Fachkonferenz Integration des Dekanates Andernach-Bassenheim hatte zur Podiumsdiskussion eingeladen
Ein Netzwerk gegen Armut bilden
Andernach. Die Fachkonferenz Integration des Dekanates Andernach-Bassenheim hatte zusammen mit dem Quartiersmanagement Weißenthurm zu einer Podiumsdiskussion unter dem Thema „Armut geht uns alle an!“ eingeladen. Vierzig Zuschauer waren gekommen, um mit der sozialpolitischen Sprecherin der CDU Landtagsfraktion, Hedi Thelen, dem SPD-Kandidat für die Bundestagswahl im Wahlkreis Koblenz, Detlev Pilger, der Vertreterin des Jobcenters Mayen-Koblenz, Marianne Morgenschweis, der Direktorin des Caritasverbandes Koblenz, Martina Best-Liesenfeld und mit einer alleinerziehenden Mutter von vier Kindern zu diskutieren. Die Moderation des Gespräches übernahm der Geschäftsführer der „Aktion Arbeit“ des Bistums Trier, Rudolf Hammes. Im Namen der Fachkonferenz begrüßte der Weißenthurmer Pastor Johannes Steffens und sorgte mit kleinen Präsenten am Ende des Abends für einen gelungenen Rahmen. Hintergrund des Gesprächs war eine Plakataktion des Dekanates zur steigenden Armut in Deutschland. Durch wöchentlich wechselnde Plakate sollten die Menschen zum Nachdenken angeregt werden: „Armut - eine Frage des Glücks?!, Armut - falsche Familienplanung?!, Armut trotz Arbeit?!, Armut macht krank?!, Armut - eine Frage des Alters?!“ lauteten die Thesen.
Hintergrund des Gesprächs war eine Plakataktion des Dekanates
Die Frage „Armut - eine Frage des Glücks?“ brachte die sozialpolitische Sprecherin der CDU im Landtag, Hedi Thelen, zum Nachdenken. Es könne nicht sein, dass Lebenschancen von Menschen in Deutschland von glücklichen oder unglücklichen Umständen allein abhängen. Aufgabe der Politik sei es, möglichst gute Ausgangs- und Rahmenbedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen. „Armut macht krank, ja!“, stellte die Landtagsabgeordnete fest. Angesichts der demographischen Entwicklung stellte Hedi Thelen die Frage, ob es gelingen wird, Altersarmut durch die Absicherung von Renten zu verhindern. Bezüglich der Gesundheitspolitik begrüßte sie die Abschaffung der Praxisgebühr. Eine „optimale Gesundheitsversorgung“ müsse für jeden unabhängig vom Einkommen angestrebt werden.
Ziel von Sozialpolitik ist nach den Worten von Detlev Pilger, „nicht die Senkung von Sozialkosten“, sondern es gehe darum, „Menschen in gelungene Lebensprozesse zu führen“, um so Folgekosten zu vermeiden. Einen Ansatz zum Ausgleich von unterschiedlichen Startchancen sieht der SPD-Bundestagswahlkandidat Pilger in einer auszubauenden sozialpädagogischen Betreuung in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. Bezüglich der Arbeitsplätze gelte es nicht nur auf die Arbeitslosenquote zu schauen, „denn 25 Prozent der vorhandenen Arbeitsplätze sind prekär“, stellte Pilger fest. Um dem entgegenzuwirken, sei ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro, wie ihn seine Partei einführen wolle, aus seiner Sicht lediglich eine erste Ausgangsbasis, der weitere Schritte folgen müssten.
Die Vertreterin des Jobcenters Mayen-Koblenz, Marianne Morgenschweis, konstatierte einen sehr hohen Alleinerziehendenanteil unter den vom Jobcenter betreuten Personen. Meist kämen verschiedenste Problemlagen zusammen, die jeweils eine intensive individuelle Begleitung erforderten. Die Vielfalt der Sozialgesetzgebung stelle jedoch manchmal eine Hürde für schnelle Hilfen da. Die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen gestalte sich in zahlreichen Fällen als schwierig. Das Jobcenter sei aber auf eine gute Netzwerkarbeit aller Beteiligten angewiesen.
