Allgemeine Berichte | 16.02.2017

Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck zeigt engagierte Stipendiaten-Arbeiten zum Thema Zeichnung heute

„Was sich abzeichnet“

Regine Ehleiter (l.) erläutert Zeichnungen aus Danja Erni kommunikativem Projekt „Zeichenstammtisch“. HG

Rolandseck. Drei „Geburtstagsgeschenke“ an seine Gäste hält das Arp Museum Bahnhof Rolandseck zum zehnten Jahr seines Bestehens bereit. Das Haus startete mit dem „AufDADAtakt“, einem munteren Tag der offenen Tür und der damit verbundenen Ausstellungseröffnung „Was sich abzeichnet“ der Stipendiaten des Künstlerhauses Schloss Balmoral und des Landes Rheinland-Pfalz 2016/17. Außerdem legt es das „langersehnte“ Werkverzeichnis zu den Reliefs des Museumspatrons Hans Arp vor, das Astrid von Asten verfasst hat. „Nicht trockene Recherche“, so versichert die Arp-Kuratorin des Museums, verlangte das Werk, „sondern künstlerische Zusammenhänge, mal inhaltlich, mal geschichtlich“, hat sie für das 781 Nummern umfassende Verzeichnis durchforstet. „Was sich abzeichnet“, die Ausstellung zu Zeichnung heute, ist keinesfalls einfach zu umreißen. Das beginnt schon mit dem ersten Exponat der Schau: Zehn Ausstellungskataloge auf einem Sockel, „weil viele Beiträge Buchkunst sind“. „Auf vier Seiten haben die Künstler da jeweils ihre Arbeiten vorgestellt“, erklärt Regine Ehleiter, die sich als Kuratoriumsstipendiatin überzeugend der Aufgabe gestellt hat, Zeichnung in der zeitgenössisch erweiterten Form zu präsentieren. Von einer dienenden Funktion nämlich, etwa der einer Vorzeichnung, hat sich das Medium längst entfernt. „Sie ist nicht mehr Vorstufe, sondern emanzipiert“, betont Museumsdirektor Kornhoff, der auch das Künstlerhaus Schloss Balmoral leitet. Der Katalog und seine Nutzer werden beispielsweise bei William Engelens lose eingelegtem Schreibmaschinenfarbband zu Mit-Kreatoren. Je nachdem, wie das Buch auf- und zugeklappt wird, verändert sich der Abdruck beziehungsweise eben das, was sich abzeichnet. Engelen hielt auch fest, was eine defekte CD klanglich abzeichnete. Das enervierende rhythmische Klackern ertönt täglich um 17 Uhr im Museum.

Die Ausstellung bietet zeichnerische Praxis also in teils erstaunlichen Facetten der neun Stipendiaten. Sieben weitere Künstler mit einem Stipendium des Landes Rheinland-Pfalz, die nicht an das Jahresthema gebunden waren, bereichern sowohl die Ausstellung als auch den Katalog mit ihren Beiträgen. Die Schau beginnt im Bahnhofsfoyer, wo Ralf Ziervogels großformatige Körperabdrücke in Tinte und Gouache zu sehen sind und die riesige Wandarbeit von Dagmara Genda. Sie greift Unebenheiten der Wand auf, um sie zeichnerisch zu verstärken. Ebenso von ihr zeigt die Ausstellungsetage im ersten Stock ein direkt in Tusche auf die Wand gebrachtes „Wall Tracing“. Eine Wand voll Din A 4 Zeichnungen von Netzstrukturen und eine klassische Bleistiftzeichnung mit aberwitzig einander durchdringenden Bahnen, die an Verkehrswege erinnern, steuert Christian Pilz bei. Dabei setzt er den Stift so zart auf, dass einem beim Verfolgen der Linien im Blei-Dunst leicht schwindelig wird.

Grafitgewölk und Zeichenstammtisch

Den umgekehrten Weg geht David Semper, der einen Grafitstift in die Wand versenkt und derart den Fokus auf das Zeichnungsmaterial lenkt. Das Vorstehende rieb er ab, auf dass sich um sein „Stiftstück“ dunkles Grafitgewölk abzeichnete. Anne Gathmann lud für die Abdrücke in ihrem Gipsblock den Zufall ein, und Danja Erni beteiligte an ihrem kommunikativen Projekt „Zeichenstammtisch“ erkennbar Laienzeichner, die sie zeichnen ließ und mit denen sie über Zeichnung und Zeichnen sprach. Ob ihre drei mit Zeichnungen überzogenen großen Tische die im Flyer beschriebene „gesellschaftliche Funktion des Zeichnens“ zu vermitteln wissen, wird sich herausstellen.

Vielfach interessiert der Körper. Während von Anna Maria Tekampe apricot-farbige Körperabdrücke kommen, beschäftigt sich Jonas Weber Herrera in Videos mit jener seltenen Körperschemastörung, bei der sich Menschen übervollständig fühlen. Er geht dabei der Frage nach, inwieweit Körperwahrnehmung und Medien zusammenhängen. Mit einer kräftig rot akzentuierten Reihe malerischer Manifeste ruft Petra Mattheis in verschiedenen Sprachen gegen Tabus der Menstruation auf. Ins Reich des Pflanzlichen, allerdings geradezu sezierend, begibt sich Gabriela Oberkofler. Sie zerlegt in ihrem farbigen Bild die Latschenkiefer in ihre einzelnen Bestandteile, als Zeichen dafür, wie die zivilisierte Gesellschaft mit der Natur umgeht. Rayeon Kim beschäftigt sich indes in verschlüsselter Weise über die lateinischen Bezeichnungen ebenfalls mit Pflanzen.

Umgekehrte Frottage

Zur Ausstellung zählen auch die iPod-Botschaften von Matthias Glässer und Fotografien, mit denen Markus Georg Reintgen den von der NS-Organisation Kraft durch Freude geschaffenen Architekturkomplex in Prora auf Rügen untersucht. Dagegen hat Eva Kietzmann nach ihrem Auslandsstipendium in Korea eine dortige trostlose, auf dem Reißbrett entstandene Stadt abgebildet. Auch Christoph Medicus liefert einen kritischen Beitrag. Er gibt sich nicht mit einem spannenden und handwerklich aufwendigen Arbeitsprozess zufrieden, der eindrucksvolle Resultate zeugt. Medicus hat eine Technik der umgekehrten Frottage erfunden, bei der er Papier an eingefärbte rotierende Hölzer hält. Ein so gestaltetes Riesenformat hängt beidansichtig über einer Stange mitten im Südraum der Ausstellungsetage. Es bildet mit weiteren farbigen Papieren, die samt eingeschnürten Figuren auf dem Boden liegen, eine überraschende Installation.

Öffnungszeiten

Die Ausstellung kann bis 26. Juni besucht werden. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. HG

Gabriela Oberkofler zerlegt in ihrem Bild die Latschenkiefer in ihre einzelnen Bestandteile.

Gabriela Oberkofler zerlegt in ihrem Bild die Latschenkiefer in ihre einzelnen Bestandteile. Foto: unknown

„Begehbare Zeichnung“ von Christoph Medicus.

„Begehbare Zeichnung“ von Christoph Medicus. Foto: unknown

Regine Ehleiter (l.) erläutert Zeichnungen aus Danja Erni kommunikativem Projekt „Zeichenstammtisch“. Fotos: HG

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