Berührende Gedenkveranstaltung mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Kurpark - Emotionaler Redebeitrag von Guido Orthen

„Ich hatte einen Namen, aber die Flut hat mich mitgenommen“

„Ich hatte einen Namen, aber die Flut hat mich mitgenommen“

Die Veranstaltung war für 2000 Besucher ausgelegt. Foto: SWR

„Ich hatte einen Namen, aber die Flut hat mich mitgenommen“

Auch Olaf Scholz besuchte die Veranstaltung. Foto: SWR

„Ich hatte einen Namen, aber die Flut hat mich mitgenommen“

Landrätin Cornelia Weigand. Foto: SWR

„Ich hatte einen Namen, aber die Flut hat mich mitgenommen“

Guido Orthen, Bürgermeister der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Es war die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. 134 Menschen starben in der Flut, die am 14. und 15. Juli das Ahrtal erfasste, zwei weitere Menschen werden immer noch vermisst. 42.000 Menschen sind betroffen. An diesem Tag hat sich das Gesicht des Ahrtals verändert. Die Zerstörungen sind gigantisch und weiterhin überall sichtbar. Zum ersten Mal jährte sich die bis heute unvorstellbare Naturgewalt.

Klein und bescheiden sollte die zentrale Gedenkveranstaltung im Kurpark von Bad Neuenahr werden und dennoch eine angemessene Möglichkeit bieten, gemeinsam den 134 Todesopfern der Flutkatastrophe des 14. und 15. Juli 2021 zu gedenken. Für 2000 Angehörige, Betroffene und Mitglieder der Hilfsorganisationen wurde dazu der passende Rahmen geschaffen. Ganz so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren es zwar nicht, trotzdem nutzten viele Menschen die Möglichkeit zum gemeinsamen Gedenken.

Organisiert wurde die zentrale Gedenkveranstaltung von der Kreisverwaltung Ahrweiler gemeinsam mit den vier von der Flutkatastrophe betroffenen Städte Bad Neuenahr-Ahrweiler und Sinzig sowie den Verbandsgemeinden Altenahr und Adenau. Neben Landrätin Cornelia Weigand, den Bürgermeistern Guido Orthen (Bad Neuenahr-Ahrweiler), Andreas Geron (Sinzig) , Dominik Gieler (VG Altenahr) und Guido Nisius (VG Adenau) wohnte auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer der Veranstaltung bei. Mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesumweltministerin Steffi Lemke wurden außerdem zwei besondere Ehrengäste erwartet. Des weiteren nahmen einige Vertreter der regionalen Politik wie die Landtagsabgeordneten Horst Gies und Petra Schneider, Vertreter von Hilfsorganisationen und Vereine an der berührenden Veranstaltung teil.

Weigand: „Aufbau entschlossener angehen“Die Eröffnungsrede hielt Landrätin Cornelia Weigand. Die parteilose Politikerin und Einwohnerin von Altenahr ist selbst von der Flut betroffen. „Die Dimensionen der Flut sind unfassbar“, so Weigand in ihrer bewegenden Rede. Dies betreffe nicht nur das Ausmaß der Zerstörung, sondern auch das Ausmaß der Trauer, die im Ahrtal noch immer gegenwärtig sei. Rein rechnerisch gäbe es 1000 Betroffene auf jedem Kilometer, skizzierte die Landrätin die Größenordnung der Katastrophe an der Ahr, die sich von einem „Flüsschen in ein Monster verwandelt habe“. Cornelia Weigand dankte den vielen Menschen, die sich im Kurpark, der auch während der Flut auch vollständig unter Wasser stand, zum gemeinsamen Gedenken versammelt hatten. Die Lücken und Brachen seien in den Herzen weiterhin spürbar und vieles sei noch nicht aufgearbeitet.

Weigand betonte, dass aus einem besonderen Grund keine Einladungen für die zentrale Gedenkveranstaltung verschickt wurden: „Wir wollten niemanden ausschließen.“ In diesem Zusammenhang dankte sie den unzähligen freiwilligen Helferinnen und Helfern, deren Einsatz „uns immer noch unendlich dankbar macht“. Der Aufbau sei nun im vollen Gange, doch vieles laufe zu langsam und zu bürokratisch. Im Tal wieder Leben entstehen zu lassen, erfordere Kräfte, von denen nun noch keiner glaube, dass diese überhaupt da seien.

Aber man sei es den Opfern der Flutkatastrophe schuldig, den Blick nach vorne zu richten. „Sie geben uns die Verpflichtung mit, das Ahrtal sicherer, nachhaltiger und grüner zu machen. Vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrung müssen wir den Aufbau entschlossener angehen – um dieser Katastrophe und vor allem ihren Opfern so etwas wie einen Sinn abzugewinnen,“ so Weigand weiter. Und: „Auch wenn man sich alleine fühlt, man ist es nicht.“ Man werde weiter nach vorne gehen, egal, wie schwer es auch werde.

