Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V.

„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“

Ausstellung: „‘Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‘ – Vor 75 Jahren: Die ersten Deportationen von Juden aus Koblenz“

23.01.2017 - 14:18

Koblenz/Bendorf-Sayn. Die Veranstaltungen zum diesjährigen internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar in Koblenz erinnern an jüdische NS-Opfer aus Koblenz und Umgebung, die wegen ihrer Herkunft „nach dem Osten“ deportiert und dort in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Anlass ist die 75. Wiederkehr des Beginns der Deportationen am 22. März 1942 vom Güterbahnhof Koblenz-Lützel aus in das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin. Das Motto der Ausstellung ist der „Todesfuge“, einem Gedicht des deutschsprachigen Lyrikers Paul Celan, entnommen.


Aus Nachbarn wurden Juden


Damals, am 22. März 1942, lagen bereits mehr als neun Jahre der systematischen Ausgrenzung und Vertreibung hinter diesen in Deutschland lebenden Menschen. Aus Nachbarn waren Juden geworden und aus Juden dann keine Menschen, sondern – wie der oberste Parteirichter der NSDAP bereits 1938 sagte – eine „Fäulniserscheinung“. Wer irgendwie konnte, hatte Deutschland verlassen, legal oder illegal, mit oder ohne Besitz. Zurückgeblieben waren die Alten, Verarmten und Kranken und alle die, die an Deutschland hingen und den Deutschen einen solchen Zivilisationsbruch nicht zutrauten. Die allermeisten mussten diese Liebe und dieses Vertrauen mit ihrem Leben bezahlen.


Entrechtet und entführt, erniedrigt und ermordet


Ab Herbst 1941 war eine Auswanderung auch offiziell nicht mehr möglich. Im Oktober 1941 begannen im Westen die ersten Deportationen. Sie galten u.a. Juden aus Luxemburg, aus Trier und aus Frankfurt/Main. Zur gleichen Zeit gab der Reichsführer-SS Heinrich Himmler den führenden SS-Führern im von Deutschland besetzten Polen („Generalgouvernement“) die Anweisung, die „Germanisierung“ dort vorzubereiten, dafür die Juden aus diesem Gebiet zu entfernen und wahrscheinlich auch zur Errichtung von Vernichtungszentren. Anfang November 1941 begann man mit der Errichtung des ersten Vernichtungslagers Belzec in Ostpolen.

Auf Einladung des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich fand am 20. Januar 1942 die sog. Wannsee-Konferenz in Berlin statt. 15 hohe Behördenvertreter und andere besprachen die Zusammenarbeit ihrer Behörden bei der Ermordung aller europäischen Juden in den eroberten Gebieten in Mittelost- und Ost-Europa. Der Vertreter des „Generalgouvernements“ war mit den Plänen zum Völkermord an elf Millionen Menschen einverstanden und begrüßte es, „wenn mit der Endlösung dieser Frage im Generalgouvernement begonnen würde“.


Erst durch die Straßen getrieben, dann zusammengepfercht, endlich abtransportiert wie Vieh


Mitte März 1942 begann eine weitere Deportationswelle aus dem Westen. Betroffen hiervon waren auch die jüdischen Bürger von Koblenz und Umgebung. Sie waren bereits wirtschaftlich, sozial und kulturell ausgegrenzt, in sogenannten Judenhäusern konzentriert und mit dem „Judenstern“ stigmatisiert. Sie wurden in Listen aufgeführt und kurz vorher über ihre – wie es hieß – „Evakuierung nach dem Osten“ benachrichtigt.

337 heute namentlich bekannte Juden (und ein drei bis vier Monate altes Baby) aus der Stadt und dem damaligen Kreis Koblenz mussten sich in der Turnhalle in der Steinstraße einfinden. Um 14 Uhr – zur besten Spaziergehzeit – trieb die Gestapo die jüdischen Nachbarn vor den Augen aller, die es sehen wollten, durch die Steinstraße, dann die Mosel entlang, am jüdischen Friedhof vorbei, über die Balduinbrücke zum Güterbahnhof Lützel zum damaligen Eingang Mayener Straße.

Die Menschen, Männer, Frauen und Kinder pferchte man in Personenwagen vierter Klasse. Drei oder vier Tage später erreichten diejenigen von ihnen, die die Strapazen des Transportes überlebten, den Zielort: das polnische Dorf Izbica bei Lublin im besetzten „Generalgouvernement“ an der Bahnlinie Warschau-Lublin-Lemberg (heute: Lwiw in der Ukraine). Es war zum ganz überwiegenden Teil von polnischen Juden bewohnt.


