Berührende Gedenkveranstaltung mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Kurpark - Emotionaler Redebeitrag von Guido Orthen

„Ich hatte einen Namen, aber die Flut hat mich mitgenommen“

14.07.2022 - 19:47

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Es war die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. 134 Menschen starben in der Flut, die am 14. und 15. Juli das Ahrtal erfasste, zwei weitere Menschen werden immer noch vermisst. 42.000 Menschen sind betroffen. An diesem Tag hat sich das Gesicht des Ahrtals verändert. Die Zerstörungen sind gigantisch und weiterhin überall sichtbar. Zum ersten Mal jährte sich die bis heute unvorstellbare Naturgewalt.

Klein und bescheiden sollte die zentrale Gedenkveranstaltung im Kurpark von Bad Neuenahr werden und dennoch eine angemessene Möglichkeit bieten, gemeinsam den 134 Todesopfern der Flutkatastrophe des 14. und 15. Juli 2021 zu gedenken. Für 2000 Angehörige, Betroffene und Mitglieder der Hilfsorganisationen wurde dazu der passende Rahmen geschaffen. Ganz so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren es zwar nicht, trotzdem nutzten viele Menschen die Möglichkeit zum gemeinsamen Gedenken.

Organisiert wurde die zentrale Gedenkveranstaltung von der Kreisverwaltung Ahrweiler gemeinsam mit den vier von der Flutkatastrophe betroffenen Städte Bad Neuenahr-Ahrweiler und Sinzig sowie den Verbandsgemeinden Altenahr und Adenau. Neben Landrätin Cornelia Weigand, den Bürgermeistern Guido Orthen (Bad Neuenahr-Ahrweiler), Andreas Geron (Sinzig) , Dominik Gieler (VG Altenahr) und Guido Nisius (VG Adenau) wohnte auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer der Veranstaltung bei. Mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesumweltministerin Steffi Lemke wurden außerdem zwei besondere Ehrengäste erwartet. Des weiteren nahmen einige Vertreter der regionalen Politik wie die Landtagsabgeordneten Horst Gies und Petra Schneider, Vertreter von Hilfsorganisationen und Vereine an der berührenden Veranstaltung teil.


Weigand: „Aufbau entschlossener angehen“


Die Eröffnungsrede hielt Landrätin Cornelia Weigand. Die parteilose Politikerin und Einwohnerin von Altenahr ist selbst von der Flut betroffen. „Die Dimensionen der Flut sind unfassbar“, so Weigand in ihrer bewegenden Rede. Dies betreffe nicht nur das Ausmaß der Zerstörung, sondern auch das Ausmaß der Trauer, die im Ahrtal noch immer gegenwärtig sei. Rein rechnerisch gäbe es 1000 Betroffene auf jedem Kilometer, skizzierte die Landrätin die Größenordnung der Katastrophe an der Ahr, die sich von einem „Flüsschen in ein Monster verwandelt habe“. Cornelia Weigand dankte den vielen Menschen, die sich im Kurpark, der auch während der Flut auch vollständig unter Wasser stand, zum gemeinsamen Gedenken versammelt hatten. Die Lücken und Brachen seien in den Herzen weiterhin spürbar und vieles sei noch nicht aufgearbeitet.

Weigand betonte, dass aus einem besonderen Grund keine Einladungen für die zentrale Gedenkveranstaltung verschickt wurden: „Wir wollten niemanden ausschließen.“ In diesem Zusammenhang dankte sie den unzähligen freiwilligen Helferinnen und Helfern, deren Einsatz „uns immer noch unendlich dankbar macht“. Der Aufbau sei nun im vollen Gange, doch vieles laufe zu langsam und zu bürokratisch. Im Tal wieder Leben entstehen zu lassen, erfordere Kräfte, von denen nun noch keiner glaube, dass diese überhaupt da seien.

Aber man sei es den Opfern der Flutkatastrophe schuldig, den Blick nach vorne zu richten. „Sie geben uns die Verpflichtung mit, das Ahrtal sicherer, nachhaltiger und grüner zu machen. Vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrung müssen wir den Aufbau entschlossener angehen – um dieser Katastrophe und vor allem ihren Opfern so etwas wie einen Sinn abzugewinnen,“ so Weigand weiter. Und: „Auch wenn man sich alleine fühlt, man ist es nicht.“ Man werde weiter nach vorne gehen, egal, wie schwer es auch werde.