Die Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erinnerte an den größten und längsten Rettungseinsatz in der deutschen Geschichte und dankte ebenfalls den Hilfskräften von überall her. Ihr Dank galt auch den unzähligen Helferinnen und Helfern, die an der Seite der Dörfer und Städte entlang der Ahr gestanden hätten und weiterhin stehen und erinnerte an die enorme Solidarität. „Wir denken heute auch an die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Katastrophe. An die vielen Einsatzkräfte von Rettungs- und Hilfsorganisationen, Feuerwehren, des Katastrophenschutzes und der Bundeswehr, die Tag und Nacht unter großer Gefahr im Einsatz waren. An die unzähligen freiwilligen Helfer und Helferinnen, die ins Tal gekommen sind, um den Menschen beizustehen. Und wir danken denjenigen Menschen, die bis heute dafür arbeiten, das Ahrtal wiederaufzubauen. Auch an Bundeskanzler Olaf Scholz richtete Malu Dreyer ihren Dank aus. „Binnen weniger Wochen hat der Bund gemeinsam mit den Ländern ein historisches Wiederaufbauprogramm von 15 Milliarden Euro für Rheinland-Pfalz bereitgestellt.“ Das heutige Gedenken mache deutlich, dass das Versprechen der ersten Tage nach der Katastrophe weiter gelte: Das Ahrtal sei nicht vergessen, unterstrich die Ministerpräsidentin.

Besonders berührend war der Beitrag von Guido Orthen (CDU), Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, der stellvertretend für alle Bürgermeister im Kreis Ahrweiler sprach. Allein die Kreisstadt hat durch die Flutkatastrophe 67 Tote zu beklagen.

Orthen formulierte seinen Beitrag als „Zwiegespräch mit einer Seele“, und somit einem Menschen, der bis zur Flutnacht im Ahrtal lebte und in der Flutnacht sein Leben verlor. „Ich hatte einen Namen, hatte Familie, Freunde“, zitierte Orthen. „Aber die Flut hat mich mitgenommen und 133 weitere. Sie hat mich mitgenommen, herausgerissen, mitten aus dem Leben“. Der Bürgermeister erläuterte auch, wie es den Menschen im Tal gehe. Allein sei man hier nicht, denn „Tausende mit oder Uniform haben mitgeholfen“, so Orthen weiter. Die Solidarität war und ist immer noch unbeschreiblich. Aber man sei auch müde, manchmal mürbe und manchmal wütend. Der Wiederaufbau gehe langsam voran und nicht alles sei „schnell und unbürokratisch“. Doch: Der Blick auf das was gut läuft, sei oft verstellt von dem, was schlecht läuft. Es gebe viele Lichtblicke, dank der vielen Menschen im Tal, die ihre Heimat wieder aufbauen. Und auch dank der vielen Helferinnen und Helfer. Nun gelte es, die Heimat nicht nur wieder aufzubauen, sondern den Katastrophen- und Hochwasserschutz zu verbessern. „Wir wollen lernen, neu und anders machen“, so Guido Orthen abschließend.

Nach den Redebeiträgen formten die Besucher eine Menschenkette und bildeten so den Auftakt für die Aktion, die am Freitag im gesamten Ahrtal realisiert werden soll. Anschließend folgte eine Schweigeminute, die mit einer Animation auf der Videowand unterlegt wurde, bei der die Namen der Verstorbenen gezeigt wurden und für jeden ein Stern im Himmel erschien.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der nicht an das Rednerpult trat, äußerte sich im Vorfeld zum Flutgedenken. „Die schrecklichen Bilder von der Flutkatastrophe im Ahrtal vor einem Jahr bleiben unvergessen. Den vielen helfenden Händen und für die überwältigende Solidarität danke ich ausdrücklich. Wir wollen aus dieser Katastrophe lernen, um solchen Ereignissen zukünftig besser vorzubeugen und deren Folgen wirksamer zu minimieren. Um das zu gewährleisten, arbeiten wir an einem besseren Bevölkerungsschutz: Die Bürgerinnen und Bürger müssen besser gewarnt werden können. Der Hochwasserschutz muss noch effektiver werden! Der Klimawandel bringt neue Herausforderungen mit sich, denen sich der Staat stellen wird. Heute sind meine Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen sowie allen von der Flut Betroffenen“, so der Bundeskanzler.

Vier Betroffene teilten ihre Erfahrungen auf der Bühne im Kurpark. Monika Lambert-Weber aus Sinzig, Gisela und Ulrich Brand aus Bad Neuenahr, Dagmar Hoffmann aus Schuld und Michaela Sebastian aus Altenburg schilderten in emotionalen Worten ihre Erlebnisse der Flutnacht. Allen gemein war die Hilfslosigkeit angesichts der unvorstellbaren Kraft der Naturgewalt und die große Dankbarkeit gegenüber den vielen Helferinnen und Helfern. Umrahmt wurde die Gedenkveranstaltung von Musikbeiträgen, unter anderem von dem Ahrtal Musiker Stephan Maria Glöckner, den Rhein-Ahr-Spatzen aus Sinzig und dem Theater Feuervogel aus Schuld.

ROB