Siegfried Labus wird in diesen Tagen 105 Jahre alt

Eine lange Lebensreise

von Waldi Fabritius

11.10.2016 - 08:53

Bad Breisig. Wir sitzen in einem von viel Glas umgebenen Wintergarten, mitten in einem Meer von grünen Pflanzen und blühenden Gewächsen. Die schon etwas schwächelnde Herbstsonne blinzelt durch die Scheiben. Eine gute Flasche „Geisenheimer Spätlese“ steht auf dem Tisch, dazu drei mit

goldenem Rebensaft gefüllte Gläser… Ein Ehepaar im Seniorenalter sitzt mir gegenüber. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man beide auf „gut in den Achtzigern“ schätzen. Aber ich habe ja mit größtem Erstaunen, nein: tiefer Ehrfurcht zur Kenntnis genommen: Siegfried Labus wird in diesen Tagen 105 Jahre alt, seine Ehefrau Marlis immerhin schon 93. „Ehrfurcht? Quatsch – wir sind ganz normale Typen, die halt ein bisschen Glück gehabt haben, dass ihnen der Herrgott soviel Zeit lässt.“ Siegfried Labus, hellwach, hager, mit blitzenden Augen, stets schelmisch lächelnd, gibt mir die Möglichkeit, ihn nach dem Geheimnis seines langen Lebens zu fragen.

„Fragen Sie immer zu - ich habe in den vergangenen elf Jahrzehnten viel beobachtet, Interessantes erlebt, dabei Erfahrungen gesammelt, die ich nur zu gerne weitergebe – wenn sie denn einer hören will.“ Und der Senior beginnt zu erzählen, gestikulierend, voll Erinnerungen, ganz selten nach Worten und Namen suchend, und wenn: Da ist ja noch die ein bisschen gehbehinderte, sonst aber vollauf fit wirkende, ihm seit 77 Jahren verbundene Marlis; als typisch resolute Frau, ordnet sie zwischendurch die Erinnerungen und greift schon einmal ergänzend und korrigierend in die Erzählungen des 12 Jahre älteren Familienchefs ein.


Ein langes Leben


Siegfried Labus wurde am 19. Oktober 1911 in Witterode bei Blankenburg am Harz als drittes von fünf Kindern eines „Oberbahnvorstehers“ geboren. „Die Familie hatte anscheinend gute Gene, denn auch meine Brüder sind alt geworden, einer gar 96,“ erklärt der Jubilar. Irgendwann in den späten Zwanzigern wurde der Vater samt Familie in den Osten nach Zittau versetzt. Siegfried machte Abitur und anschließend eine zweijährige Lehre in einer Großgärtnerei.

In der Freizeit wurde er Mitglied einer aktiven Volkstanzgruppe, wurde begeisterter Geräteturner und übte mit Erfolg den Fecht-Sport aus. Wie der Senior davon erzählt, springt er auf und demonstriert mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger, wie er einst das Florett geführt hat, Finten, Paraden und Reposten beherrschte, und wie der Fechtsport Geist und Fitness schulte. Und als er von seinen Erfolgen beim Turnen erzählt, hat man das Gefühl, der alte Herr würde gleich zum Handstand auf der Stuhllehne ansetzen. Aber da ist ja doch die wachsame Ehefrau, die ihren Siegfried immer betreut und auch gebremst hat, wenn er im Leben einmal über die Stränge zu schlagen drohte. Längst hatte Siegfried seine Liebe zur Gartengestaltung entdeckt, absolvierte verschiedene Praxis-Stationen, sammelte fleißig Erfahrungen in unterschiedlichen Betrieben für Obst- und Gemüseanbau.