Das „Durchgangsghetto“: Mord im Akkord


Kurz zuvor hatten Gestapo- und SS-Männer bei einer großen Razzia über 2.200 von ihnen zusammen getrieben, auf dem Bahnhof in Güterwaggons verladen und zum Tod mit Motorabgasen in das erst kurz zuvor in Betrieb genommene Vernichtungslager Belzec verschleppt. Sie mussten den aus dem Westen eintreffenden Juden Platz machen. Bis Anfang April 1942 kamen ungefähr 4.000 „Reichsjuden“ nach Izbica.

Für die aus dem Westen verschleppten Menschen war nicht nur der Transport, sondern auch das Ankommen in dem sehr provinziellen, armen und von überkommenen Traditionen geprägten ostpolnischen Dorf ein Schock. Sie waren zum ganz überwiegenden Teil – wie gerade auch die aus Koblenz und Umgebung Deportierten – voll assimiliert und teilweise zum Christentum übergetreten. In Ostpolen kamen sie in eine ihnen völlig fremde Umgebung, in der sie auf engstem Raum mit den ihnen in vielerlei Hinsicht fremden Menschen überleben mussten.

Ihr weiteres Schicksal ist im Einzelnen nicht bekannt. Soweit sie überhaupt die katastrophalen Lebensumstände in dem „Durchgangsghetto“ aushalten konnten, von den SS-Leuten im Ort nicht willkürlich erschossen und bei der Typhusepidemie im Sommer nicht starben, wurden sie am 19. Oktober und Anfang November 1942 nach Belzec und in das weitere inzwischen errichtete Vernichtungslager Sobibor verschleppt und dort mit Gas ermordet.


Patienten aus Sayn deportiert


Der ersten Deportation am 22. März 1942 von Koblenz aus folgten weitere: die zweite am 30. April 1942 mit 105 Menschen fast ausschließlich aus der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn in einen Nachbarort von Izbica, Krasniczyn, die dritte am 15. Juni 1942 mit 342 Personen, ebenfalls vor allem Patienten aus Bendorf-Sayn, unmittelbar in das Vernichtungslager Sobibor und die vierte am 27. Juli 1942 mit 79 meist alten Menschen in das Konzentrationslager Theresienstadt.

Danach wurden noch einzelne jüdische Koblenzer von hier aus oder aus anderen Orten, in die sie ausgewichen oder geflohen waren, „nach dem Osten“ deportiert und ermordet.


Ausstellung zum Gedenken


Mit einer Ausstellung, die am Montag, 23. Januar um 19 Uhr in der Citykirche in Koblenz eröffnet wird, erinnert der Förderverein Mahnmal Koblenz mit 14 Lebensbildern an diese ehemaligen jüdischen Nachbarn. Ergänzt werden ihre Biografien durch Informationstafeln zu den Stätten der Verfolgung „im Osten“ – zu den Durchgangsghettos Izbica und Krasniczyn und die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka sowie einer Tafel zur „Aktion Reinhard(t)“. Damit wird erstmalig für Koblenz und Umgebung die Verbindung zwischen diesen Schicksalen sowie den Deportationsereignissen hier und dem Geschehen an den weit entfernten Ankunftsorten in den damals deutsch besetzten Gebieten Ostpolens herzustellen versucht. Die Ausstellung ist dann bis zum Freitag, dem 10. Februar zu sehen.


Gedenkstunde am 27. Januar


Am 27. Januar 2017 selbst findet die Gedenkstunde für die NS-Opfer statt. Sie beginnt dieses Jahr schon um 15 Uhr mit einer Statio am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz auf dem Reichensperger Platz mit Oberbürgermeister Prof. Dr. Hofmann-Göttig und Schülern der Diesterweg- und Hans-Zulliger-Schule. Gegen 15.30 Uhr wird sie fortgesetzt in der Citykirche mit Ansprachen des Oberbürgermeisters und des Vorsitzenden des Fördervereins Mahnmal Koblenz Dr. Jürgen Schumacher und dem Christlich-Jüdischen Gebet; begleitet wird die Veranstaltung musikalisch von Mitgliedern einer christlichen und der jüdischen Gemeinde. Anschließend ist Gelegenheit, die Ausstellung in der Citykirche zu besichtigen.Zu allen Veranstaltungen, deren Besuch kostenlos ist, sind alle Interessierten eingeladen.Nähere Informationen gibt es im Internet unter www.mahnmalkoblenz.de.

Führungen sind in Absprache mit dem Förderverein Mahnmal Koblenz möglich.

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