Staatsanwaltschaft Koblenz informiert zum Stand der Ermittlungen zur Unwetterkatastrophe im Ahrtal

Flutkatastrophe sei im Vorfeld nicht abzusehen gewesen

Flutkatastrophe sei im Vorfeld
nicht abzusehen gewesen

Die Ortsgemeinde Schuld im Ahrtal am Tag der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2021. Foto: Archiv/WinklerTV

09.09.2022 - 15:03

Koblenz/Ahrtal. Am 06.08.2021 hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen zwei Beschuldigte wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt - jeweils begangen durch Unterlassen - mitgeteilt. Gleichzeitig hatte sie angekündigt, die Medien und die Öffentlichkeit fortlaufend über den Gang der Ermittlungen zu unterrichten, soweit dies ermittlungstaktisch und unter Berücksichtigung der für die Beschuldigten geltenden Unschuldsvermutung rechtlich möglich ist. Dieser Ankündigung folgend hat sie mit Pressemitteilungen vom 21.12.2021, 15.03.2022 und 09.06.2022 den jeweiligen Stand der Ermittlungen mitgeteilt. Diese Mitteilungen werden nunmehr ergänzt:

Mittlerweile hat die Polizei die aus den bisherigen Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse in wesentlichen Teilen zusammengefasst und mit der Fertigung ihres Abschlussberichts begonnen. In der sich nun anschließenden Phase des Verfahrens erfolgt eine eingehende Auswertung der Erkenntnisse und der bereits zu einzelnen Fragekomplexen vorliegenden Berichte durch die Staatsanwaltschaft. Hierbei finden auch Erkenntnisse aus einzelnen weiteren Zeugenvernehmungen sowie aus den beim Untersuchungsausschuss „Flutkatastrophe“ des Landtages Rheinland-Pfalz angeforderten und von dort zur Verfügung gestellten Unterlagen Berücksichtigung. Auch wird in diesem Zusammenhang das vor wenigen Tagen bei der Staatsanwaltschaft Koblenz eingegangene Gutachten des hydrologischen Sachverständigen inhaltlich einzuordnen sein.

Der Sachverständige ist insbesondere zu folgenden Schlüssen gelangt: Bei der Flut im Ahrtal habe es sich um ein Ereignis von hoher Komplexität gehandelt. Diese Komplexität sei im Vorfeld nicht abzusehen gewesen und habe sich auch nicht durch Modellierungen prognostizieren lassen. Das Ausmaß der Zerstörung sei nicht allein auf die extreme Abflussgröße zurückzuführen. Vielmehr seien große Mengen an Treibgut flussabwärts transportiert worden, was an zahlreichen Brücken zu Verklausungen geführt habe. Dies habe lokale und punktuelle weitere Erhöhungen des Wasserstandes durch Rückstau zur Folge gehabt. Der Sachverständige verweist auch auf die Wasserverdrängung durch Bauten auf dem Talboden. Da der Zufluss aus den Nebenbächen räumlich und zeitlich unterschiedlich erfolgt sei, hätten sich die Wassermengen nur teilweise überlagert, was beobachtete schwankende Wasserstände erkläre. Lokal seien schwallartige Wellen hinzugekommen, die aus dem Aufbruch von Verklausungen resultiert hätten. Die Faktoren hätten sich lokal sehr unterschiedlich auf das Geschehen ausgewirkt. Das plötzliche Auftreten des Hochwassers, der in Schüben erfolgte schnelle Anstieg des Wasserstandes sowie die für die Ahr ungewöhnlich hohen Fließgeschwindigkeiten sprächen für ein als Sturzflut zu bezeichnendes Ereignis, wobei Sturzfluten in Deutschland nur selten vorkämen.


Realistische Prognose erst nach Eintritt des Hochwassers


Die Wetterprognosen des Deutschen Wetterdienstes sowie weiterer meteorologischer Institutionen hätten nahe, teilweise sogar deutlich über den tatsächlich gefallenen Niederschlagsmengen gelegen. Bei der Konkretisierung der erwarteten Regenmengen für das Einzugsgebiet der Ahr zeige sich ein größeres Spektrum der Niederschlagsmengen. Dies sei in der Dynamik des Regenbandes begründet, das sich erst kurzfristig genauer habe verorten lassen. Bereits eine geringfügige räumliche Verschiebung des erwarteten Niederschlagsbandes hätte im Ahr-Einzugsgebiet zu einem erheblichen Unterschied in den Regenmengen geführt. Selbst wenn sich die tatsächlich gefallene Niederschlagsmenge nur im unteren Bereich des durch den Deutschen Wetterdienst prognostizierten Spektrums bewegt hätte, wäre dennoch ein Hochwasser der Größenordnung des 02.06.2016 zu erwarten gewesen.

