Stadt Neuwied hatte zur Einwohnerversammlung eingeladen
Ausbaubeiträge: Experte sieht keine vernünftige Alternative
Neuwied. Nach den letzten Freiluft Einwohnerversammlungen in Segendorf, Oberbieber und Rodenbach kehrte die Stadt Neuwied zum alten Format in den Sälen zurück. Dass das Bürgerhaus in Torney trotzdem bis auf den letzten Platz gefüllt war, lag am spannenden Thema der Ausbaubeiträge. „Die bundes- und landesweite Diskussion ist auch in unserer Stadt angekommen“, begrüßte Oberbürgermeister Jan Einig die zahlreichen Besucher. Mehrfach hatte der Neuwieder Stadtrat in den vergangenen Monaten über die Abschaffung der Ausbaubeiträge kontrovers diskutiert. Im Februar hatten die Fraktionen, mit Ausnahme von SPD und Grünen, eine an die Landesregierung und den Landtag gerichtete Resolution hinsichtlich der Abschaffung verabschiedet. Dabei gibt es dafür nach Auffassung von Professor Dr. Hans Joachim Driehaus gar keinen vernünftigen Grund. Die Stadtverwaltung hatte den ehemaligen Richter am Bundesverwaltungsgericht, als anerkannten und ausgewiesenen Experten, eingeladen. Mit vier Fragen ging Dr. Hans Joachim Driehaus das Thema an. 1. Besteht Anlass zur Abschaffung? 2. Wird das Problem dadurch gelöst? 3. Trägt die Abschaffung zur Befriedung der Gemeinde bei? 4. Gibt es intelligentere Lösungen? „Als einzige Begründung für die Abschaffung vernehme ich immer nur die mangelnde Akzeptanz beim Bürger. Dann können wir auch die Einkommenssteuer in Frage stellen“, kritisierte Dr. Hans Joachim Driehaus. Dafür erntete der ehemalige Richter Widerspruch aus dem Publikum. Mehrfach führten Bürger Härtefälle ins Feld. Etwa Rentner, die schlichtweg nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen und bei der Bank keinen Kredit mehr bekommen. Für Dr. Hans Joachim Driehaus sind das Einzelfälle, denen die Stadt mit einer Billigkeitsregelung entgegenkommen könnte. Etwa durch Ratenzahlungen über zwanzig Jahre mit geringer Verzinsung. Bei vorzeitigen Tod überträgt sich die Schuld auf die Erben. Härtefallregelungen seien ebenfalls in Abhängigkeit vom Verkehrswert des Grundstücks möglich. Für den Experten ist die Abschaffung der Ausbaubeiträge keine Option. Letztendlich würde der Landeszuschuss für die Kommunen viel zu niedrig ausfallen, um diese Einnahmen zu kompensieren. Die Folge: Die Kommune müsste wesentlich mehr Geld aufbringen als derzeit. Das wiederum würde dazu führen, dass die Städte und Kommunen die Grundsteuer erhöhen. Letztendlich zahlen die Bürger also doch. Allerdings seien die Lasten dann aber nicht mehr so fair verteilt wie derzeit. Das aktuelle System mit unterschiedlich hohen Eigenbeteiligungen der Grundstückseigentümer, in Abhängigkeit von der Nutzung der Straße, sei wesentlich gerechter. Der Gebrauchswert einer Immobilie werde zudem durch die Modernisierung von Straßen, Bürgersteigen und Straßenbeleuchtungen erhalten und gesteigert.
Im alten Rom nicht anders
„Schon im alten Rom wurden Ausbaubeiträge in ähnlicher Form erhoben“, eröffnete Dr. Hans Joachim Driehaus die rund zweistündige Einwohnerversammlung. Rom hätte erkannt, dass diese „Ewigkeitslast“ niemals von der öffentlichen Hand allein finanziert werden könne. 1893 sei das System von den Preußen in die Rechtsordnung des Deutschen Reichs übernommen worden. Nach der Gründung von Rheinland-Pfalz wurde die Regelung ins kommunale Abgabenrecht übernommen. Wegen des ständigen Verschleißes bezifferte der Gast die Straßenhaltbarkeit auf 30-40 Jahre. In den letzten Jahren seien die Grundstückseigentümer in Rheinland-Pfalz eher gering belastet worden, weil die Kommunen nicht mal Geld für deren Anteil hatten. Das vehemente Festhalten des ehemaligen Richters am bestehenden System erregte manchen der Besucher. Ob es denn gar keine Alternative gibt, wollte Dr. Jutta Etscheidt wissen. Der Gast aus Berlin nannte eine Grundgesetzänderung, aber meldete gleichzeitig Zweifel an, ob es dafür eine Mehrheit geben würde bzw. ob diese juristisch einwandfrei wäre. Eine Bürgerin aus Torney wollte wissen, ob es denn richtig sei, dass auf dem gleich großen Nachbargrundstück ein Mehrfamilienhaus steht aber dennoch der gleiche Ausbaubeitrag entrichtet werden muss. „Im Wesentlichen ist die Bewertung gleich“, antwortete Oberbürgermeister Jan Einig.
Andere brennende Themen
Wenngleich die Ausbaubeiträge im Mittelpunkt des Abends standen, so nutzten die überwiegend aus Torney kommenden Einwohner die Gelegenheit, andere brennende Themen zur Sprache zu bringen. Eine Anwohnerin machte ihrem Ärger Luft, dass sich die drei Ostseeinsel Straßen rund um den Spielplatz seit zwölf Jahren im Baustraßen Zustand befinden und damit eine Gefahr für die Kinder darstellen. Ein weiteres Ärgernis stellt der Abriss des Unterstands für die Grundschulkinder an der Bushaltestelle dar. Eine Vertreterin der Gemeindlichen Siedlungsgesellschaft wies auf den baulichen Zustand hin. Wann und ob überhaupt wieder ein Regenschutz aufgebaut wird, konnte an dem Abend nicht geklärt werden. Auch nicht, was gegen die „Raserei“ in der Oberbieberer Straße gemacht werden kann, die ein Anwohner tagtäglich in der Tempo 30 Zone beobachtet. Oberbürgermeister Jan Einig sicherte eine Verkehrsraummessung zu. Den Vorschlägen des Bürgers für bauliche Maßnahmen wie „Kölner Teller“ und „Berliner Kissen“ stand der Stadtchef reserviert gegenüber. „Die Lärmbelästigung muss berücksichtigt werden. So etwas möchte keiner vor seinem Schlafzimmer haben“. Die Verkehrssituation in der Heimstättenstraße verschärft sich zunehmend. Für die Vielzahl der Bewohner, überwiegend den GSG Häusern, stehen zu wenig Parkmöglichkeiten zur Verfügung. „Seit 22 Jahren warten wir auf eine Lösung“, kritisierte ein Ortsbeiratsmitglied die Stadtverwaltung. Ebenfalls seitens des Ortsbeirats wurde eine Antwort in Sachen Renovierung des Bürgerhauses angemahnt. Gerne sind die Bürger/innen bereit, selbst Hand anzulegen. Seit Wochen warten sie aber auf grünes Licht aus dem Rathaus. Die Mitarbeiter der Verwaltung notierten alle Anliegen, um den Fragestellern in den nächsten Wochen die Antworten schriftlich zukommen zu lassen. FF