Porträt der Jugendpflegerin der VG Dierdorf, Elke Thiemann
Mitbestimmen lassen, damit es mündige Bürger werden
Dierdorf. „Frau Thiemann, wo sind die Teller?“ „Frau Thiemann, der Marvin hat mich gebissen!“ „Frau Thiemann, dürfen wir mit dem Hund spazierengehen?“ Um den Holzkohlegrill herum stehen zehn hungrige Jungen und Mädchen. Die Würstchen auf dem Grill sehen blass aus. Elke Thiemann lässt den Schwenkgrill etwas niedriger hängen und sagt, dass sie gleich mal in den Wald zum Kletterparcours gehen muss, um dort nach dem Rechten zu sehen. Die Teller fürs Mittagessen hat Kevin zwischenzeitlich von alleine gefunden, sie lagen direkt hinter ihm auf der Holzbank. Die Sache mit dem beißenden Marvin muss später geklärt werden, vielleicht im Rahmen einer kleinen gemeinschaftlichen Gerichtsverhandlung. Elke Thiemann, die hauptamtliche Jugendpflegerin der Verbandsgemeinde Dierdorf hat alle Hände voll zu tun, die circa 30 Kinder und Jugendlichen der Ferienfreizeit zu betreuen. An diesem Tag halten sich alle im Wald bei Kleinmaischeid und an der Isertalhütte auf. „Zum Glück“, sagt Elke Thiemann, „habe ich ein paar ehrenamtliche Helfer. Sonst könnte man bei diesem Gewusel schon mal den Überblick verlieren.“
Elke Thiemann ist seit 2009 Jugendpfleger in der VG Dierdorf
Den Überblick verliert Elke Thiemann schon seit sieben Jahren nicht. Seitdem ist sie im Auftrag der Verbandsgemeinde Dierdorf für die Jugendpflege in der Stadt und den Stadtteilen Brückrachdorf, Elgert, Giershofen und Wienau sowie den Ortschaften Großmaischeid, Isenburg, Kausen, Kleinmaischeid, Marienhausen und Stebach zuständig. Irgendwann waren die Mitglieder des Rates der Verbandsgemeinde Dierdorf der Meinung, dass es gut wäre jemanden einzustellen, der sich um die Jugendlichen kümmert. So wurde in der Verwaltung die Stelle des Jugendpflegers geschaffen und 2009 mit der Bewerberin Elke Thiemann besetzt. Zuerst war die Stelle auf zwei Jahre befristet. Niemand konnte damals mit Gewissheit sagen, ob das „Experiment“ Jugendpflege fortgesetzt wird. Heute, sieben Jahre später, betreut Elke Thiemann diese Aufgabe immer noch. „BLICK aktuell“ hat mir ihr über die Anfänge und die seitdem gemachten Erfahrungen mit den Jugendlichen einerseits und der Bürokratie andererseits in der Verbandsgemeinde Dierdorf gesprochen.
Elke Thiemann im Gespräch mit „BLICK aktuell“
„Im Herbst 2009 habe ich mich auf die Stelle beworben. Über die Zusage habe ich mich sehr gefreut. Vorher habe ich 14 Jahre in einem Pflegeheim für beeinträchtigte Erwachsene gearbeitet. Von der Ausbildung her bin ich staatlich anerkannte Erzieherin und Diplom-Sozialpädagogin. Deshalb passte die neue Aufgabe als Jugendpflegerin auch sehr gut zu meinen Qualifikationen.“ Ihren Wohnort in der Verbandsgemeinde Waldbreitbach hat die 1968 geborene Elke Thiemann für die neue Tätigkeit nicht gewechselt. Dort ist heute noch ihr zuhause. In der Verbandsgemeinde Dierdorf und mit der Jugendarbeit ist sie dennoch fest verwurzelt.
