Mayener Genovevaburg erbebt bei Rocky Horror Show
Ekstatischer Jubel belohnt Musicalpremiere
Die Inszenierung strotzt nur so vor Einfallsreichtum und atemberaubendem Tempo
Mayen. Was für ein knallbuntes Feuerwerk: Nach der Premiere der Rocky Horror Show fällt es schwer, mit Superlativen zu sparen. Was Daniel Ris mit seinem Team in diesem Jahr auf die Bühne der Mayener Genovevaburg gezaubert hat, ist daher kaum in Worte zu fassen. Die Publikumsreaktion jedenfalls ist eindeutig – ein Meisterwerk. Minutenlange, im Stehen dargebrachte Ovationen zum Abschluss einer fulminanten Premiere waren der verdiente Lohn für eine mitreißende Theatershow, bei dem das Publikum auch in Mayen quasi Bestandteil der Inszenierung ist und alle Möglichkeiten der Beteiligung ausgelassen nutzt.
Die Mayener Inszenierung strotzt nur so vor Einfallsreichtum und atemberaubendem Tempo, Akteuren, die nicht nur großartig schauspielern und tanzen, sondern bei denen auch gesanglich jeder Ton sitzt. Dazu der fette Sound der Rocky-Horror-Band, der das Publikum vom ersten Takt an in die Arme nimmt – ein teuflisches Gemisch. Und das passt so wunderbar in die aberwitzige Horror-Story von Janet und Brad, die nach einer Autopanne im Schloss von Frank N. Furter landen und dort an die Grenzen der Lust und gleichzeitig an die Grenzen des Erträglichen geführt werden. Der stoische Erzähler (Thomas Kollhoff) hält die Fäden geschickt in der Hand und wird bei allen Erzählungen von seiner Assistentin (Aniello Saggiomo) unterstützt, deren kreative pantomimische Übersetzungen schon allein das Eintrittsgeld wert wären. Eine Aussage, die auf jeden der Akteure zutrifft. Seien es die spießigen Janet (Eva Patricia Klosowski) und Brad (Andreas Schneider), deren Verklemmtheit sich nach und nach völlig löst. Oder natürlich der schrille, verruchte Frank N. Furter (Guido Kleineidam) oder der wandelbare Gehilfe Riff Raff (Patrick Stauff) mit seiner Schwester Magenta (Wiebke Isabella Neulist), die so mysteriös wie anmutig agiert. Die überdrehte und unglückliche Columbia (Annette Potempa) oder natürlich der blonde Lustknabe Rocky (Marius Schneider) und Dr. Scott (Dejan Brkic) – sie alle leben so herrliche eigene Schrullen aus, die zu einem wunderbaren Gesamtbild verschmelzen. Dazu gehören die knallengen und tuntigen Kostüme (übrigens auch die Männer beweisen eine unglaubliche Stöckelkompetenz auf den sagenhaften High Heels) sowie geradezu geniale Masken. Manuela Adebahr und Christine Hege haben, unter Gabriele Kortmanns Gesamtverantwortung für Kostüme, bei Konzeption und Kreation von Schminke, Frisuren und Perücken ein echtes Meisterstück abgeliefert, die Schauspielcrew nutzt die sich daraus bietenden Möglichkeiten perfekt. Ebenso wie das Publikum alle Möglichkeiten nutzt, um selbst Teil der Handlung zu werden. Die ritualisierten Zwischenrufe an geeigneter Stelle, Spritzattacken mit Wasserpistolen, Konfettiregen und Klopapierrollen – es herrscht eine ausgelassene Stimmung auf den Rängen, eine nahezu traumhafte Anarchie. Natürlich wird dabei auch in Mayen trotz beengter Verhältnisse der legendäre Time Warp auf der Tribüne mitgetanzt. Zwei Stunden und 20 Minuten geballte Theaterpower, in denen nahezu jeder Winkel der Burg bespielt wird, ziehen viel zu schnell am begeisterten Publikum vorbei, das viele der Gesangs- und Tanzeinlagen mit Szenenapplaus belohnt, der für durchschnittliche Theaterabende als Abschlussbeifall durchgehen könnte. Dieser entlädt sich dann am Ende der Aufführung in einem wahren Orkan. Die Besucher wissen gar nicht, wie sie für diesen Genuss danken sollen. Sie klatschen, johlen, trampeln – die Tribüne im Hof der Genovevaburg wankt, die Akteure des Abends werden überschwänglich und minutenlang abgefeiert. Die Rocky Horror Show 2019 in Mayen hat die Kernbotschaft von Rocky Horror mit Leben gefüllt „Don’t dream it – be it“. Und wie dieses Sein gelebt wird, ist ein Traum. Ein kleiner Tipp sei noch für „Rocky-Neulinge“ erlaubt: Wer keine Utensilien dabei hat, um an den geeigneten Stellen zu interagieren, sollte unbedingt die Möglichkeit der angebotenen Fantasche nutzen – mittendrin statt nur dabei erhöht den Spaßfaktor noch einmal ungemein.
BLA