Schließlich zog es den auf Weiterbildung bedachten Jüngling nach Geisenheim in die dortige Lehr- und Forschungsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau. Als Student hatte er 1938 eine exklusive Aufgabe des „Reichsnährstandes“ zu bewältigen: In Halle an der Saale musste er eine neue „Sortenregistrierstelle“ einrichten, in der alle Obstsorten zu registrieren und zu analysieren waren, die im „Großdeutschen Reich“ (Deutschland und Österreich) anzutreffen waren. Der Vollendung dieser Aufgabe kam der Kriegsausbruch zuvor. Während des Studiums an der Geisenheimer Hochschule hatte Siegfried bei einem Tanzvergnügen zum 1. Mai 1939 die 15-jährige Ortsschönheit Marlis kennengelernt. Da deren Eltern gegen das Verhältnis mit dem zwölf Jahre älteren Student waren, dauerte es ein halbes Jahr voll züchtiger Heimlichkeiten, bis sich beide ihr „Du“ mit einem ersten Kuss besiegelten. Siegfried hielt formgerecht bei den Eltern der Braut um die Hand ihrer Tochter an und 1940 wurde geheiratet, denn der Krieg drängte zur Eile. Bis er 1941 Soldat wurde, hatte der junge Ehemann im neu geschaffenen Versuchsbetrieb Nossen bei Dresden unterschiedlichste Pflanzen zu testen, ob sie sich für die Volks-Ernährung eigneten. Schließlich eingezogen zur Marine-Artillerie, verbrachte er die meiste Zeit zum Schutz des Kaiser Wilhelm-Kanals, später tat er Dienst auf dem einzigen deutschen Flugzeugträger „Graf Zeppelin“, der aber nie voll einsatzfähig wurde. Siegfried Labus hatte so den Krieg heil überstanden und wurde als in der Landwirtschaft erfahrener Soldat vorzeitig aus der englischen Kriegsgefangenschaft entlassen, denn „die Besatzer wollten erreichen, dass die Deutschen sich möglichst schnell wieder selbst ernähren konnten, statt ihnen auf der Tasche zu liegen.“ Ehefrau Marlis wartete in Geisenheim auf den Heimkehrer, der bald im dortigen Institut für Obstanbau tätig wurde. Dort bekam er gelegentlich Kontakt zu Professor Dr. Löwe, dem Leiter der in Jork bei Buxtehude ansässigen staatlichen Versuchsanstalt für Obstbau. Dr. Löwe warb um die Mitarbeit von Siegfried Labus, und die junge, inzwischen um einen Sohn erweiterte Familie ergriff die Chance. Siegfried Labus wurde so über ein halbes Jahrhundert professioneller Berater der Obstbauern im „Alten Land“ südlich von Hamburg.

„Sie glauben ja nicht, was für eine wichtige Arbeit das ist. Alle Obstsorten stellen unterschiedliche Ansprüche an die Bodenbeschaffenheit. Die Obstbauern im Alten Land leben von dem Ertrag ihrer Bäume, und den Ertrag mit zusätzlichem Können und den unterschiedlichsten Mitteln zu fördern, ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Wir im Alten Land sind heute mit unseren Erfolgen ein Vorzeige-Muster für die ganze Welt – und so ergaben sich für mich viele internationale Verbindungen.“ Labus nennt eine Reihe ausländischer Freunde, von denen einige sich sogar zu seinem 105ten Geburtstag am 19. Oktober angesagt haben. Seine Augen glänzen, wenn er von den Erfolgen seiner Arbeit und seinen wenigen noch lebenden Freunden redet. Längst ist er Rentner und lebt seit etwa 20 Jahren im Haus seines ältesten Sohnes in Bad Breisig. Sein Leben hat interessante Facetten. So entdecke ich im Hausflur einige Produkte einer frühen künstlerischen Begabung an den Wänden – und später in hervorgeholten Mappen. Heimweh nach dem „Alten Land“ ? „Hin und wieder schon. Diese Weite dort, der ferne Horizont, meine Bäume. Ein wenig fehlen sie mir dann und wann. Schlimm, wenn Ich seh‘ wie dilettantisch hier die Obstbäume geschnitten werden. Das tut weh. Aber sonst: Wir haben uns wunderbar eingelebt. An die Berge hier mussten wir uns anfangs gewöhnen, aber Bad Breisig ist auch schön und lebenswert!“ Zum Schluss will ich natürlich von beiden Senioren das Rezept für ihr langes Leben wissen. „Genau können wir es auch nicht sagen. Aber ein paar Dinge sind ganz wichtig: Vielseitig interessiert sein, gute Musik hören, viel lesen, sich viel in der Natur bewegen, niemals rauchen, jeden Tag ein Glas Wein trinken und zufrieden sein. Dann ist schon viel gewonnen!“ Ehefrau Marlis ergänzt: „Als Katholiken die Dankbarkeit nicht vergessen, die Pflichten gegenüber dem Herrgott erfüllen und – sparsam leben. Trotzdem, oder gerade deshalb die Freuden des Lebens genießen – das hält jung, wie Sie sehen.“

Das Gespräch führte Waldi Fabritius. FA

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