Osterkirmes: Heimspiel für die Neuwieder Schausteller
Erfolgreicher Start in die Rummelsaison
Neuwied. „Alle Jahre wieder kommt von Niederbieber, zu der Zeit der Eier, der Karussellen Meyer“. Der Volksmund war neben Plakaten und Zeitungsannoncen einst die gängigste Form der Vorankündigung. „Heute sind wir natürlich auch auf Social Media aktiv“, berichtet Herbert Meyer. Seit rund siebzig Jahren zeichnet seine Familie, in wechselnden Organisationsformen, als Ausrichter der Osterkirmes verantwortlich.
An Ostersonntag zog der Schausteller vorab ein positives Fazit. Rund fünfzehn Marktbeschicker hatten den Besuchern viel Spaß und Action geboten. Darunter etliche Karussells und erstmals sogar ein Riesenrad. Zu den Höhepunkten zählten die Feiertage, an denen der Osterhase zu Besuch war und die Kinder mit Süßigkeiten überraschte, sowie der Samstagabend. Zahlreiche Menschen genossen das Höhenfeuerwerk. Nur sehr langsam leerte sich die Kirmeswiese an diesem Abend. Ebenfalls gut angekommen war der Familientag mit deutlich verbilligten Fahrten und Preisen. Kirmes, so Herbert Meyer, ist ein Ereignis für alle gesellschaftlichen Gruppen und da solle auch jeder die Gelegenheit haben mitzumachen.
Die Osterkirmes ist in den letzten Jahren gewachsen. Vor ein paar Jahren war diese Entwicklung nicht abzusehen. Im Gegenteil: „Die Coronajahre bereiteten uns Kopfzerbrechen. Werden die Leute danach wiederkommen?“, sorgten sich die Meyers. Doch es kam ganz anders: 2022 und 2023 waren sehr gute Jahre. „Die Menschen hatten die Kirmes vermisst und jede Menge Nachholbedarf“. Traditionell ist die Osterkirmes für Neuwieder Schaustellerfamilien wie die Bauermeisters, Heinens, Müllers, Mertens oder Schunks der Aufgalopp in die Saison. Beim Heimspiel in Neuwied wurden die Wohnwagen noch nicht gebraucht. Doch in den nächsten Wochen werden viele Familien bis in den November hinein unterwegs sein.
„Junger Mann zum Mitfahren gesucht“. Dieser bekannte Slogan ist an Meyers Fahrgeschäften nicht mehr angeschlagen. Stattdessen hat man seit Jahren eine feste Crew rumänischer Gastarbeiter. Ähnlich wie bei der Erntehilfe auf den Feldern oder in den Weinbergen. „Die Truppe gehört praktisch zur Familie. Bei Unterkunft, Logis und Behördengängen unterstützen wir“, berichtete Herbert Meyer. Das Schaustellergeschäft sei härter geworden. Diverse Auflagen werden strenger, Energiekosten steigen und der Mindestlohn muss erst mal erwirtschaftet werden. Und weil ein Rummel nun mal auch Schmelztiegel der Gesellschaft ist, muss auch noch ein Security-Service bezahlt werden.
Neuwieder Unternehmen mit über 150-jähriger Geschichte
„Früher war das nicht nötig“, blickte Herbert Meyer zurück. Seiner Familie ist es seit 1870 stets gelungen, mit der Zeit zu gehen und nach Tiefschlägen wieder aufzustehen. Die Julius Meyer & Sohn OHG bzw. deren Vorgänger dürften zu den ältesten Neuwieder Unternehmen zählen. Ganz früher in Niederbieber, dann in Heddesdorf ist die Familie nun in Neuwied ansässig. Neben mehreren Imbiss und einem Kinderkarussell betreibt man einen Autoscooter.
Der eingangs erwähnte Spruch aus dem Volksmund hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert, als Jakob und später Wolf Meyer mit einem dampfgetriebenen Karussell über die Landen zogen. Wenn die Dampfmaschine mal nicht funktionierte, wurden kurzerhand Pferde eingespannt, um das Karussell anzutreiben. Herbert Meyer staunte nicht schlecht, als er vor vielen Jahren auf einer Nostalgie Kirmes bei so einem Karussell seinen Ur-Urgroßvater als Vorbesitzer erwähnt fand.
Der Zweite Weltkrieg und das Naziregime hätten beinahe das Ende der damals jüdischen Familie Meyer bedeutet. Agnes, die nichtjüdische Ehefrau von Julius, dem Sohn von Wolf, wusste dies mit Geschick und viel Courage zu verhindern. Sie konnte Mann und Sohn über den Krieg hinaus retten. Die Schwiegereltern starben im Konzentrationslager. Der Neuwieder Schriftsteller Friedrich Wolff ließ Agnes Meyer in seinem Roman als „Karussellagnes“ in die Literatur eingehen.
Nach dem Krieg kehrten Agnes und Julius Meyer in das Elternhaus in die Junkerstraße nach Heddesdorf zurück. Seit der Pogromnacht wurde es unrechtmäßig von anderen bewohnt. Nach dem Krieg wurde das Geschäft wieder aufgebaut und neben der Neuwieder Osterkirmes weitere Volksfeste in der Region aus der Taufe gehoben. Julius Sohn, Herbert Sen., war darüber hinaus maßgeblich an der Entstehung des Deichstadtfestes beteiligt. Herbert und Elisabeth Meyer haben eine Tochter und einen Sohn, ebenfalls namens Herbert. Die Chancen stehen also gut, dass die lange Geschichte der Schaustellerfamilie von einer weiteren Generation fortgeschrieben wird.
FF