Ausstellung in der Citykirche: Vergiss mich nicht und komm...

Erinnerung an das Unvorstellbare

Stiftung Scheuern und Verein Mahnmal Koblenz zeigen Ausstellung über NS-Euthanasiemorde und Zwangssterilisationen in der Koblenzer Citykirche

19.01.2016 - 14:01

Koblenz/Nassau. Nicht mehr als 20 Stellwände – doch zwischen diesen Stellwänden lässt sich unvorstellbares Leid erahnen: Die vor wenigen Tagen in der Koblenzer Citykirche eröffnete Ausstellung „Vergiss mich nicht und komm… Zwangssterilisationen und Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 bis 1945“ beleuchtet eine der schwärzesten Seiten im sicherlich dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Initiiert hat sie der Verein Mahnmal Koblenz, der alljährlich im Umfeld des 27. Januar, des Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, mit einer besonderen Veranstaltung der NS-Opfer gedenkt – und diesmal in der Stiftung Scheuern in Nassau, einer der größten Einrichtungen der Behindertenhilfe in Rheinland-Pfalz, einen Kooperationspartner gefunden hat. In der von den Arnsteiner Patres zur Verfügung gestellten Citykirche zeigt die Stiftung Scheuern die Dokumentation zu ihrem Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewalttaten – ergänzt durch 14 eindrückliche Opfer-Biografien aus Koblenz und Umgebung, die der Verein Mahnmal erarbeitet hat.


Verbrechen an den Schwächsten der Gesellschaft


„Diese Ausstellung beschäftigt sich mit einer ganz besonderen Kategorie von Verbrechen“, leitete der Vereinsvorsitzende Dr. Jürgen Schumacher die Ausstellungseröffnung ein. „Verbrechen, die gezielt die Schwächsten der Gesellschaft getroffen haben.“ Die Einstufung von behinderten und kranken Menschen als ,unnütze Esser‘ habe damals, in der Zeit des Nationalsozialismus, zu deren systematischer Ermordung geführt. „Eine solche Verachtung und Abwertung zeigt ein Höchstmaß an Selbstsucht und Mangel an Empathie“, beschrieb Schumacher das geistig vergiftete Klima jener Jahre, die, obwohl längst vergangen, leider nach wie vor gegenwärtig sind. „Wenn Rechtsradikale heute einen solchen Zulauf finden, wenn Kommunalpolitiker Morddrohungen erhalten und wenn das Internet vor fremdenfeindlichen Hasstiraden überquillt, dann ist es umso mehr unsere Pflicht, daran zu erinnern, wozu menschenverachtende Ideologien führen können“, mahnte Schumacher.

Sehr deutliche Worte fand auch Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern, deren Vorgänger-Einrichtung die Nationalsozialisten zur „Zwischenanstalt“ umfunktionierten. Insgesamt fast 1500 Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung deportierten sie von dort in die Tötungsanstalt Hadamar, wo sie bis zum 23. August 1941 durch Giftgas, von da an bis Kriegsende durch Medikamentenüberdosierung oder gezieltes Verhungernlassen einen qualvollen Tod fanden. „Das Vergessen ihrer Vernichtung über Jahrzehnte war lange Teil der Vernichtung selbst. Das ist heute zum Glück endlich anders“, betonte Biesgen, der die Erinnerungskultur dennoch kritisch hinterfragte: „Ist es überhaupt möglich, Erinnerung an solche Verbrechen in einer Art und Weise zu begehen, die nicht schal ist?“


Berichte von Zeitzeugen


Wie echtes, sinnvolles Erinnern und Gedenken gelingen kann, demonstrierte Biesgen, indem er aus zwei Zeitzeugenberichten von Menschen zitierte, die damals knapp der Deportation von Scheuern nach Hadamar entkamen. „Ich möchte so Schreckliches in meinem ganzen Leben nicht wieder erleben. Dann möchte ich noch viel lieber tot sein“, heißt es in einem von ihnen. „Neben die Scham über das von Menschenhand damals verübte Ungeheuerliche soll und darf die stellvertretende Bitte um Vergebung treten“, sagte Gerd Biesgen. „Nein, so Schreckliches soll im ganzen Leben keines Menschen wieder erlebt werden. Und ja, wir Heutigen wollen uns nach unseren Kräften dafür einsetzen, dass Schritte hin zu mehr Gerechtigkeit gegangen werden.“ Wer glaube, dass Rassismus heute keine Rolle mehr spiele, irre, mahnte Biesgen, der in diesem Zusammenhang aus dem Buch „Annas Spuren“ zitierte, in dem sich die ehemalige Lehrerin Sigrid Falkenstein mit der Lebensgeschichte ihrer ermordeten Tante auseinandersetzt. „Je leistungsorientierter die Gesellschaft ist, desto größer ist die Gefahr, dass sogenannte Randgruppen – chronisch Kranke, Behinderte, alte Menschen oder Arbeitslose – nur noch als wirtschaftliche Belastung angesehen und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden“, schreibt Sigrid Falkenstein. „Wir müssen täglich daran arbeiten, dass gerade schwache, oft am Rand der Gesellschaft stehende Menschen in die Mitte zurückgeholt werden, dass sie gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können. Das ist unsere Pflicht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade.“


Giftgasmorde in Hadamar


Joachim Hennig, federführend an der Organisation und Konzeption der Ausstellung beteiligter stellvertretender Vorsitzender des Vereins Mahnmal Koblenz, wiederum ging ebenso historisch fundiert wie anschaulich auf die Inhalte der Ausstellung ein. „Auf den Tag genau heute vor 75 Jahren begann Hadamar mit den Giftgasmorden“, erinnerte er und schilderte das grauenhafte Geschehen, das sich nach Ankunft der „Patienten“ in der Tötungsanstalt abspielte. Schilderte, wie die Nationalsozialisten durch die Vorspiegelung falscher Todesursachen, aber auch durch die Einrichtung von Zwischenanstalten wie eben der in Scheuern, die übrigens die einzige in Trägerschaft der Kirche war, ihre Verbrechen verschleierten. Neben den insgesamt rund 300.000 Morden an kranken, behinderten und sozial nicht angepassten Menschen thematisiert die Ausstellung aber auch die 350.000 Zwangssterilisationen von psychisch Kranken, die die Nationalsozialisten schon bald nach ihrer Machtergreifung auf der Grundlage des sogenannten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses nicht minder systematisch betrieben. Kein Irrsinn, der aus dem Nichts entstand, wie Hennig betonte. „Die Ausstellung zeigt auf, dass die Ermordung kranker und behinderter Menschen keine "Erfindung" der Nazis war, sondern dass Wissenschaftler und Praktiker schon in den 1920er-Jahren die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘, die ,Ausmerze‘ von ,Ballastexistenzen‘ befürwortet hatten. Die Nazis griffen diese Vorstellungen auf und setzten sie in ihrer eigenen Art um – viel konsequenter, radikaler und brutaler, als man das vorher auch nur erwogen hatte“, stellte Hennig klar. Und: „Das alles hatte eine Vorgeschichte. Und diese Vorgeschichte fand nicht irgendwo statt, sondern ganz nah, hier bei uns.“ Im Detail nachzulesen ist dies alles in der Ausstellung, die noch bis zum 3. Februar, täglich von 7.30 bis 19 Uhr (außerhalb der Gottesdienste), in der Citykirche am Koblenzer Jesuitenplatz zu sehen ist, und durch Briefe in der Zwischenanstalt Scheuern lebender Menschen und ihrer Angehörigen noch mehr Plastizität erhält.Pressemeldung

Stiftung Scheuern

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