BLICK in die Chronik von Hilgert: Die Weltwirtschaftskrise

Ernüchternde Perspektive für die Jugend

Die Weltwirtschaftskrise hatte auch auf Hilgert dramatische Auswirkungen – Die Arbeitslosigkeit stieg und wer seine Heimat nicht verlassen wollte, hatte selten große Chancen

03.01.2019 - 15:35


Der vorerst letzte Wahlsieg der Demokratie


Im Januar 1929 legte Bürgermeister Strödter sein Amt nieder und zog sich auf seinen Posten als Rechnungsführer des Spar- und Darlehensvereins Hilgert zurück, den er bisher schon innegehabt hatte.

Am 28. Januar 1929 wählte die Gemeindevertretung den 1896 geborenen Pfeifenmacher Friedrich Wilhelm (Willi) Remy, der sein Amt am 20. Februar 1929 antrat, zu Strödters Nachfolger. Bei den Gemeindevertretungswahlen vom 17. November 1929 wurde der neue Bürgermeister sogleich eindrucksvoll in seinem Amt bestätigt: Auf den ihn unterstützenden „Bürgerlichen Wahlvorschlag“ entfielen 300 Stimmen und 11 Sitze, wohingegen der „Kommunistische Wahlvorschlag“ 41 Stimmen erzielte und mit Ludwig Sellner, der zugleich auf der Liste der Kommunistischen Partei für den Kreistag kandidierte, einen Sitz einnehmen konnte. Altbürgermeister Strödter kehrte in die Gemeindevertretung zurück. Die Kreistagswahl, bei der kreisweit regelmäßig das Zentrum dominierte, gewann in Hilgert die Liste „Evangelische Volksgemeinschaft“ (Christlicher Volksdienst) mit 285 von 353 abgegebenen gültigen Stimmen, gefolgt von den Kommunisten mit 43 und der Evangelischen Bauern- und Arbeiterpartei mit acht Stimmen. Die Sozialdemokratische Partei erhielt sieben Stimmen. Bewerber auf der von Bürgermeister Paul Viehmann aus Grenzhausen angeführten Liste „Volksgemeinschaft“, die zwei Sitze im Kreistag gewann, war auf Platz 4 der Landwirt Hermann Karl Simonis aus Hilgert. Es sollte bis 1945 das letzte Mal sein, dass die Hilgerter Bevölkerung mehrheitlich für demokratische Parteien votierte.

Schon zu Beginn seiner ersten, bis 1945 andauernden Amtszeit stand Remy vor großen Herausforderungen – ein Umbruch kündigte sich an.


Dramatische Arbeitslosigkeit


Im Reich überschritt die Zahl der unterstützten Arbeitslosen Ende Januar die Zwei-Millionen-Grenze, einen Monat später kam eine weitere Million hinzu. Die durch den Schwarzen Freitag, den 25. Oktober 1929, an der New Yorker Börse ausgelöste Weltwirtschaftskrise verschärfte die Lage weiter und führte zu einer Massenarbeitslosigkeit in ganz Deutschland. Auch Hilgert blieb hiervon nicht verschont. Anfang der 1930er-Jahre zählten ausweislich eines von der Gemeindeverwaltung ausgefüllten Fragebogens zur Erlangung von staatlichen Ergänzungszuschüssen etwa 40 Prozent der arbeitsfähigen Einwohner zur Bevölkerungsschicht der Arbeiter; 30 Prozent gehörten zur Heimindustrie. Die Zahl der Landwirte mit Nebenerwerb wurde mit 28 Prozent beziffert.

Im Winter 1931/32 waren im Unterwesterwaldkreis 3721 Menschen arbeitslos. Reichsweit gab es 1933 mittlerweile über sechs Millionen Erwerbslose. Wie viele Gemeinden auch nahm der Ort am 1931 ins Leben gerufenen Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) teil, der unter Leitung des Kreiswiesenbauamtes über zahlreiche staatlich bezuschusste Programme arbeitslose Jugendliche und Erwachsene beschäftigte. 1931/32 wurden auf diese Weise unter anderem der Bach in der Dorfwiese sowie der Masselbach reguliert und ein Weg befestigt. Die Kosten für die Anfuhr der Steine, die zur Sanierung des Wiesenbachbettes benötigt wurden, brachte man durch eine Sonderholzfällung auf.


Hoffnungsschimmer am Horizont: Ein Wäller fährt zur See


Unter den von der wirtschaftlichen Depression Betroffenen befand sich auch der 1913 geborene Alfred Radermacher, der von Januar 1930 bis Mitte April 1931 bei der Firma Paulus und Thewalt in Höhr als Buchdruckergehilfe tätig war. Dann konnte ihn das Unternehmen nicht mehr länger beschäftigen, und Radermacher meldete sich arbeitslos.

Am 5. Juli 1931 kam er in seinem Heimatort bei dem Pfeifenmacher Eduard Radermacher als Tonwarenarbeiter unter. Dieser hatte jedoch selbst nicht mehr genügend Aufträge und kündigte ihm kurz vor Weihnachten 1931. Der 18-Jährige stand also wieder auf der Straße, diesmal bis März 1932. Für wenig Geld verrichtete er anschließend für die Gemeinde bis März 1933 Notstandsarbeiten, um dann wiederum beim Arbeitsamt Höhr vorstellig zu werden, das ihm aber auch keine Tätigkeit vor Ort anbieten konnte.

Der ständigen Sorge um die Sicherung seines Lebensunterhalts entkam Radermacher erst, als er sich zum 1. Juli 1933 bei der Marine als Berufssoldat verpflichtete. Von September 1940 bis April 1942 war er Obersteuermann auf dem Unterseeboot U 96 (beschrieben in Günther Buchheims Roman „Das Boot“) und von September 1942 bis Mai 1943 Kommandant von U 120. Nach seiner Beförderung zum Oberleutnant zur See am 1. Juli 1943 kommandierte er bis Ende September 1944 das Unterseeboot U 393.

Alfred Radermacher war jedoch eine Ausnahme: Um den Preis des Wegzugs aus der Heimat sowie dank des glücklichen Umstands, dass er die Aufnahmeanforderungen der Marine erfüllte, entging er weiterer Arbeitslosigkeit.

Die meisten Hilgerter Einwohner, die in der Heimindustrie tätig waren oder sich als Fabrikarbeiter verdingten, mussten sehen, wie sie ihre Existenz sicherten, wenn auf einmal die Aufträge ausblieben. Von den jugendlichen Schulabgängern hatte bei dem großen Mangel an Arbeitsplätzen kaum noch jemand eine positive Zukunftsperspektive.

Aus Claus-Dieter Schnug

und Horst Bartels: Hilgert –

Ein Westerwalddorf im

Wandel der Zeit, S. 126 ff.

ISBN 978-3-00-042946-0

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