Den Anfang ihrer Tätigkeit vor sieben Jahren beschreibt sie so: „Ich habe eine Bestandsaufnahme gemacht, was es in der Verbandsgemeinde schon gibt an Jugendarbeit. Da gibt es ja Angebote von den Vereinen und den Kirchen. Vieles ist aber nicht vernetzt, deshalb sah ich meine Aufgabe auch darin, ein Netzwerk aufzubauen. Gleichzeitig sind auch die von mir unterstützten offenen Jugendtreffs entstanden. Dabei ist mir aufgefallen, dass von vielen Menschen bemängelt wurde, es gäbe nichts an Jugendarbeit. Ich habe aber festgestellt, dass im Kleinen doch schon ganz viel da ist, diese Angebote aber entweder nicht bekannt oder nicht vernetzt waren. So habe ich versucht ein Bewusstsein geschaffen dafür, dass man sich gegenseitig mit den unterschiedlichen Angeboten nützlich sein kann.“
Offene Jugendtreffs wurden aufgebaut in Brückrachdorf, Elgert und Dierdorf-Stadt. Später kamen Stebach, Wienau, Kleinmaischeid und Isenburg dazu. Nicht alle Gemeinden zeigten Interesse: „Einige haben auch gesagt, sie brauchen das nicht.“ Zusätzlich zu der Arbeit mit den unterschiedlichen Kinder- und Jugendgruppen in den Orten hat man als bei der Verwaltung angestellte Jugendpflegerin auch noch bürokratische Pflichten zu erfüllen - Berichte schreiben, Statistiken erstellen, die Internetseite pflegen, das Jahresprogramm planen, die Ferienfreizeiten organisieren, mit Kollegen aus anderen Verwaltungen treffen, an Fortbildungen teilnehmen und vieles mehr.
Angebot zu Jugendleiter-Schulungen
Zusätzlich bietet Elke Thiemann Jugendleiter-Schulungen für Jugendliche an, die ehrenamtlich mitarbeiten wollen. Außerdem gibt es jedes Jahr in den Herbstferien eine Jugendbildungsreise. Die findet in Kooperation mit dem Kreis Neuwied und anderen Verbandsgemeinden statt. Voriges Jahr ging die Reise mit 30 Jugendlichen nach Budapest, dieses Jahr ist Nizza das Ziel und der Kreis Altenkirchen ist als Kooperationspartner dazugekommen. Ein weiteres Feld ihrer Arbeit ist die Zusammenarbeit mit Schulen: „Ich besuche die Schulen regelmäßig, spreche mit Schülern und Lehrern. Sowohl über schulische Themen wie auch über Freizeitgestaltung. Manchmal mache ich auch Hausbesuche, oder die Leute kommen zu mir ins Büro in der Verwaltung.“
Bei allem, was Elke Thiemann macht, berücksichtigt sie die Interessen der Jugendlichen: „Jugendarbeit beinhaltet nach meinem Verständnis Mitgestaltung und Mitbestimmung. Ich möchte nichts anbieten, was keiner gewollt hat.“ In den jetzt sieben Jahren ihrer Arbeit als Dierdorfer Jugendpflegerin hat Elke Thiemann die Jugend hier als neugierig im positiven Sinn erlebt: „Sie möchten gerne etwas ausprobieren, sie möchten auch gerne schon mal ein Risiko eingehen. Sie möchten auch gerne mal schmutzig werden. Sie möchten etwas erleben und auch mal Fehler machen dürfen, ohne dass sie vor allem bewahrt werden. Das halte ich für wichtig, dass Kinder und Jugendliche Dinge ausprobieren dürfen und dabei ihre Fähigkeiten, aber auch ihre Grenzen kennenlernen. Dass sie ihre eigenen Stärken und Schwächen austesten können. Die Jugendlichen sind auch sehr kreativ. Sie bringen ganz viele Ideen mit und verfügen grundsätzlich über große soziale Kompetenzen. Untereinander sind sie sehr tolerant. Viele Konflikte können sie eigenständig lösen.“ Im Rahmen von Beteiligungsprogrammen entwickeln die Jugendlichen Ideen zur Verbesserung in ihren Orten und sind sehr stolz, wenn diese umgesetzt werden. Elke Thiemann fördert das: „Wenn die sich jetzt nicht beteiligen, wann sollen sie dann lernen, sich zu beteiligen. Sonst sind sie auf einmal erwachsen und haben es nicht gelernt und werden zu passiven Menschen, die nur kritisieren, aber nichts selber auf die Beine stellen. Also ist meine Devise: Immer mitbestimmen lassen und mitbeteiligen, sonst werden das keine mündigen Bürger!“ Wie man sieht, eine wichtige Aufgabe, die die Jugendpflegerin zu erfüllen hat. Und keine leichte: „Die Jugendlichen wollen auch, dass man ganz viel mit ihnen redet“, sagt Elke Thiemann an einem der letzten Tage der Ferienfreizeit. Mit etwas angeschlagener Stimme.