Stephan Pauly sprach im Schloss über Freiheit und Stadt auch am Beispiel Sinzig

Freiheit mit Fragezeichen

21.03.2017 - 16:30

Sinzig. Als Veranstaltung im Rahmen der Zweiten Ahrweiler Freiheitswochen und zugleich als aufschlussreiche Geschichtsstunde zum Jubiläum „750 Jahre Stadtwerdung Sinzig“ war im Sinziger Schloss der Vortrag „Freiheit und Stadt am Beispiel Sinzig“ von Stephan Pauly zu erleben. Vorab brachte der Vorsitzende des Fördervereins Freiheiter, MdL Horst Gies, zum Ausdruck, was das Anliegen der von der Kreisstadt auf den Kreis Ahrweiler ausgeweiteten Freiheitswochen ausmache: „70 Jahre Frieden und Freiheit, das müssen wir weitergeben an unsere Kinder und Enkel.“ Bürgermeister Wolfgang Kroeger betonte: „Die Frage der Freiheit ist mehr als brennend. Wir dachten, wir sind schon darüber hinweg, das anmahnen zu müssen“.


Akt von Peinlichkeit


Aber weit gefehlt. Als die Stadt Sinzig daran ging, das Verlegen von Stolpersteinen für ermordete und deportierte jüdische Einwohner zu planen, traf sie auf Widerstand. Nur zwei Bürger stimmten der Verlegung vor ihren Häusern zu. Pauly griff diese von Kroeger geschilderte herbe Erfahrung auf. Er sagte, die 1951 in Sinzig erfolgte Umbenennung der jahrhundertelang Judengasse genannten Straße in Gudestraße (ab 1937 hieß sie Horst-Wessel-Straße) sei „ein unglaublicher Akt von Peinlichkeit“, und sie wieder Judengasse zu nennen, „überfällig“: „Der Ungeist von 1937 lebt sonst fort.“

Nicht nur für Juden, die auch in Sinzig hohes Schutzgeld zahlen mussten sowie im 13. Jahrhundert dort zwei Pogrome erlitten, war es mit der Freiheit in der mittelalterlichen Stadt nicht weit her.

Bevor Pauly, den Kroeger als „Garant für beste Unterhaltung und Informationsdichte“ angekündigt hatte, diesem Lob voll gerecht wurde, versagte er es dem Publikum, „sich bequem zurückzulehnen“. Allerdings unterstützte er seine Zuhörer nach Kräften dabei, sich auf das Thema des Abends zu konzentrieren. Als forscher Quizmaster stellte er Fragen, quittierte richtige Antworten mit Schokolade, und als die fünfte und letzte Tafel, Geschmack zartbitter, vergeben war, hielt die Spannung bis zuletzt.


An den Stand gebunden


Ab 1000 bis 1350 zeigt sich die Gesellschaft hierarchisch in Stände gegliedert: Adel, Klerus und Bürger/Bauern als dritter Stand. Freiheit als unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung kannte man nicht. Wer man war und wohin man gehörte, machte die Geburt klar. Innerhalb der Stände verlieh beim Adel der Kaiser/König den Besitz an Mark-, Land-, Pfalz- und Burggrafen und diese wiederum an Verwalter und Ritter. Beim Klerus mit dem Papst an der Spitze kamen nach ihm die Kurie, die Geistlichkeit und die Laienbrüder, sogenannte Konversen. Zur unterständischen Gesellschaft gehörten Berufsgruppen wie Scharfrichter und Prostituierte sowie Umherziehende. Drei geistliche und vier weltliche Fürsten hatten das alleinige Recht, im Heiligen Römischen Reich den König zu wählen.

Da Freiheit an Landbesitz gekoppelt war, genügt ein Blick auf die Eigentumsverhältnisse, um massenhaft Unfreiheit zu erkennen: „95 Prozent der Bevölkerung hatte keinen Besitz.“ Eine noch erstaunlichere Zahl präsentierte Pauly, indem er mitteilte, dass neun Zehntel der Bewohner des Mittelrheins damals im Weinbau arbeiteten, unter der Knute derer, denen die Weinberge gehörten. Die Menschen empfanden die Ständeordnung als gottgewollt, und das Kirchenjahr regierte ihren Lebensalltag.


Reichsspruch von Worms


Wenn „Stadtluft macht frei“ hieß, dass vor ihrem Gutsherrn geflohene Hörige „nach Jahr und Tag“ frei von ihm seien, dann entkamen sie doch nicht dem Ständesystem. Zudem gab 1231/32 der Reichsspruch von Worms (Statutum in favorum principum) die Regelung zugunsten der Fürsten auf. Der Reichsspruch beschnitt in vieler Hinsicht die Gewalt des Königs Heinrichs VII., dessen städtefreundliche Politik die Fürsten verärgert hatte. Auch Königsvater Kaiser Friedrich II musste die Privilegien der Fürsten bestätigen. Er hatte bereits 1220 das Gesetz Confoederatio cum princibus ecclesiasticis erlassen, als Zugeständnis gegenüber den deutschen Bischöfen für ihre Mitwirkung bei der Wahl von Sohn Heinrich zum König. Beide Rechtsprinzipien, Statutum und Confoederatio, „legten die Grundlagen für den Föderalismus im Reich und seinen Nachfolgestaaten“.

Mehr Freiheiten entwickelten sich. Es gab keine Zentralmacht mehr. Als 1267, Bezugsdatum für Sinzigs 750-Jahre-Jubiläum zur Stadtwerdung, der Kölner Erzbischof Engelbert Sinzig eroberte, bestätigte er den Bürgern per Urkunde bisherige Rechte und Freiheiten. Wer diese ursprünglich verliehen hatte? Es könnte Konrad IV., Heinrich VII. oder Kaiser Friedrich II. gewesen sein, so Pauly.


Weiter Weg zur Freiheit des Einzelnen


Zum Abschluss führte er einen Briefwechsel aus dem 12. Jahrhundert zwischen Hildegard von Bingen und Äbtissin Tenxwind von Andernach an, um überkommenes Denken und neue Zeit gegenüberzustellen. Hildegard nahm in ihrem Kloster auf dem Rupertsberg nur adelige Frauen auf, was Tenxwind kritisierte. Den Vorwurf wies Hildegard mit dem Argument der göttlichen Rangordnung zurück. Der Weg in die Freiheit des Einzelnen sollte noch weit sein. In Deutschland brachten erst 1807 die Stein- und Hardenbergschen Reformen das Ende der Leibeigenschaft. Und erst seit 1977 kann eine Frau hierzulande ohne Erlaubnis ihres Ehemannes ein Arbeitsverhältnis eingehen. Ganz ohne visuelle Anreize, nur mit seiner Redekunst, die den Inhalt gut strukturiert, geschliffen formuliert und lebendig darbot, fesselte Pauly. Bei einem Glas Wein, zu dem der Bürgermeister einlud, klang der spannende Abend gesellig aus. HG

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Hansen:
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