Die Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erinnerte an den größten und längsten Rettungseinsatz in der deutschen Geschichte und dankte ebenfalls den Hilfskräften von überall her. Ihr Dank galt auch den unzähligen Helferinnen und Helfern, die an der Seite der Dörfer und Städte entlang der Ahr gestanden hätten und weiterhin stehen und erinnerte an die enorme Solidarität. „Wir denken heute auch an die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Katastrophe. An die vielen Einsatzkräfte von Rettungs- und Hilfsorganisationen, Feuerwehren, des Katastrophenschutzes und der Bundeswehr, die Tag und Nacht unter großer Gefahr im Einsatz waren. An die unzähligen freiwilligen Helfer und Helferinnen, die ins Tal gekommen sind, um den Menschen beizustehen. Und wir danken denjenigen Menschen, die bis heute dafür arbeiten, das Ahrtal wiederaufzubauen. Auch an Bundeskanzler Olaf Scholz richtete Malu Dreyer ihren Dank aus. „Binnen weniger Wochen hat der Bund gemeinsam mit den Ländern ein historisches Wiederaufbauprogramm von 15 Milliarden Euro für Rheinland-Pfalz bereitgestellt.“ Das heutige Gedenken mache deutlich, dass das Versprechen der ersten Tage nach der Katastrophe weiter gelte: Das Ahrtal sei nicht vergessen, unterstrich die Ministerpräsidentin.

Besonders berührend war der Beitrag von Guido Orthen (CDU), Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, der stellvertretend für alle Bürgermeister im Kreis Ahrweiler sprach. Allein die Kreisstadt hat durch die Flutkatastrophe 67 Tote zu beklagen.

Orthen formulierte seinen Beitrag als „Zwiegespräch mit einer Seele“, und somit einem Menschen, der bis zur Flutnacht im Ahrtal lebte und in der Flutnacht sein Leben verlor. „Ich hatte einen Namen, hatte Familie, Freunde“, zitierte Orthen. „Aber die Flut hat mich mitgenommen und 133 weitere. Sie hat mich mitgenommen, herausgerissen, mitten aus dem Leben“. Der Bürgermeister erläuterte auch, wie es den Menschen im Tal gehe. Allein sei man hier nicht, denn „Tausende mit oder Uniform haben mitgeholfen“, so Orthen weiter. Die Solidarität war und ist immer noch unbeschreiblich. Aber man sei auch müde, manchmal mürbe und manchmal wütend. Der Wiederaufbau gehe langsam voran und nicht alles sei „schnell und unbürokratisch“. Doch: Der Blick auf das was gut läuft, sei oft verstellt von dem, was schlecht läuft. Es gebe viele Lichtblicke, dank der vielen Menschen im Tal, die ihre Heimat wieder aufbauen. Und auch dank der vielen Helferinnen und Helfer. Nun gelte es, die Heimat nicht nur wieder aufzubauen, sondern den Katastrophen- und Hochwasserschutz zu verbessern. „Wir wollen lernen, neu und anders machen“, so Guido Orthen abschließend.

Nach den Redebeiträgen formten die Besucher eine Menschenkette und bildeten so den Auftakt für die Aktion, die am Freitag im gesamten Ahrtal realisiert werden soll. Anschließend folgte eine Schweigeminute, die mit einer Animation auf der Videowand unterlegt wurde, bei der die Namen der Verstorbenen gezeigt wurden und für jeden ein Stern im Himmel erschien.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der nicht an das Rednerpult trat, äußerte sich im Vorfeld zum Flutgedenken. „Die schrecklichen Bilder von der Flutkatastrophe im Ahrtal vor einem Jahr bleiben unvergessen. Den vielen helfenden Händen und für die überwältigende Solidarität danke ich ausdrücklich. Wir wollen aus dieser Katastrophe lernen, um solchen Ereignissen zukünftig besser vorzubeugen und deren Folgen wirksamer zu minimieren. Um das zu gewährleisten, arbeiten wir an einem besseren Bevölkerungsschutz: Die Bürgerinnen und Bürger müssen besser gewarnt werden können. Der Hochwasserschutz muss noch effektiver werden! Der Klimawandel bringt neue Herausforderungen mit sich, denen sich der Staat stellen wird. Heute sind meine Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen sowie allen von der Flut Betroffenen“, so der Bundeskanzler.

Vier Betroffene teilten ihre Erfahrungen auf der Bühne im Kurpark. Monika Lambert-Weber aus Sinzig, Gisela und Ulrich Brand aus Bad Neuenahr, Dagmar Hoffmann aus Schuld und Michaela Sebastian aus Altenburg schilderten in emotionalen Worten ihre Erlebnisse der Flutnacht. Allen gemein war die Hilfslosigkeit angesichts der unvorstellbaren Kraft der Naturgewalt und die große Dankbarkeit gegenüber den vielen Helferinnen und Helfern. Umrahmt wurde die Gedenkveranstaltung von Musikbeiträgen, unter anderem von dem Ahrtal Musiker Stephan Maria Glöckner, den Rhein-Ahr-Spatzen aus Sinzig und dem Theater Feuervogel aus Schuld.