„Man weiß dann nicht, wofür man arbeitet“
Mit im Podium saß eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Aus erster Hand berichtete sie von der schweren Situation zwischen Minijob und Kindererziehung. Die Weißenthurmerin sprach sich für mehr Chancen für geringfügig Beschäftigte aus, auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Sie schilderte die Problematik von Hartz IV-Empfängern, denen zum Leben notwendiges Zusatzeinkommen, etwa aus Überstunden oder das Weihnachtsgeld, aufgrund der Gesetzeslage sofort wieder gestrichen werden. „Man weiß dann nicht, wofür man arbeitet“, stellte sie fest. Es sei „sehr schlimm“, aus guten Verhältnissen heraus arm zu werden. Dazu käme, dass die Arbeitszeiten von Verkäuferinnen bis spät abends mit der Kindererziehung kaum vereinbar seien.
Martina Best-Liesenfeld, Direktorin vom Caritasverband Koblenz, wies am Beispiel der über vier Jahre laufenden Initiative des Caritasverbandes „Familie schaffen wir nur gemeinsam“ auf die Gesamtverantwortung der Gesellschaft hin. Problemen wie dauerhafter Armut, Ausgrenzung, Krankheit oder Wohnungslosigkeit müsse „praktische Solidarität in der unmittelbaren Nachbarschaft“ entgegengesetzt werden. Aus Sicht des Caritasverbandes gehe es darum, im Dorf oder im Stadtteil Not zu sehen und zu handeln. Das sei eine „Aufgabe quer durch die gesamte Gesellschaft.“
Angeregte Diskussion
Der Geschäftsführer der seit dreißig Jahren bestehenden „Aktion Arbeit“ des Bistums Trier, Rudolf Hammes, konnte als Gesprächsmoderator im Publikum großes Verständnis für die von Armut betroffenen Menschen feststellen. Zuerst wurde das in einer alternden Gesellschaft zunehmend drängende Problem von Altersarmut besprochen. „Viele Witwen verfügen über eine zu geringe Rente, um damit ausreichend leben zu können“, stellte eine Teilnehmerin fest. Die von der Politik geforderte private Vorsorge wie etwa das Ansparen von Renten sei für Geringverdienende oder Arbeitslose nicht möglich. Der Frage, warum man Jugendlichen ohne Schulabschluss nicht in Einrichtungen wie Werkstätten oder Projekten zu besseren Chancen verhelfe und sie stattdessen weiter in schulischen Einrichtungen „beschäftige“, wurde entgegnet: Überbetriebliche Ausbildung solle möglichst betriebsnah stattfinden, um durch den Kontakt zu Betrieben Chancen für die Übernahme in Lehrstellen zu erhöhen. Dagegen ist aus Sicht kirchlicher Initiativen wie der „Aktion Arbeit“ die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarktes unerlässlich. Die Leiterin einer Kindertageseinrichtung wies auf den Ansatz ganzheitlicher Bildung hin, der keinesfalls verkürzt werden dürfe auf reine Wissensbildung. Dies erfordere eine gute fachliche Ausstattung der frühkindlichen Betreuung.
Abschließend waren die Podiumsteilnehmenden sich einig, dass Sozialpolitik partei- und gesellschaftsübergreifend alle angeht. „Nicht der Mensch ist für die Wirtschaft da, sondern die Wirtschaft für das Wohl aller Menschen,“ drückte es ein Vertreter des Dekanates aus. Nicht nur um Ursachen, ebenso um konkrete Schritte aus der Armutsfalle ging es an diesem Abend. „Das Stärken von Nachbarschaften und Nahbezügen von Menschen ist durch genaues Hinsehen auf die Probleme und viel Netzwerkarbeit unter Einbeziehung aller Beteiligten möglich und nötig,“ stellte resümierend Pastor Steffens für die Fachkonferenz „Integration“ des Dekanates fest. Die Vertreter der Politik baten darum, auch zukünftig miteinander im Gespräch zu bleiben.