltes. In Zeiten der Not siegt eben der Pragmatismus – und der Zusammenhalt. „Jeder war für jeden da, selbst bei Kleinigkeiten wurde gemeinschaftlich angepackt, von morgens bis abends“, sagen die Ehrenamtler im Krisenstab in der Alten Schule. Ein Satz, der an der Ahr oft fällt. Gerd Baltes weiß, warum in Mayschoß die Solidarität und die Hilfsbereitschaft innerhalb der Dorfgemeinschaft so groß ist. „Wir haben hier die älteste Winzergenossenschaft der Welt“, weiß er. Der Genossenschaftsgedanke werde in Mayschoß noch richtig gelebt. „Die Mayschosser haben das Helfen einfach in den Genen“, sagt Baltes nicht ohne Stolz. ROB

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