Konkrete Hochwasserwarnungen und durch das Landesamt für Umwelt prognostizierte Pegelstände seien erst drei Tage später, eine Gefahrenwarnung, welche ein schweres Hochwasser der Größenordnung eines seltener als alle 50 Jahre auftretenden Hochwassers prognostizierte, erst am 14.07.2021 um 17:17 Uhr erfolgt. Die konkreten Pegel-Prognosen hätten am 14.07.2021 um 11:22 Uhr angedeutet, dass ein Hochwasser der Größenordnung vom Juni 2016 zu erwarten sei. Eine realistischere Prognose der erwarteten Pegelstände sei jedoch erst ab 20:22 Uhr und damit erst nach Eintritt des Hochwassers am Oberlauf der Ahr erfolgt. Am Unterlauf sei das Hochwasser erst später eingetreten, und zwar in Bad Neuenahr zwischen 23:00 Uhr und 23:30 Uhr und in Sinzig ab 02:00 Uhr. Die prognostizierten Pegelstände hätten ab 14:22 Uhr gereicht, um von einem Hochwasser größer als 2016 auszugehen. Ab 20:22 Uhr habe ein nochmals deutlich größeres Hochwasser als 2016 angenommen werden müssen. Das tatsächliche Hochwassergeschehen habe sich insbesondere durch die Warnungen der Hochwassergefahr sowie der Pegelprognosen frühestens um 20:22 Uhr prognostizieren lassen.

Das Ahr-Hochwasser vom 14./15.07.2021 habe sich von dem „Jahrhunderthochwasser“ am 02.06.2016 in seiner Entstehung und Größe signifikant unterschieden. Der 2016 erreichte Scheitelabfluss habe etwa 20 bis 25% von dem betragen, was im Juli 2021 erreicht worden sei. Zwar seien auch 2016 etwa 800 beschädigte Häuser registriert worden, doch habe keine Einsturzgefahr bestanden. Auch andere Faktoren, die das Hochwasser vom Juli 2021 maßgeblich geprägt hätten, wie die großen Mengen an Treibgütern, die daraus entstandenen Verklausungen oder die hohen Fließgeschwindigkeiten innerhalb bebauter Gebiete, seien 2016 nicht beobachtet worden.

Die Ausführungen des Gutachters bestätigen die bereits zuvor durch die bisherigen Ermittlungen gewonnene Vermutung der Staatsanwaltschaft, dass es sich bei der Flut im Ahrtal am 14./15.07.2021 um ein Geschehen handelt, das mit dem Begriff „Hochwasser“ nur unzureichend beschrieben ist. Dies wird im Rahmen der Frage, wie mit im Vorfeld der Katastrophe ergangenen Warnungen umgegangen worden ist, zu berücksichtigen sein. Ansonsten bedarf das Gutachten wie auch die übrigen, bisher gewonnenen Beweismittel der näheren Auswertung, die sich auf den konkreten Ablauf der Katastrophennacht sowie - ggf. - auch auf die Frage bezieht, ob frühere Warnungen zu einer Vermeidung von Todesfällen geführt hätten. Hierbei prüft die Staatsanwaltschaft routinemäßig und ihren gesetzlichen Verpflichtungen entsprechend weiterhin, ob Anlass besteht, auch gegen andere als die bisher beschuldigten Personen Ermittlungen einzuleiten. Bisher ist dies nicht der Fall.


Untersuchungsausschuss soll weitere Unterlagen liefern


Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, parallel zu den Auswertungen der vorliegenden Erkenntnisse den Untersuchungsausschuss um die Übermittlung weiterer dort anfallender Unterlagen zu bitten.

Nähere Auskünfte zum Stand können wegen der noch andauernden Prüfungen leider auch weiterhin nicht erfolgen. Wann mit einer abschließenden Entscheidung zu rechnen ist, lässt sich bedauerlicherweise noch immer nicht sicher sagen. Auch deshalb sei an dieser Stelle nochmals die für die Beschuldigten weiterhin geltende Unschuldsvermutung besonders betont. Es ist nach wie vor nicht auszuschließen, dass es nach der Sichtung des vorliegenden und sehr umfangreichen Materials noch einzelner Nachermittlungen bedarf. Ungeachtet dessen wird das Verfahren auch weiterhin großem Nachdruck und dem Ziel eines möglichst baldigen Verfahrensabschlusses geführt.

Die Staatsanwaltschaft wird die Öffentlichkeit zu gegebener Zeit erneut über den Fortgang des Verfahrens informieren.

Pressemitteilung

Staatsanwaltschaft Koblenz

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10.09.2022 10:03 Uhr
juergen mueller

Wie zu erwarten, wird dieses Verfahren ausgehen wie das Hornberger Schießen. Keiner will Schuld gewesen sein, obwohl Indizien dafür vorliegen, dass gewisse politische Zweibeiner nur darum bemüht waren, ihr eigenes Leben in Sicherheit zu bringen. Wann hat es in der Politik schon einmal ein Verantwortungsbewusstsein gegeben, dass über das eigene ICH hinausgeht? Diese ganze Hin- u. Herschieberei von Schuld u. Sühne ist einfach nur noch lächerlich u. erbärmlich. Keine Krähe hackt der anderen ein Auge aus. Fakten werden einfach solange auf ein Minimum herunterdegradiert, bis man daraus keine Schuld mehr herleiten kann. Heutzutage reicht es schon aus, die Aussage zu verweigern. Das Einzige was hier bereits im Vorfeld abzusehen war, ist die Gewissheit, dass solche Profilierungs-Untersuchungsausschüsse nur Steuergeld verschlingen, viel geredet u. diskutiert wird, letzten Endes aber zu nichts führen. Hornberger Schießen eben.



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