ROB

Artikel bewerten

rating rating rating rating rating
Kommentare können für diesen Artikel nicht mehr erfasst werden.
Stellenmarkt
Weitere Berichte

Angeklagte sollen Frau schwer misshandelt, zur Prostitution gezwungen und getötet haben

Nach Mord im Koblenzer Rotlichtmilieu: Anklage gegen zwei Personen erhoben

Koblenz. Wie die Staatsanwaltschaft Koblenz mitteilt, wurde nach dem Tötungsdelikt im Koblenzer Rotlichtmilieu vergangenen November nun Anklage gegen eine 40-jährige Frau und einen 48 Jahre alten Mann (beide bulgarischer Nationalität) erhoben. Den beiden Beschuldigten wird zur Last gelegt, eine mit ihnen zusammenlebende 31-jährige Bulgarin grausam und aus niedrigen Beweggründen getötet zu haben.... mehr...

Der Unfallverursacher war alkoholisiert auf der A 48 unterwegs

Lkw-Fahrer schwer verletzt in Führerhaus eingeklemmt

Kehig. Ein 37 Jahre alter LKW-Fahrer befuhr am 22.04.2024 gegen 05:00 Uhr die A 8 in Fahrtrichtung Dreieck Vulkaneifel, kommend aus Richtung Koblenz. Zwischen der Anschlussstelle Polch und Mayen kam der Fahrer von der Fahrbahn ab und kollidierte mit der Mittelschutzplanke. Anschließend verließ er die Autobahn an der Raststätte Elztal-Nord, wo er gegen einen am rechten Fahrbahnrand geparkten Sattelzug stieß und diesen auf einen weiteren vor ihm geparkten Sattelzug schob. mehr...

Regional+
 

Fassungslosigkeit und Entsetzen bei Angehörigen und Beobachtern

Ex-Landrat wird nicht angeklagt: Einstellung des Verfahrens schlägt hohe Wellen

Kreis Ahrweiler. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat am 17. April 2024 das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Landrat des Landkreises Ahrweiler und den Leiter der Technischen Einsatzleitung (TEL) während der Flutkatastrophe an der Ahr 2021 eingestellt. Die umfangreichen Ermittlungen ergaben keinen ausreichenden Tatverdacht, der eine strafrechtliche Verurteilung ermöglichen würde. Dem Leitenden... mehr...

kfd Ettringen

Lachende Kölnarena

Ettringen. Aufgrund des großen Erfolges in diesem Jahr bietet die kfd Ettringen auch 2025 eine Busfahrt nach Köln in die Lanxess Arena zur größten Karnevalsparty der Domstadt an. Am Samstag, 25. Januar 2025 erleben die Teilnehmer die Stars der karnevalistischen Musikszene, die traditionellen Garden, die Crème de la Crème der kölschen Rednerzunft und das Kölner Dreigestirn. mehr...

Anzeige
 
Sie müssen angemeldet sein, um einen Leserbeitrag erstellen zu können.
LESETIPPS
GelesenNeueste
Kommentare
juergen mueller:
@Amir Samed - Lol. Diese Infos hätten sie auch von mir bekommen können. Aber, danke für Ihre Mühe. Es freut mich immer wieder, dass Sie offenbar zu denen gehören, die zumindest Interesse aufzeigen, was diesen Themenbereich angeht, auch wenn Ihre Meinung hierzu sich in nichts von der unterscheidet, die...
Amir Samed:
Zum Stand der Forschung: Akasofu, Syun Ichi & Tanaka, Hiroshi L. (2021) zeigen in ihrer Arbeit, dass der Temperaturanstieg, der angeblich von Menschen verursacht wurde, tatsächlich auf PDO (Pazifische Dekaden-Oszillation) und AMO (Atlantische Multi-Dekaden Oszillation) zurückzuführen ist. - In diesem...
juergen mueller:
Die KLIMAKRISE ist kein neues Phänomen. Sie gibt es tatsächlich, ist real u. ist ein Begriff für die ökologische, politische u. gesellschaftliche Krise im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung. Seit dem vergangenen Jahrhundert erwärmt sich das Klima. Das globale Mittel der bodennahen Lufttemperatur...
Hansen:
Korrektur: Das war grausanste Folter und ein Femizid. Benennt es als das, was es ist. Wir schreiben das Jahr 2024 und nicht 1980....
Amir Samed:
Aufgepast ihr Omas, nicht das sich die "stabile Brandmauer" in ein (geistiges) Gefängnis ohne Entkommen verwandelt....
Haftnotiz+
aktuelle Beilagen
Inhalt kann nicht geladen werden

 

Firma eintragen und Reichweite erhöhen!
Service